Salzburger Nachrichten

Zwölf-Stunden-Arbeit: Regierung korrigiert Entwurf

Die Freiwillig­keit wird im Gesetz ausdrückli­ch verankert. Doch die Gewerkscha­fter und auch die Bischöfe bleiben bei ihrem Protest gegen die Arbeitszei­tflexibili­sierung.

- August Wöginger, ÖVP Josef Muchitsch, SPÖ

Unmittelba­r vor der Nationalra­tssondersi­tzung am Freitag und der angekündig­ten Großdemo am Samstag gewinnt die Auseinande­rsetzung um die geplante Arbeitszei­tflexibili­sierung an Schärfe. Zwar nahmen ÖVP und FPÖ an ihrem Entwurf einige Präzisieru­ngen vor, die sie heute, Freitag, den anderen Fraktionen präsentier­en wollen. So soll die Freiwillig­keit für die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde ausdrückli­ch im Gesetz verankert werden. Doch die Arbeitnehm­erverbände bleiben bei ihrer Kritik: „Die Freiwillig­keit ist in der Realität ein leeres Verspreche­n. Das Gesetz ist schlecht für Familie, Freizeit, Gesundheit“, sagte die neue AK-Präsidenti­n Renate Anderl. Die Produktion­sgewerksch­aft pro-ge rechnete vor, dass 40.000 Lehrlinge über 18 Jahre vom ZwölfStund­en-Tag betroffen sein werden. Denn für sie gelten die besonderen Schutzbest­immungen für Jugendlich­e nicht mehr. – Wie berichtet, will die Regierung die gesetzlich erlaubte Arbeitszei­t für Produktion­sspitzen auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche ausdehnen.

Auch ÖVP-Arbeitnehm­ervertrete­r schließen sich dem Protest an. Man werde „auf Bundeseben­e mit allen Mitteln gegen die Umsetzung dieses arbeitnehm­erfeindlic­hen Gesetzes kämpfen“, sagte der Tiroler AK-Präsident Erwin Zangerl, ein Christgewe­rkschafter. Auch die Bischofsko­nferenz trat gegen die Arbeitszei­tflexibili­sierung ein.

Pro

WIEN. Die Regierungs­fraktionen sind bemüht, den Gegnern der Arbeitszei­tflexibili­sierung den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Das Ganze soll zu einer Win-win-Situation für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r werden“, versichert­e ÖVPKlubche­f August Wöginger (er ist auch Chef des ÖVP-Arbeitnehm­erflügels ÖAAB) den SN. Gemeinsam mit FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz hat Wöginger im Gesetzesen­twurf Präzisieru­ngen für einige besonders umstritten­e Gesetzesst­ellen erarbeitet. Sie sollen heute rechtzeiti­g vor der Nationalra­tssondersi­tzung den Fraktionen übergeben werden. Es handelt sich um folgende Punkte: – Die Freiwillig­keit für die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde wird ausdrückli­ch im Gesetz verankert. Der ursprüngli­che Plan, dass Arbeitnehm­er diese Mehrarbeit nur aus „überwiegen­den persönlich­en Gründen“ablehnen können, wurde von ÖVP und FPÖ fallen gelassen. – Ausdrückli­ch im Gesetz verankert wird auch, dass die Arbeitnehm­er wählen können, ob sie ihre Überstunde­n in Geld oder in Freizeit abgegolten bekommen. – Ebenso kommt eine Bestimmung ins Gesetz, dass der Zeitausgle­ich bei Gleitzeit auch in ganzen Tagen genossen werden darf. – Und schließlic­h wird ausdrückli­ch festgehalt­en, dass die Überstunde­n bei Gleitzeit weiter zuschlagsp­flichtig sind. Der ursprüngli­ch vorgelegte Gesetzeste­xt war verschiede­ntlich so interpreti­ert worden, dass die Zuschläge bei Gleitzeit-Mehrarbeit wegfallen werden. „Mit diesen Präzisieru­ngen ist uns ein stimmiges Paket gelungen“, sagt Wöginger den SN.

Aus der Sicht der Regierung und der Wirtschaft sprechen folgende Argumente für eine Arbeitszei­tflexibili­sierung inklusive der Möglichkei­t zum vorübergeh­enden ZwölfStund­en-Tag beziehungs­weise zur 60-Stunden-Woche: – Die Unternehme­n werden wettbewerb­sfähiger, da sie flexibler auf Kundenauft­räge reagieren können. – Arbeitnehm­er erhalten bei Überstunde­nleistunge­n entweder mehr Verdienst oder größere Freizeitbl­öcke und sie können mit flexiblere­n Arbeitszei­ten Beruf und Familie besser vereinbare­n.

Der ÖVP-Parlaments­klub untermauer­te dies mit folgenden Beispielen aus der Praxis: Etwa ein Pendler aus dem Burgenland, der jeden Tag eine Stunde nach Wien fährt. Dehnt er seine tägliche Arbeitszei­t aus, braucht er nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten und erspart sich am Freitag die Fahrt nach Wien.

Oder eine Laboranges­tellte, die ihr Experiment nicht nach zehn Arbeitsstu­nden unterbrech­en kann. Ihr wird es nun ermöglicht, ihre Arbeit zu Ende zu führen und dafür an einem anderen Tag kürzer zu arbeiten.

Auch der liberale Thinktank Agenda Austria hat eine Reihe von Argumenten für die Arbeitszei­tflexibili­sierung aufgeliste­t. Österreich gehöre derzeit „nicht zu den flexibelst­en Ländern“, was die Arbeitszei­t betreffe. Eine Reihe vergleichb­arer Volkswirts­chaften, darunter das Vereinigte Königreich, Schweden, Irland und Dänemark, habe eine erlaubte Höchstarbe­itszeit von 13 Stunden. Andere Länder, z. B. Tschechien, hätten gar keine gesetzlich geregelte Höchstarbe­itszeit. Die Befürchtun­g, dass die Ausweitung der erlaubten Arbeitsstu­nden zu einer Verlängeru­ng der faktischen Arbeitszei­t führen könnte, teilt die Agenda Austria nicht. Dies werde durch die vorgeschri­ebenen Durchrechn­ungszeiträ­ume verhindert. Überdies müsse in die Arbeitszei­trechnung einbezogen werden, dass Österreich bei den Urlaubstag­en (mindestens 25) und Feiertagen (mindestens 13) im europäisch­en Spitzenfel­d liege.

Zufrieden ist auch die Industrie: Es gehe darum, „Arbeitsspi­tzen in der Produktion kurzfristi­g und unbürokrat­isch abzudecken“. Was bisher nicht in ausreichen­dem Maß möglich gewesen sei, heißt es in einer Stellungna­hme der Industrie.

Kontra

Ab 2019 soll die tägliche Arbeitszei­t auf maximal zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben werden – so der Plan der Regierung. Die Front dagegen wird immer größer. Am Donnerstag meldeten sich in einer von der SPÖ organisier­ten Pressekonf­erenz Betroffene, die ihre Bedenken zu dem neuen Gesetz äußerten. „Der Zwölf-Stunden-Tag wird zur Regel werden“, fürchtet etwa der Zentralbet­riebsratsv­orsitzende der Austria Trend Hotels, Rudolf Tusch. In der Gastronomi­e und der Hotellerie sei die Arbeitsbel­astung in der Saison teilweise jetzt schon „mehr als grenzwerti­g“, erklärte Tusch, der bei der Vorgangswe­ise von ÖVP und FPÖ von einer „Katastroph­e“sprach. Einer der zentralen Kritikpunk­te ist die Frage, ob Arbeitnehm­er eine Ausdehnung auf zwölf Arbeitsstu­nden ablehnen können. Arbeitsrec­htsexperte­n sowie schwarze und rote Arbeitnehm­ervertrete­r weisen darauf hin, dass die Freiwillig­keit nicht gesichert sei. Der Arbeitsrec­htler von der Universitä­t Wien, Martin Risak, erklärt zudem, dass es schon jetzt zahlreiche Möglichkei­ten gebe, zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche zu arbeiten – allerdings ist es bisher nicht die Regel. Er verwies auf das Wahlprogra­mm der ÖVP, in dem keine Erhöhung der Arbeitszei­t ohne betrieblic­he Mitbestimm­ung angekündig­t worden sei. Davon sei jetzt nicht mehr die Rede. Um aus dem Vorschlag ein vernünftig­es Gesetz zu machen, seien Mitbestimm­ung, ein adäquater Ausgleich für längere Arbeit und bezahlte Pausen notwendig.

Doch nicht nur Arbeitsrec­htler melden sich zu Wort. Gerhard Blasche von der MedUni Wien warnte vor einem erhöhten Unfallrisi­ko. Belegt sei eine Zunahme der Unfallhäuf­igkeit bei Industriea­rbeitern ab der zehnten Stunde. Unfälle seien meist ebenso wie Fehler eine Folge von Müdigkeit. Als Beispiel für notwendige Pausen schilderte er den Arbeitsall­tag von Altenpfleg­ern. Zwei Zwölf-Stunden-Schichten von Altenpfleg­ern erfordern demnach drei Tage Erholung, erklärte der Mediziner.

Der Arbeitspsy­chologe Christian Korunka geht indes auf die möglichen langfristi­gen Probleme ein: „Es wird auf die Verlängeru­ng der Lebensarbe­itszeit vergessen“, mahnt der Experte. „Ein Bauarbeite­r, der in Zukunft vielleicht einmal bis 70 im Beruf stehen wird und verlängert­e Arbeitstag­e hat – das geht sich nicht aus.“

Am Donnerstag ging schließlic­h auch die Bischofsko­nferenz auf die Barrikaden. Nach Inkrafttre­ten der Gesetzesän­derungen werde es Betrieben möglich sein, die Arbeitnehm­er an jedem beliebigen staatliche­n Feiertag oder Wochenendt­ag zur Arbeitslei­stung zu verpflicht­en, warnt die Bischofsko­nferenz.

Dass die Regierungs­parteien nun erklärten, dass die Freiwillig­keit ins Gesetz geschriebe­n werde, beruhigte die Kritiker nicht. „Das glaube ich erst, wenn es schwarz auf weiß ist“, sagt SPÖ-Sozialspre­cher Josef Muchitsch. Der Abgeordnet­e fürchtet, dass sich die „Freiwillig­keit“nur in den Erläuterun­gen findet und nicht im eigentlich­en Gesetzeste­xt. Laut ihm solle die Freizeit- und Erholungsp­hase im Gesetz festgeschr­ieben werden. Der SPÖ-Politiker betonte, dass der „überwiegen­de Teil der Unternehme­r“auf ihre Leute schaut, aber: „Dieses Gesetz ist ein Freibrief für die schwarzen Schafe in der Wirtschaft.“Er fordert, dass die Regierung den Antrag zurückzieh­t und über den Sommer dann alle Punkte des Gesetzesvo­rhaben genau durchgenom­men werden. Nach einer Begutachtu­ng könnte das Gesetz im Herbst beschlosse­n werden. Die Begutachtu­ng, die Kritikern die Möglichkei­t zur Stellungna­hme gibt, hatte die Regierung mit einem Initiativa­ntrag umgangen.

Bereits heute, Freitag, wird die Debatte in einer Sondersitz­ung im Nationalra­t weitergehe­n. Am Samstag werden Kritiker ihrem Ärger bei einer Großdemons­tration in Wien Luft machen.

„Eine Win-win-Situation für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r.“ „Gesetz ist ein Freibrief für die schwarzen Schafe in der Wirtschaft.“

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BILD: SN/REDPIXEL - STOCK.ADOBE.COM Zwölf-Stunden-Tag: Flexibles Arbeiten in der modernen Arbeitswel­t – oder Ausbeutung?
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