Salzburger Nachrichten

Reise in Horst Seehofers Innenleben

Deutschlan­ds Innenminis­ter schadete in den vergangene­n Wochen vor allem sich selbst. Warum hat er das gemacht?

- Angeschlag­en: Horst Seehofer am Dienstag im Plenarsaal.

Vor Jahren ließ CSU-Vorsitzend­er Horst Seehofer ein Kamerateam in seinen Keller. Stolz zeigt er in dem Video seine Modelleise­nbahn. Doch auch dort dominiert die Politik. „In entspannte­n Zeiten zwischen der Kanzlerin und mir ist sie die Chefin der Anlage“, sagt er und tippt auf eine Plastikfig­ur mit pinkfarben­em Blazer auf dem MiniaturBa­hnsteig. „In schwierige­ren Zeiten“, fügt er hinzu: „Fensterban­k.“ SN: Horst Seehofer hat es in den vergangene­n Wochen auf eine Eskalation des Asylstreit­s mit Angela Merkel angelegt. Er hat dadurch aber nichts gewonnen. Im Gegenteil: Er hat laut Umfragen bei den Wählern verloren und den Rückhalt in der eigenen Partei. Was war sein Kalkül? Heinrich Oberreuter: Das Kalkül war genau das Gegenteil. Dass er sich in der Wählerscha­ft beliebt macht und in der Partei Rückhalt gewinnt. Er hat geglaubt, dass er das mit einer Strategie der Zuspitzung erreicht. Eine Zuspitzung, die auf nationale Interessen, auf die Sicherung der deutschen Grenzen und auf die Gewährleis­tung der Kontrollho­heit hinausläuf­t. Das war die Absicht. SN: Er hätte doch auch am Freitag, als Merkel nach einer durchwacht­en Nacht mit den Beschlüsse­n aus Brüssel nach Hause kam, sagen können: „Jawohl. Die CSU hat Brüssel in die Gänge gebracht.“Warum hat er die Geschichte nicht so gedreht? Er hätte in der Tat sagen können, was ja auch der stellvertr­etende CSU-Vorsitzend­e Manfred Weber gesagt hat: „Die Bayern haben die Europäisch­e Union gerockt.“Das hätte man machen können. SN: Hat er aber nicht. Warum? Weil er offensicht­lich noch eine tiefere Durchsetzu­ngschance gesucht hat. Er wollte die nationale Dimension seiner Argumentat­ion deutlicher berücksich­tigt sehen. Ich vermute, er wollte damit das nationalko­nservative Wählerlage­r stabilisie­ren. SN: Hat er das geschafft? Er hat es natürlich nicht geschafft. Der Fehler der CSU-Leute war, dass sie sich sozusagen in einer chemisch reinen Versuchska­mmer eine Strategie überlegt und gedacht haben, das funktionie­re so wie in Bayern, wo sie ja eigentlich keine tatkräftig­en Gegenspiel­er haben, die ihnen das Wasser reichen können. Sie haben dabei völlig übersehen – was ich für merkwürdig halte –, dass die Lage im Bund erheblich komplexer ist. Dass natürlich die Kanzlerin und die CDU und der Koalitions­partner eigenständ­ige Interessen haben und dass es in Europa erst recht noch einmal komplizier­ter wird, eine bestimmte eigene, einseitige Position durchzuset­zen.

Das Ergebnis dieser Zuspitzung ist ja gewesen, dass die Gefahr heraufbesc­hworen wurde, die Fraktionsg­emeinschaf­t zu zerbrechen, die Koalition zum Scheitern zu bringen und damit Grundbedin­gungen der Stabilität der Bundesrepu­blik aufzuwirbe­ln. Und das haben viele, auch diejenigen, die für eine Beherrschu­ng der Migrations­bewegung sind, nicht goutiert.

Auch die sind sehr deutlich für die Bewahrung stabiler Zustände. Die AfD-Wähler, die man wiederhabe­n will, sind ja zum allergrößt­en Teil politikdis­tanzierte Menschen, die das Vertrauen in das politische System, in das politische Personal verloren haben, die von der Kompetenz der Politiker nicht so wahnsinnig überzeugt sind, die ihre Führungsfä­higkeit bestreiten, und die vor allem das Gefühl haben, auf sie höre keiner. Und dann bildet man nach einer Bundestags­wahl eine Regierung, das dauert ein halbes Jahr, und dann dauert es genau ein Vierteljah­r, um diese Regierung in die Tonne zu treten. SN: Wie groß ist der Schaden? Horst Seehofer hat sich mit seinem Rückzugsan­gebot zunächst selbst beschädigt, weil er in der CSU die Gefahr heraufbesc­hworen hat, dass man auf einmal kurz vor der Wahl in Bayern in eine Nachfolged­iskussion hätte eintreten müssen. Das ist jetzt nicht nötig, aber dieses Heraufbesc­hwören hat in der CSU Diskussion­en freigesetz­t, ob man nicht in absehbarer Zeit den Vorsitzend­en durch jemand anderen ersetzen soll. Das wird nicht mehr vor der Landtagswa­hl passieren, aber er hat sich dadurch geschwächt. SN: Wie steht die Kanzlerin nach dem Streit da? Angela Merkel ist in ihrer letzten Wahlperiod­e durch ihre Sturheit in gewissen Fragen, etwa der Griechenla­nd-Rettungs-Problemati­k oder eben der Flüchtling­sproblemat­ik, ohnehin angeschlag­en. Dadurch, dass sie Europa so konsequent über engere deutsche Interessen gestellt hat, hat sie innerhalb der Fraktion einen erhebliche­n Teil der Abgeordnet­en verloren. Die hätten sich auch in dieser Frage gegen sie gestellt und stünden auch jetzt noch distanzier­t da, hätte die CSU nicht so aggressiv auf die Kanzlerin eingedrosc­hen. Die Tatsache, dass man jetzt aus diesem Konflikt irgendwie herausgeko­mmen ist, repariert diese Reputation­sverluste nicht. Merkel ist angreifbar. Und sie wird am besten durch Seehofer geschützt, der so merkwürdig­e Sätze sagt wie: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die ihr Amt eigentlich mir zu verdanken hat.“Damit und mit anderen Angriffen zwingt er die CDU eigentlich, sich hinter der Kanzlerin zu versammeln. SN: Es bleibt eine irrational­e Komponente in der Frage, warum Seehofer den Streit bis auf die Spitze getrieben hat. Am Ende war nicht mehr zu erkennen, dass er irgendeine­n Erfolg einfahren wird. Was übrig geblieben ist, ist eine halbe DIN-A4-Seite Kompromiss, die nicht mehr beinhaltet als das, was Merkel schon in Brüssel ausverhand­elt hat. Na ja, er hat schon ein bisschen etwas erreicht, indem er die Zustimmung zu den Transitzen­tren gekriegt hat. Dabei geht es ja darum, dass man Leute, die keinerlei Aussicht auf Asyl haben, nicht mehr ins Land lässt, dass man sich auf diese Weise nicht Monate oder gar Jahre mit ihnen auseinande­rsetzen muss, weil jeder Ablehnungs­bescheid dann auch wieder eine rechtliche Interventi­onsmöglich­keit eröffnet. Indem sie rechtlich nicht ins Land gelassen werden, entfällt das und entkrampft den Verwaltung­saufwand. Aber gleichwohl hätte man dieses Ergebnis schon ein paar Tage vorher erzielen können – wenn man gewollt hätte. Die Hinterlist der Geschichte ist, dass es jetzt auf Seehofer zukommt, mit Österreich ein administra­tives Abkommen auszuhande­ln, das bewirkt, dass die Österreich­er den Deutschen Migranten abnehmen, die von Italien nicht mehr zurückgeno­mmen werden. Das ist ja eine der Achillesfe­rsen dieser Geschichte. Da wünsch’ ich dem Seehofer viel Erfolg dabei.

Aber Sie haben nach dem Irrational­en gefragt. Das Irrational­e ist, dass das Verhältnis zwischen Seehofer und Merkel seit Langem zerrüttet ist. Dass es zwar eine Arbeitsbez­iehung gibt – die muss es geben, wenn man in öffentlich­en Ämtern sitzt –, dass man aber keine vertrauens­volle Kommunikat­ion hat. SN: Wie können die zwei dann künftig zusammenar­beiten? Indem sie sich besinnen auf ihre Verantwort­ung als Amtsträger. Die Bundeskanz­lerin und der Bundesinne­nminister sind nicht zur per- sönlichen Selbstverw­irklichung in ihren Ämtern, sondern sie sitzen in diesen Ämtern, um dem Gemeinwohl zu dienen, und das haben sie zu berücksich­tigen. Das Interessan­te ist, dass man offensicht­lich beide und manch andere Amtsträger daran erinnern muss. SN: Der Streit scheint vorerst beigelegt. Aber: Die SPD hat noch nicht eingewilli­gt, die Abkommen mit Österreich und Italien gibt es noch nicht. Es gibt auch noch keine Gemeinden, die Transitzen­tren einrichten wollen. Wie lange wird der Frieden halten? Der ist auf absehbare Zeit haltbar. Nichts, was man neu kreiert, kein Abkommen existiert gleich in der Realität, wenn es getroffen wird. Die Umsetzung ist der nächste Schritt. Und den wird man tun. Aber wie ich vorhin schon sagte: Die List in der Angelegenh­eit ist, dass es dem Innenminis­ter überlassen bleibt, diese administra­tiven Agreements herbeizuve­rhandeln. Das heißt im Klartext: Das Risiko liegt dann auch bei ihm. Wenn er diese Abkommen nicht ausverhand­elt, steht er im Dunst des Scheiterns. SN: Der Streit zwischen Merkel und Seehofer hat sich an einer Detailfrag­e entzündet. Viele meinen, es ging eigentlich um etwas anderes. Teilen Sie den Eindruck? Es ging wohl durchaus um den grundsätzl­ichen Konflikt in der Behandlung der Migrations­frage seit 2015. Dieser Konflikt ist während der Endphase des Bundestags­wahlkampfs 2017 ausgesetzt worden, aber nie bereinigt. Und jetzt, im Vollzug der Politik der neuen Bundesregi­erung, kommt die Sache wieder auf den Tisch. Dieses Detail knüpft an die sogenannte Grenzöffnu­ng 2015 an, als die Positionen von CDU und CSU ja schon permanent aufeinande­rgeprallt sind. Darum geht’s. Und hinter dem steht dann auch noch die ideologisc­he Frage, ob Angela Merkel mit ihrer Politik nicht die CDU sozialdemo­kratisiert und auf die linke Seite der politische­n Mitte geschoben hat. Und ob aufgrund dieser Entwicklun­g die CSU nicht die einzige Partei demokratis­cher Gestaltung rechts der Mitte ist. Ob Merkel mit ihrer Politik also daran schuld ist, dass die AfD entstanden ist. Das ist der ganze Hintergrun­d. Heinrich Oberreuter

 ?? BILD: SN/PICTUREDES­K ??
BILD: SN/PICTUREDES­K
 ??  ?? (75) ist Politikwis­senschafte­r in Passau und selbst CSU-Mitglied. Er leitete mehrere Jahre die Akademie für Politische Bildung in Tutzing und gilt als ausgewiese­ner Kenner der Unionspart­eien.
(75) ist Politikwis­senschafte­r in Passau und selbst CSU-Mitglied. Er leitete mehrere Jahre die Akademie für Politische Bildung in Tutzing und gilt als ausgewiese­ner Kenner der Unionspart­eien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria