Zwölf-Stunden-Arbeit: Regierung korrigiert Entwurf
Die Freiwilligkeit wird im Gesetz ausdrücklich verankert. Doch die Gewerkschafter und auch die Bischöfe bleiben bei ihrem Protest gegen die Arbeitszeitflexibilisierung.
Unmittelbar vor der Nationalratssondersitzung am Freitag und der angekündigten Großdemo am Samstag gewinnt die Auseinandersetzung um die geplante Arbeitszeitflexibilisierung an Schärfe. Zwar nahmen ÖVP und FPÖ an ihrem Entwurf einige Präzisierungen vor, die sie heute, Freitag, den anderen Fraktionen präsentieren wollen. So soll die Freiwilligkeit für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde ausdrücklich im Gesetz verankert werden. Doch die Arbeitnehmerverbände bleiben bei ihrer Kritik: „Die Freiwilligkeit ist in der Realität ein leeres Versprechen. Das Gesetz ist schlecht für Familie, Freizeit, Gesundheit“, sagte die neue AK-Präsidentin Renate Anderl. Die Produktionsgewerkschaft pro-ge rechnete vor, dass 40.000 Lehrlinge über 18 Jahre vom ZwölfStunden-Tag betroffen sein werden. Denn für sie gelten die besonderen Schutzbestimmungen für Jugendliche nicht mehr. – Wie berichtet, will die Regierung die gesetzlich erlaubte Arbeitszeit für Produktionsspitzen auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche ausdehnen.
Auch ÖVP-Arbeitnehmervertreter schließen sich dem Protest an. Man werde „auf Bundesebene mit allen Mitteln gegen die Umsetzung dieses arbeitnehmerfeindlichen Gesetzes kämpfen“, sagte der Tiroler AK-Präsident Erwin Zangerl, ein Christgewerkschafter. Auch die Bischofskonferenz trat gegen die Arbeitszeitflexibilisierung ein.
Pro
WIEN. Die Regierungsfraktionen sind bemüht, den Gegnern der Arbeitszeitflexibilisierung den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Das Ganze soll zu einer Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden“, versicherte ÖVPKlubchef August Wöginger (er ist auch Chef des ÖVP-Arbeitnehmerflügels ÖAAB) den SN. Gemeinsam mit FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz hat Wöginger im Gesetzesentwurf Präzisierungen für einige besonders umstrittene Gesetzesstellen erarbeitet. Sie sollen heute rechtzeitig vor der Nationalratssondersitzung den Fraktionen übergeben werden. Es handelt sich um folgende Punkte: – Die Freiwilligkeit für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde wird ausdrücklich im Gesetz verankert. Der ursprüngliche Plan, dass Arbeitnehmer diese Mehrarbeit nur aus „überwiegenden persönlichen Gründen“ablehnen können, wurde von ÖVP und FPÖ fallen gelassen. – Ausdrücklich im Gesetz verankert wird auch, dass die Arbeitnehmer wählen können, ob sie ihre Überstunden in Geld oder in Freizeit abgegolten bekommen. – Ebenso kommt eine Bestimmung ins Gesetz, dass der Zeitausgleich bei Gleitzeit auch in ganzen Tagen genossen werden darf. – Und schließlich wird ausdrücklich festgehalten, dass die Überstunden bei Gleitzeit weiter zuschlagspflichtig sind. Der ursprünglich vorgelegte Gesetzestext war verschiedentlich so interpretiert worden, dass die Zuschläge bei Gleitzeit-Mehrarbeit wegfallen werden. „Mit diesen Präzisierungen ist uns ein stimmiges Paket gelungen“, sagt Wöginger den SN.
Aus der Sicht der Regierung und der Wirtschaft sprechen folgende Argumente für eine Arbeitszeitflexibilisierung inklusive der Möglichkeit zum vorübergehenden ZwölfStunden-Tag beziehungsweise zur 60-Stunden-Woche: – Die Unternehmen werden wettbewerbsfähiger, da sie flexibler auf Kundenaufträge reagieren können. – Arbeitnehmer erhalten bei Überstundenleistungen entweder mehr Verdienst oder größere Freizeitblöcke und sie können mit flexibleren Arbeitszeiten Beruf und Familie besser vereinbaren.
Der ÖVP-Parlamentsklub untermauerte dies mit folgenden Beispielen aus der Praxis: Etwa ein Pendler aus dem Burgenland, der jeden Tag eine Stunde nach Wien fährt. Dehnt er seine tägliche Arbeitszeit aus, braucht er nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten und erspart sich am Freitag die Fahrt nach Wien.
Oder eine Laborangestellte, die ihr Experiment nicht nach zehn Arbeitsstunden unterbrechen kann. Ihr wird es nun ermöglicht, ihre Arbeit zu Ende zu führen und dafür an einem anderen Tag kürzer zu arbeiten.
Auch der liberale Thinktank Agenda Austria hat eine Reihe von Argumenten für die Arbeitszeitflexibilisierung aufgelistet. Österreich gehöre derzeit „nicht zu den flexibelsten Ländern“, was die Arbeitszeit betreffe. Eine Reihe vergleichbarer Volkswirtschaften, darunter das Vereinigte Königreich, Schweden, Irland und Dänemark, habe eine erlaubte Höchstarbeitszeit von 13 Stunden. Andere Länder, z. B. Tschechien, hätten gar keine gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeit. Die Befürchtung, dass die Ausweitung der erlaubten Arbeitsstunden zu einer Verlängerung der faktischen Arbeitszeit führen könnte, teilt die Agenda Austria nicht. Dies werde durch die vorgeschriebenen Durchrechnungszeiträume verhindert. Überdies müsse in die Arbeitszeitrechnung einbezogen werden, dass Österreich bei den Urlaubstagen (mindestens 25) und Feiertagen (mindestens 13) im europäischen Spitzenfeld liege.
Zufrieden ist auch die Industrie: Es gehe darum, „Arbeitsspitzen in der Produktion kurzfristig und unbürokratisch abzudecken“. Was bisher nicht in ausreichendem Maß möglich gewesen sei, heißt es in einer Stellungnahme der Industrie.
Kontra
Ab 2019 soll die tägliche Arbeitszeit auf maximal zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben werden – so der Plan der Regierung. Die Front dagegen wird immer größer. Am Donnerstag meldeten sich in einer von der SPÖ organisierten Pressekonferenz Betroffene, die ihre Bedenken zu dem neuen Gesetz äußerten. „Der Zwölf-Stunden-Tag wird zur Regel werden“, fürchtet etwa der Zentralbetriebsratsvorsitzende der Austria Trend Hotels, Rudolf Tusch. In der Gastronomie und der Hotellerie sei die Arbeitsbelastung in der Saison teilweise jetzt schon „mehr als grenzwertig“, erklärte Tusch, der bei der Vorgangsweise von ÖVP und FPÖ von einer „Katastrophe“sprach. Einer der zentralen Kritikpunkte ist die Frage, ob Arbeitnehmer eine Ausdehnung auf zwölf Arbeitsstunden ablehnen können. Arbeitsrechtsexperten sowie schwarze und rote Arbeitnehmervertreter weisen darauf hin, dass die Freiwilligkeit nicht gesichert sei. Der Arbeitsrechtler von der Universität Wien, Martin Risak, erklärt zudem, dass es schon jetzt zahlreiche Möglichkeiten gebe, zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche zu arbeiten – allerdings ist es bisher nicht die Regel. Er verwies auf das Wahlprogramm der ÖVP, in dem keine Erhöhung der Arbeitszeit ohne betriebliche Mitbestimmung angekündigt worden sei. Davon sei jetzt nicht mehr die Rede. Um aus dem Vorschlag ein vernünftiges Gesetz zu machen, seien Mitbestimmung, ein adäquater Ausgleich für längere Arbeit und bezahlte Pausen notwendig.
Doch nicht nur Arbeitsrechtler melden sich zu Wort. Gerhard Blasche von der MedUni Wien warnte vor einem erhöhten Unfallrisiko. Belegt sei eine Zunahme der Unfallhäufigkeit bei Industriearbeitern ab der zehnten Stunde. Unfälle seien meist ebenso wie Fehler eine Folge von Müdigkeit. Als Beispiel für notwendige Pausen schilderte er den Arbeitsalltag von Altenpflegern. Zwei Zwölf-Stunden-Schichten von Altenpflegern erfordern demnach drei Tage Erholung, erklärte der Mediziner.
Der Arbeitspsychologe Christian Korunka geht indes auf die möglichen langfristigen Probleme ein: „Es wird auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit vergessen“, mahnt der Experte. „Ein Bauarbeiter, der in Zukunft vielleicht einmal bis 70 im Beruf stehen wird und verlängerte Arbeitstage hat – das geht sich nicht aus.“
Am Donnerstag ging schließlich auch die Bischofskonferenz auf die Barrikaden. Nach Inkrafttreten der Gesetzesänderungen werde es Betrieben möglich sein, die Arbeitnehmer an jedem beliebigen staatlichen Feiertag oder Wochenendtag zur Arbeitsleistung zu verpflichten, warnt die Bischofskonferenz.
Dass die Regierungsparteien nun erklärten, dass die Freiwilligkeit ins Gesetz geschrieben werde, beruhigte die Kritiker nicht. „Das glaube ich erst, wenn es schwarz auf weiß ist“, sagt SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Der Abgeordnete fürchtet, dass sich die „Freiwilligkeit“nur in den Erläuterungen findet und nicht im eigentlichen Gesetzestext. Laut ihm solle die Freizeit- und Erholungsphase im Gesetz festgeschrieben werden. Der SPÖ-Politiker betonte, dass der „überwiegende Teil der Unternehmer“auf ihre Leute schaut, aber: „Dieses Gesetz ist ein Freibrief für die schwarzen Schafe in der Wirtschaft.“Er fordert, dass die Regierung den Antrag zurückzieht und über den Sommer dann alle Punkte des Gesetzesvorhaben genau durchgenommen werden. Nach einer Begutachtung könnte das Gesetz im Herbst beschlossen werden. Die Begutachtung, die Kritikern die Möglichkeit zur Stellungnahme gibt, hatte die Regierung mit einem Initiativantrag umgangen.
Bereits heute, Freitag, wird die Debatte in einer Sondersitzung im Nationalrat weitergehen. Am Samstag werden Kritiker ihrem Ärger bei einer Großdemonstration in Wien Luft machen.
„Eine Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.“ „Gesetz ist ein Freibrief für die schwarzen Schafe in der Wirtschaft.“