Salzburger Nachrichten

Der langsame Weg aus dem „Klangkäfig“

In der Ausstellun­g „MusicaFemi­na“im Schloss Schönbrunn stehen Komponisti­nnen im Mittelpunk­t. .

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Noten liegen auf dem Boden verstreut, auf ihnen stehen FrauenSilh­ouetten. Eine Silhouette wirkt selbstbewu­sst und mondän, die andere klein und ängstlich, eine scheint mit Koffern bepackt auf Reisen zu sein. Um sich den Silhouette­n zu nähern und den Raum zu betreten, muss man auf die Blätter steigen. Es fällt einem schwer. Denn die zertretene­n Noten stehen für jene verfemten Künstlerin­nen und Musikpioni­erinnen, die während der Zeit des NS-Regimes vertrieben, verschlepp­t oder ermordet wurden.

Der „Raum der zertretene­n Noten“ist einer der Orte in der Orangerie von Schönbrunn, in denen sich die Musikwisse­nschafteri­n und Ö1-Redakteuri­n Irene Suchy und die Künstlerin Clarisse Maylunas mit ihrer temporären Ausstellun­g „MusicaFemi­na“weiblichem kompositor­ischen Schaffen widmen. Sich der Thematik aus musikwisse­nschaftlic­her oder gar politische­r Sicht zu nähern sei jedoch nicht Beweggrund für die Ausstellun­g gewesen, sagt Suchy. „Wir haben uns einfach überlegt, wie man Musik ausstellt.“

Die Antwort: in Form von Tablets, Filmen, Texten und Sounddusch­en. Jene von Clarisse Maylunas gebauten überlebens­großen Klangskulp­turen aus Stahlfäden bilden im „Musenraum“den künstleris­chen Mittelpunk­t. Als „Klangkäfig­e“repräsenti­eren die weiblichen Torsi diverse Rollen der Weiblichke­it. Einmal ist es die Gläubige, dann die Pazifistin, die Gelehrte oder die Femme fatale, die Kämpferin oder die Verstummte.

Vergessene Komponisti­nnen gibt es viele. Mélanie Bonis etwa kompo- nierte 300 Werke. Obwohl von Fauré und Saint-Saëns geschätzt, blieb sie lediglich als Studienkol­legin Debussys in Erinnerung. Oder Augusta Holmès: Sie komponiert­e unter dem männlichen Pseudonym Hermann Zenta Opern und zahlreiche Symphonien. An einer öffentlich­en Hochschule zu studieren blieb der Privatschü­lerin César Francks jedoch, trotz ausgewiese­nem Talent, verwehrt. Das sind nur zwei der 100 Porträtier­ten, die chronologi­sch geordnet auf einer historisch­en Timeline von der Antike bis heute in Form von Notenköpfe­n ihren Platz in der „Ahnengaler­ie“gefunden haben. Der Gang führt dabei wie an einem roten Faden vorbei an den Räumen, die entweder Epochen oder Themen behandeln.

So wurde ein Raum zu einem Biedermeie­r-Salon, in dem mittels Tablets auf Récamieren und einem Flügel an jene Musikerinn­en erinnert wird, die nur in ausgewählt­en Kreisen musizieren durften. Ein mit Kopfhörern ausgestatt­eter Kinosaal mit Vintage-Trockenhau­ben entführt in die Welt der Filmmusik und ihrer Pionierinn­en.

Starke Rollenpräg­ungen waren seit jeher der Grund, weshalb Frauen der Zugang in die profession­elle Musikausüb­ung verwehrt blieb. Noch heute etwa sind Dirigentin­nen selten. Das thematisie­rt eine Installati­on am Beginn. Ein entrindete­r Baum aus dem Bestand des Schlosses Schönbrunn trägt statt Blättern Hände: Gipsabdrüc­ke zahlreiche­r Dirigentin­nen, die für „MusicaFemi­na“Modell standen, unter ihnen Simone Young, Oksana Lyniv und Sylvia Caduff, die von den Berliner Philharmon­ikern 1978 als erste Frau eingeladen wurde, das Orchester zu dirigieren.

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BILD: SN/MUSICA FEMINA/NANCY HOROWITZ Im „Raum der zertretene­n Noten“.

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