Ein Deutscher suchte wahre Schönheit
Johann Joachim Winckelmann hat uns die Augen für die Antike geöffnet und unsere Vorstellung vom idealen Körper geprägt.
MÜNCHEN. Auf dem Messer, das fein für das Gerichtsprotokoll skizziert wurde, steht an zwei Stellen „sangue“: Blut. Sieben Mal stach der Mörder zu, um an die Medaillen zu kommen, die ihm seine leichtsinnige Bekanntschaft im Juni 1768 stolz gezeigt hatte. Dann floh er mit der Beute aus der Osteria Grande in Triest und bemerkte nicht, dass das Opfer noch lebte. Gegen 10 Uhr fand man den Verwundeten in seinem Zimmer, etwa sechs Stunden blieben ihm, um der herbeigeeilten Polizei den Tathergang zu schildern – und seine Identität preiszugeben.
Anders ist nicht zu erklären, dass die Beamten so akribisch ermittelt haben. Denn mit dem Antikenforscher Johann Joachim Winckelmann ist vor 250 Jahren eine europaweit geachtete Berühmtheit gestorben. Der junge Goethe war erschüttert, und selbst der kritische Lessing hätte dem sprachgewaltigen Winckelmann gerne mehrere Jahre seines Lebens geschenkt. So schön und mit erotischem Unterton hatte noch keiner auf Deutsch über die Kunst geschrieben. Bei allem Pathos wird man bis heute gepackt von der Begeisterung, mit der Winckelmann die Kunst der alten Griechen beschrieben hat – das heißt: die römischen Kopien, die er noch für Originale halten musste.
Genauso hat er seinen Zeitgenossen die Augen für Raffaels „Sixtinische Madonna“geöffnet. Dann ist es nicht mehr weit bis zur „edlen Einfalt und stillen Größe“, diesem strapazierten Credo, das Winckelmann 1755 in seinem Schönheitsevangelium „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“formuliert hat. Der Apoll von Belvedere verkörperte für ihn das Vollkommene, genauso stand die Laokoon-Gruppe auf seiner Liste erlesenster Kunstwerke.
Damit schrieb er gegen den Überwältigungsbarock und die verschnörkelt-überladene Kunst des Rokoko an. Bei allem Respekt, den er dem „großen Rubens“entgegenbrachte, waren ihm dessen wogende Fleischberge samt Cellulite-Inseln ein Graus, denn sie seien „weit entfernt von den griechischen Umrissen der Körper“. Dieses Schönheitsideal sitzt nach wie vor fest in unseren Köpfen. Vom Sixpack durchtrainierter Sportskerle bis zum wohlproportionierten Damenleib, der keinerlei Problemzonen kennt – wobei das Nonplusultra für den homosexuellen Winckelmann ein androgyner Körper war. In manchen Punkten nimmt das den modernen Genderdiskurs vorweg.
Winckelmanns Ansprüche waren enorm, und für die zeitgenössische Kunst ließ er nur ein Rezept gelten: Um groß und unnachahmlich zu werden, müsse die griechische Antike nachgeahmt werden. Damit hat der Begründer der modernen Archäologie und der Kunstwissenschaft dazu beigetragen, den Klassizismus zu befördern. Dass in der Antike so herausragende Kunst