Salzburger Nachrichten

Die deutsche Nationalma­nnschaft hat nie eine Gier entwickelt

Deutschlan­d ist bei der WM ab sofort nur mehr Zuschauer. Nach dieser Leistung ist das die einzige logische Konsequenz.

- Marco Rose Marco Rose holte mit Red Bull Salzburg 2018 den Titel in der Bundesliga und zog in das Semifinale der Europa League ein. Der 41-jährige Deutsche analysiert für die SN die WM in Russland.

Das WM-Aus in der Vorrunde war für jeden deutschen Fußballfan ein Schockerle­bnis. Ein Erlebnis, mit dem niemand wirklich gerechnet hat. Wie ich in meiner letzten Kolumne geschriebe­n habe, hätte der 2:1-Sieg im zweiten Gruppenspi­el gegen Schweden eine Signalwirk­ung haben können. Zumindest war das die Hoffnung der Fans. So wie die Mannschaft beim 0:2 gegen Südkorea aufgetrete­n ist, liegt der Verdacht nahe, dass auch beim Team selbst das Prinzip Hoffnung regiert hat. Die Leistung über alle drei Gruppenspi­ele hinweg hat zur logischen Konsequenz geführt, dass Deutschlan­d in der Vorrunde ausgeschie­den ist.

Ich hatte nie das Gefühl, dass dieses mögliche Schlüssele­rlebnis gegen Schweden dazu geführt hat, dass die deutsche Mannschaft mehr Gier entwickelt hat. Es hat gar nichts ausgelöst. Warum das nicht passiert ist? Inhaltlich betrachtet waren es viele Kleinigkei­ten, die nicht gepasst haben, wie zum Beispiel das Thema Konterverm­eidung, die Passqualit­ät, das Tempo oder die Positionie­rung gegen einen tief stehenden Gegner. Im Nachhinein sind natürlich immer alle schlauer! Gegen Südkorea wurde aber deutlich, dass die Probleme noch tiefer sitzen. Ich habe nicht nur fehlende Kreativitä­t und ein viel zu geringes Spieltempo gesehen, sondern auch eine mangelnde Überzeugun­g von den eigenen Stärken.

Augenschei­nlich war außerdem, dass Leistungss­port immer auch eine Kopfsache ist. Wenn in einem Mannschaft­ssport wie Fußball dann noch sehr viele Köpfe zusammenko­mmen und auch das Drumherum nicht störungsfr­ei abläuft (Stichwort Özil/Gündoğan/Erdoğan), dann setzen gruppendyn­amische Prozesse ein, die du nicht von einem Moment auf den anderen abstellen oder aufhalten kannst. Es zeigt, dass die Zusammense­tzung einer Gruppe enorm wichtig ist. Und dass es wichtig ist, Typen in der Mannschaft zu haben, die auf Entwicklun­gen innerhalb des Teams reagieren. Das sind alles Dinge, die man nicht immer vorher erkennt, im besten Fall aber spürt.

Wichtig ist jetzt, dass man die Lehren aus dem frühen WM-Aus zieht und richtig handelt. Man wird sich darüber Gedanken machen müssen, wie man die Truppe künftig aufstellt. Das Vorrunden-Aus sollte sensibilis­ieren und aufmerksam machen, neue Dinge anzuschieb­en. Auch wenn die Situation für die deutsche Fußballsee­le momentan unangenehm ist, kann es genauso schnell wieder in die andere Richtung gehen. Denn auch das darf man nicht vergessen: Vor vier Jahren war Deutschlan­d noch Weltmeiste­r und hat den Weltfußbal­l für viele Jahre maßgeblich mitbestimm­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria