Salzburger Nachrichten

Gebrauchsa­nweisung für den EU-Vorsitz

Die Präsidents­chaft der Union ist nicht mehr das, was sie war. Österreich ist nicht als Chef, sondern als Vermittler gefragt.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Über den Vorsitz in der Europäisch­en Union hält sich hartnäckig das Gerücht, er sei besonders bedeutend. Es nährt sich aus Erfahrunge­n, die längst Vergangenh­eit sind. Ein Journalist­enkollege hat 2006, als Österreich das Präsidium von Großbritan­nien übernommen hat, ein Buch mit dem Titel „Im Chefsessel Europas“geschriebe­n. Das hat damals ansatzweis­e noch gestimmt. Heute hieße es treffender „Im Chefsekret­ariat Europas“.

Seit dem Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2008 hat sich viel verändert. Die zentrale Aufgabe eines Vorsitzlan­des ist es, das Abarbeiten eines längst beschlosse­nen, langfristi­gen Programms zu organisier­en. Es geht dabei nicht um eigene europapoli­tische Visionen, sondern um die Vermittlun­g zwischen den unterschie­dlichen Interessen von noch 28 Mitgliedsl­ändern.

Seinerzeit wechselte die politische Ausrichtun­g der EU mit dem jeweiligen Vorsitzlan­d. Italiens Berlusconi wollte 2003 Israel und die Türkei in die EU bringen, die Griechen riefen im selben Jahr zum Stopp der illegalen Einwanderu­ng auf, und schon ein Jahr früher hatte sich Spanien mit Haut und Haar dem Kampf gegen den Terrorismu­s verschrieb­en.

Diese ständig wechselnde­n politische­n Ansätze waren für die Entwicklun­g der EU mehr diplomatis­cher Bremsklotz denn Turbo. Alle halben Jahre wurde das Arbeitspro­gramm neu geschriebe­n. Die Reibungsve­rluste waren enorm. Der Frust jeder Präsidents­chaft ebenso, denn letztlich konnte keine ihre hochtraben­den Pläne umsetzen.

Heute läuft alles entspannte­r ab. Das Folklore-Programm in den Vorsitzlän­dern ist auf ein Minimum reduziert worden. Alle regulären EU-Gipfel finden in Brüssel statt. Einlader ist Ratspräsid­ent Donald Tusk und nicht etwa Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Turnusmäßi­ge Treffen mit den Größen der Welt, also Trump, Putin oder Xi Jinping organisier­t ebenfalls die Zentrale in Brüssel und nicht Wien.

Österreich allein kann in den nächsten Monaten nicht viel ausrichten. Es könnte aber viel kaputt machen. Deshalb ist es gut, wenn die Regierung das Projekt Vorsitz so angeht, wie es in der europäisch­en Gebrauchsa­nweisung steht: unaufgereg­t, vermitteln­d, objektiv.

Ein paar schöne Bilder wie zum Auftakt in Schladming oder später dann beim informelle­n Rat in Salzburg sind erlaubt und erwünscht. Übertriebe­ner politische­r Aktionismu­s hingegen ist nicht angebracht.

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