„Müssen mit allem rechnen“
Extremismus und islamistische Terrorgefahr: Der Verfassungsschutzbericht 2017 steckt voller brisanter Zahlen. Dennoch standen am Donnerstag jene im Mittelpunkt, die ihn präsentierten.
WIEN. 85 Seiten ist er stark, der Verfassungsschutzbericht 2017. Minutiös listet er Bedrohungsszenarien durch islamistischen Extremismus und Terrorismus sowie Links- und Rechtsextremismus, Spionage und staatsfeindliche Verbindungen auf. Dennoch schienen am Donnerstag die Medienvertreter nur auf das Ende der Präsentation zu warten. Zu viele neue Details waren rund um die BVT-Affaire bekannt geworden.
„Der islamistische Extremismus verändert sich. Wir dürfen uns nicht einschläfern lassen, nur weil es in den vergangenen Monaten keine Anschläge gegeben hat. Wir müssen mit allem rechnen.“Das waren die Worte von Peter Gridling, dem Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz: BVT.
Nur drei Stunden vor der Präsentation hatte die Austria Presse Agentur (APA) weitere verstörende Einzelheiten zu der Hausdurchsuchung der BVT-Zentrale durch die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität am 28. Februar veröffentlicht.
Den BVT-Mitarbeitern soll mit Gewaltanwendung und Suspendierung gedroht worden sein, wenn sie sich nicht ruhig verhielten. Dies geht aus Aktenvermerken von BVTMitarbeitern hervor, die der APA vorliegen. Zudem seien offenbar völlig wahllos Daten beschlagnahmt worden. Gridling, der im Zuge der BVT-Affäre von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) suspendiert und später vom Bundesverwaltungsgericht wieder als Verfassungsschutzchef eingesetzt worden war, gab sich gelassen: „Natürlich haben solche Vorfälle Auswirkungen.“Er sei aber „durchaus froh“, dass versucht werde, die Causa „in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzuklären“.
Der Einsatz am 28. Februar war von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft beantragt worden. Gridling sah sich unter anderem mit dem Vorwurf konfrontiert, die gerichtlich verfügte Löschung sensibler Ermittlungsdaten unterlassen zu haben.
„Ja, es gibt kritische Fragen an uns“, sagte der BVT-Chef zur Frage, ob die Affäre international nicht verheerende Wirkung gehabt habe. Was die Kooperation mit anderen Geheimdiensten betrifft, so stellte Gridling klar: „Einen Vertrauensverlust wird es nur geben, wenn wir diese Fragen nicht beantworten.“
Doch nicht nur der BVT-Chef stand im Mittelpunkt des Interesses. Vorgestellt wurde der Verfassungsbericht auch von der Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis. Erst kürzlich hatten Recherchen der SN ergeben, dass die Salzburgerin offenbar vor ihrem Abgang nach Amerika steht. Für Kardeis soll die Position einer Verbindungsbeamtin geschaffen werden.
„Nach wie vor geht in Österreich die höchste Gefährdung vom islamistischen Extremismus aus“, sagte Kardeis. Trotz der militärischen Niederlage der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) in Syrien und im Irak gibt der Bericht keine Entwarnung. Es sei zu befürchten, „dass Einzeltäter in Europa aktiv werden können“.
Die linksextrem motivierten Straftaten sind im Vorjahr deutlich zurückgegangen: Angezeigt wurden 307 Straftaten, um ein Drittel weniger als 2016 (436). Auch die rechtsextremen Straftaten sind rückläufig, allerdings weniger stark und auf deutlich höherem Niveau: Mit 1576 Anzeigen gab es im Vorjahr um 16 Prozent weniger als 2016 (1867).
Ungebremsten Zulaufs erfreut sich die Staatsverweigerer-Szene. Schätzte man Anfang 2017 die gesamte Anhängerschar der unterschiedlichsten Gruppierungen auf rund 1100, so gehen die Verfassungsschützer davon aus, dass mittlerweile allein beim „Staatenbund Österreich“ein „nachgewiesener Mitgliederstand von über 2500 Personen“erreicht wurde. Dessen Anführer sitzen derzeit in Graz in U-Haft warten auf ihren Prozess.