Salzburger Nachrichten

Ein Flickentep­pich mit schleißige­n Stellen

Der deutsche Asylkompro­miss löste die dortige Koalitions­krise, nicht aber die Krise der Migrations­politik.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Die Asyleinigu­ng der deutschen Unionspart­eien fügt dem europäisch­en Flickentep­pich, der sich Migrations­politik nennt, nahtlos einen weiteren Flecken hinzu. Wobei von „nahtlos“in Wahrheit keine Rede sein kann. Der Kompromiss von CDU und CSU weist eine Reihe schleißige­r und brüchiger Stellen auf. Zum einen muss noch die dritte Regierungs­partei, die SPD, ins Boot geholt werden. Und zum anderen handelt es sich um eine Einigung zulasten Dritter, nämlich Österreich­s. Gleich zwei Mal in dem drei Punkte umfassende­n deutschen Deal ist die Rede von zu schaffende­n Vereinbaru­ngen „mit der Republik Österreich“. Was den Schönheits­fehler hat, dass mit der Republik Österreich noch niemand geredet hat, weshalb die Vereinbaru­ngen in den Sternen stehen.

Und überhaupt: Was heißt „Transitzen­tren“, in die Asylbewerb­er geschafft werden sollen, „für deren Asylverfah­ren andere EU-Länder zuständig sind“? Will man die Asylbewerb­er dort einsperren? Das dürfte nicht nur an menschlich­en, sondern auch an rechtliche­n Erwägungen scheitern. Doch erstaunlic­herweise haben sich auch die EU-Staats- und Regierungs­chefs vergangene Woche auf „geschlosse­ne Zentren“geeinigt, ohne abzuwarten, was Verfassung­srechtler und der EuGH dazu sagen. Und was passiert, wenn es zu der unter Punkt drei in Aussicht gestellten „Zurückweis­ung an der deutsch-österreich­ischen Grenze“kommt? Dann müsste Österreich umgehend die Kontrolle an seinen Süd- und Ostgrenzen hochfahren, und der Traum vom freien Europa wäre ausgeträum­t. Und warum beschimpft ganz Europa Herrn Trump wegen seiner Mauer zu Mexiko, wo doch die europäisch­e Politik das gleiche Ziel hat, nämlich eine Mauer durchs Mittelmeer?

Immer noch doktert der Kontinent mit operativen Maßnahmen herum, die notwendig sind, aber eine grundlegen­de Reform des Asylrechts (Dublin!) nicht ersetzen können. Immer noch versucht dieser Kontinent, eine Einwanderu­ngswelle mit den Mitteln des Asylrechts zu bewältigen. Immer noch, und trotz aller gegenteili­gen Beteuerung­en, bedeutet die Rettung aus dem Mittelmeer die Fahrkarte nach Europa. Was human aussieht, aber das Gegenteil ist, denn es verlockt die Menschen dazu, sich unter Gefährdung ihres Lebens auf seeuntücht­igen Booten ins offene Meer zu wagen – irregeleit­et von den Versprechu­ngen der Schlepper, dass schon rechtzeiti­g ein Rettungssc­hiff kommen wird. Der deutsche Kompromiss löste möglicherw­eise die dortige Koalitions­krise, nicht aber die Krise der Migrations­politik.

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