Deutschland musste scheitern
Fußball-Deutschland ist entsetzt über das erste Ausscheiden in einer WM-Gruppenphase. Eine Aufarbeitung des Debakels.
Das deutsche Boulevardblatt „Bild“verzichtete in seiner Donnerstag-Ausgabe erstmals in der Geschichte darauf, die Leistungen der Spieler der deutschen Nationalmannschaft nach einem Länderspiel zu benoten. Mit der Begründung, dass es keine Noten gibt, die dieses Debakel beschreiben könnten. Nach dem blamablen Ausscheiden in der WM-Gruppenphase ist vom Weltmeisterteam von 2014 nur mehr ein Trümmerhaufen geblieben. Wie konnte es passieren, dass die Truppe von Bundestrainer Joachim Löw zur Lachnummer wurde? Die SN fanden fünf Gründe, warum Deutschland krachend gescheitert ist.
1. Im Team der Deutschen gab es keine Leitfiguren
Die Weltmeister von 2014 konnten vier Jahre später die ihnen zugedachte Rolle nicht einmal annähernd erfüllen. Weder Mats Hummels noch Toni Kroos und schon gar nicht Thomas Müller, Mesut Özil oder Sami Khedira zeigten Führungsqualitäten. Auch ihnen ging es im entscheidenden Spiel nur darum, Fehler zu vermeiden. Jeder scheute auch nur das geringste Risiko im Offensivspiel. Die nach der WM 2014 zurückgetretenen Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose konnten nicht gleichwertig ersetzt werden.
2. Tempo und Aggressivität waren nicht vorhanden
Das Spiel der Deutschen wirkte in vielen Phasen wie das Auftreten ei- ner Altherrentruppe. Es fehlte jegliches Tempo und im Entscheidungsspiel gegen Südkorea gewann man nie den Eindruck, dass diese deutsche Mannschaft um ihre letzte Chance kämpft, alles körperlich versucht, um die Pleite abzuwenden. Aber wahrscheinlich waren die Spaziergänger auf dem grünen Rasen um Khedira, Müller und Özil auch nicht mehr in der Lage, zumindest kämpferisch zu überzeugen. Es fehlten auch die Ideen, die Passgenauigkeit und auch einmal ein schneller, überraschender Antritt eines deutschen Elitekickers.
3. Neben dem Siegeswillen fehlte auch die Qualität
Die Verunsicherung im Team des vierfachen Weltmeisters war bereits vom ersten Ankick an zu spüren. Lust auf Fußball war bei keinem deutschen Profi zu erkennen. Diese deutsche Nationalmannschaft spielte ohne Leidenschaft. Die trostlose, negative Körpersprache zeigte, dass diese Mannschaft es als große Last empfunden haben muss, das Trikot des Weltmeisters zu tragen. Der Druck, dem ein Weltmeisters nun einmal ausgesetzt ist, hemmte jeden einzelnen Profi. Keiner hatte den Mumm und auch die nötige Form, die Verantwortung zu übernehmen. Einem Kimmich, einem Reus, einem Draxler oder einem Werner fehlte bei dieser WM auch noch die Qualität, um an die Leistungen, die Lahm, Schweinsteiger oder Klose vor vier Jahren gezeigt hatten, auch nur annähernd heranzukommen. Diese Mannschaft hat in ihrer Zusammensetzung nie funktioniert. Dem DFBTeam fehlte in Russland Leichtigkeit, spielerische Qualität und vor allem Dynamik.
4. Löw traf die falschen Entscheidungen
Schon bei der Bekanntgabe des WM-Kaders gab es Kopfschütteln. Dass Löw den pfeilschnellen Stürmer von Manchester City, Leroy Sané, der beim englischen Meister einen Stammplatz besitzt, zu Hause ließ, war nur eine der falschen Entscheidungen Löws. Dem sichtlich nicht völlig fitten Jérôme Boateng den Stammplatz zu garantieren erwies sich ebenfalls als fatal. Auch wenn alle deutschen Profis immer wieder betonten, dass Torhüter Manuel Neuer ein Sonderstatus gebühre: Seine Nominierung nach fast einem Jahr Verletzungspause wird bei einigen Spielern nicht gut angekommen sein. Und im Entscheidungsspiel Mittelstürmer Mario Gómez, der immer für Wirbel im Strafraum sorgt, nicht von Beginn einzusetzen entbehrt auch jeder Logik. Löw irrte auch gewaltig, als er nach der Vorbereitung noch die Meinung vertrat, seine Weltmeister-Riege werde im Ernstfall schon wieder zur richtigen Körpersprache und Einstellung zurückfinden. Das Gegenteil war der Fall. Der ideenlose, kraftlose und hilflose Zeitlupenfußball-Auftritt gegen Südkorea bedeutet das peinliche Ende einer zuvor acht Jahre glanzvollen Ära.
5. Selbstvertrauen ging völlig verloren
Das Spiel der Deutschen prägte in Russland die Angst vor dem Versagen. Es fehlten der Mut, das Selbstvertrauen, um dem Gegner zu zeigen: Wir sind hier der Weltmeister. Angsthasenfußball war die Folge. Es fehlte eine wirkungsvolle Achse. Dazu kam auch noch erschwerend, dass die Bayern-Profis völlig von der Rolle waren. Die Generation um Neuer, Boateng, Hummels, Khedira und Özil hat als Achse der Nationalmannschaft ausgedient. Und auch Löw muss sich hinterfragen: Er führte Deutschland zum Titel, er hat jetzt auch diesen Tiefpunkt zu verantworten. Der Mannschaft fehlten bis auf wenige Minuten gegen Schweden das Feuer und die Leidenschaft. Auch das muss sich Löw ankreiden lassen.