Salzburger Nachrichten

Ist Neymar ein Fußballgen­ie oder eine Nervensäge?

Der Superstar aus Brasilien entzweit die Fußballfan­s mehr denn je. Die Gründe für seine teils unsportlic­hen Verhaltens­weisen sind unergründl­ich.

- SN, dpa

Es war bereits 20.28 Uhr, als Neymar endlich aus der Kabine kam. Mit dem Pokal für den besten Spieler der Partie unter dem Arm schlendert­e Brasiliens Superstar durch die Mixed Zone. Seit dem Schlusspfi­ff des WM-Achtelfina­les gegen Mexiko waren bereits zweieinhal­b Stunden vergangen. Neymar hatte der Begegnung beim 2:0 wieder einmal seinen Stempel aufgedrück­t. Doch erneut hatte er sich dabei nicht auf sein riesiges fußballeri­sches Vermögen beschränkt, sondern durch Schauspiel­einlagen und Provokatio­nen wieder einmal die halbe Fußballwel­t gegen sich aufgebrach­t.

Warum macht er das? Wieso hat es ein Spieler, der zu den zwei, drei besten Fußballern auf diesem Planeten gehört, nötig, sich immer wieder voller Theatralik auf dem Rasen zu wälzen? Warum fällt er bei jeder noch so kleinen Berührung zu Boden und krümmt sich danach so lange, dass man befürchten muss, sein Karriereen­de sei nah? Neymar bleibt mit seiner Art ein Rätsel, auflösen mochte er es auch am Montag in Samara nicht.

Auf der Pressekonf­erenz war er den Fragen, auch mit Hilfe von Coach Tite, noch ausgewiche­n, die sich überwiegen­d um diese eine Szene Mitte der zweiten Halbzeit drehten. Da war ihm der Mexikaner Miguel Layún unmittelba­r vor der brasiliani­schen Bank leicht auf den Knöchel getreten, obwohl die Partie unterbroch­en war. Eine Aktion, die auch die Rote Karte nach sich hätte ziehen können. Doch da Neymar sich trotz der nur geringen Berührung krümmte und drehte und wälzte, als gebe es kein Morgen, verzichtet­e Schiedsric­hter Gianluca Rocchi auf einen Platzverwe­is.

„Es hat schon sehr wehgetan“, sagte der Stürmersta­r von Paris Saint-Germain. „Der Tritt war nicht fair.“Mehr wollte er dazu und zu weiteren Szenen, in denen er ebenfalls oscarreife Schauspiel­einlagen gezeigt hatte, nicht sagen. Dafür redeten andere.

Allen voran Mexikos Trainer Juan Carlos Osorio. Ungefragt attackiert­e der Kolumbiane­r Neymar auf das Schärfste. „Es ist eine Schande für den Fußball“, sagte Osorio, ohne Neymar direkt beim Namen zu nennen. „Das ist ein schlechtes Beispiel für die ganze Welt und all die Kinder vor dem Fernseher“, klagte der mexikanisc­he Coach. Und Übeltäter Layún meinte: „Er kümmert sich die ganze Zeit darum, auf dem Boden zu liegen. Wenn er liegen will, soll er sich zu Hause auf sein Bett legen.“

Neymar, Neymar, Neymar – der 222-Millionen-Euro-Mann von PSG dominiert jegliche Debatten über die Seleção. „Ich hatte schon Sorge, er stirbt“, sagte Dänemarks Ex-Nationalto­rwart Peter Schmeichel als Experte der BBC. Seine Qualitäten stünden außer Frage, sagte Englands Ex-Torjäger Alan Shearer. „Aber es nervt, dass er jedes Mal über den Rasen rollt, als sei er schwer misshandel­t worden. Warum in aller Welt macht er das?“

Eine Frage, die nur Neymar beantworte­n könnte. Doch der 26-Jährige, der natürlich von seinen Ge- genspieler­n öfter hart angegangen wird, scheut die großen Ausführung­en in der Öffentlich­keit. Er liebt das Drama. Vor dieser WM fiel der Angreifer wegen einer Verletzung monatelang aus, erneut hielt die gesamte Fußballnat­ion den Atem an. Wird Neymar rechtzeiti­g fit? Erreicht er wieder seine Topform?

Und eigentlich müsste genau das jetzt im Mittelpunk­t des Interesses stehen. Denn Neymar hat es zur WM geschafft, er nähert sich immer mehr seiner Bestform. Auch dank Neymars Steigerung von Spiel zu Spiel sind die Brasiliane­r inzwischen wieder Topfavorit auf den Titel. Der sechste WM-Sieg, der Hexampeona­to, rückt immer näher. Dank Neymar steht Brasilien im Viertelfin­ale gegen Belgien. Doch die Wahrheit ist auch: Dank Neymar redet niemand darüber.

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BILD: SN/APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSE­V Trotz aller Schauspiel­erei: Neymar wird so oft gefoult wie kaum ein anderer Spieler.
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