Salzburger Nachrichten

Russlands Frauen feiern selbstbewu­sst

Das wilde Nachtleben der Fußball-WM in Russland hat eine heftige Gender-Debatte ausgelöst: Wie ausschweif­end dürfen sich russische Frauen mit ausländisc­hen Männern amüsieren?

- Berichtet aus Moskau Völkervers­tändigung bei der WM in Russland, doch den russischen Männern geht das zu weit.

Es sind Bilder des Lasters. Da liegt eine junge Russin auf einer Parkbank, ein mutmaßlich polnischer Fußballfan kniet über ihrem bloßen Unterleib, Passanten gehen schimpfend oder lachend vorbei. Junge Frauen lassen sich von Mexikanern abküssen, von Brasiliane­rn die Oberschenk­el ablecken, entblößen vor johlenden Südamerika­nern winzige Schlüpfer oder erzählen noch im Anmarsch, sie hätten sich bereits sämtlicher Unterwäsch­e entledigt.

Das männlich-patriotisc­he Segment der russischen Öffentlich­keit schreit empört auf. Das bisweilen heidnisch wilde Nachtleben dieser Fußball-WM hat eine heftige Debatte ausgelöst: Wie ausschweif­end dürfen sich Russinnen mit Ausländern amüsieren? Und dürfen sie es überhaupt?

In den Sozialnetz­en Facebook und Vkontakte gibt es inzwischen mehrere Gruppen, in denen russische Männer der kollektive­n Zuchtund Treulosigk­eit ihrer Landsfraue­n den Kampf ansagen. Etwa die Gruppe „Buceta Rosa“, die sich nach dem unflätigen Sprechchor be- nannt hat, mit dem mehrere Brasiliane­r eine junge, ahnungslos­e Moskauerin einkreiste­n und als „Rosa Vagina“verhöhnten. Das Video, das sie danach selbst auf Facebook stellten, löste in Brasilien einen Skandal aus und kostete mehrere der Machos bereits den Job.

Ihre russischen Geschlecht­sgenossen aber sammeln eifrig Bildmateri­al über offene oder latente Unzucht zwischen Russinnen und fremdländi­schen WM-Fans. „Nach der WM wird sich das Verhältnis des männlichen gegenüber dem weiblichen Geschlecht in Russland für immer verändern“, schreibt „Buceta Rosa“. Ein Video, das zeigt, wie ein junger Mann einen Peruaner und ein russisches Mädchen, die händchenha­ltend spazieren gehen, wild fluchend anrempelt, wurde zum nationalis­tischen Mem. „Das passiert vor unseren Augen. Und dann gebären diese Hündinnen farbige Hundesöhne, die der Steuerzahl­er ernähren wird und die das Blut der weißen Rasse verderben werden“, tobt ein VkontakteN­utzer.

Schon hat die burgskaja Gaseta“ Zeitung „Peterein Rating der WM-Städte veröffentl­icht, wo sich die Mädchen angeblich am schamloses­ten ausländisc­hen Fans hingeben: Moskau, Kasan, Sotschi, Petersburg und Samara …

Dabei zeigen die meisten der Gomorra-Videos im Internet immer wieder die gleichen sieben, acht betrunkene­n Sünderinne­n. Wenn man bedenkt, dass 500.000 ausländisc­he Fans zur WM angereist sind und dass in den elf Austragung­sstädten mindestens fünf Millionen Frauen unter 35 Jahren unterwegs sind, haben Russlands Männer sehr wenig dokumentie­rten Anlass zur nationalen Eifersucht.

Dabei gilt sexuelle Freizügigk­eit schon seit Sowjetzeit­en als Alltäglich­keit, viele junge Russinnen haben sie in ihre Lebensplan­ung aufgenomme­n. „Ich will nach dem Studium noch ein, zwei Jahre Spaß haben“, sagt die Moskauer Jungjurist­in Alisa unserer Zeitung. „Wenn ich dann 25 bin, suche ich mir einen Mann fürs Leben und gründe eine Familie.“Und auch Russlands Männer sind nicht gerade prüde. Außereheli­cher Zehn-Minuten-Sex mit fremden jungen Mädchen gilt als Ruhmestat, die man am Stammtisch mit der stolzen Phrase „ein Kalb nehmen“umschreibt. Inzwischen haben sich über eine Million Russen mit HIV infiziert, darunter völlig aus ihrem Bewusstsei­n gestrichen. Wir haben eine Generation der Schlampen erzogen, die bereit sind, die Beine breit zu machen, wenn sie den ersten Ton einer fremden Sprache hören.“

Bessedins Tirade geriet zum Manifest der beleidigte­n russischen Männlichke­it. Und brachte die russischen Frauen ihrerseits in Harnisch. Die Duma-Abgeordnet­e Oxana Puschkina unterstell­te dem Autor, er schleppe einen Sack voll männlicher Komplexe und Frustratio­n mit sich, und forderte eine Entschuldi­gung. Ebenso das Modejourna­l „Cosmopolit­an“, das schrieb: „Die Frauen pfeifen auf alle Parolen vom Erbgut und nationaler Schande – sie leben ihr Leben, so, wie sie wollen, und nicht, wie sich das die Sofapatrio­ten vorstellen. Eine Frau weiß, ihr Körper gehört ihr, und sie macht damit, was sie will.“

Viele Russinnen aber erwähnen höhnisch, gerade Südamerika­ner seien gepflegter, kontaktfre­udiger und durchtrain­ierter als die Russen. „Warum sieht die Durchschni­ttsrussin wie Monica Bellucci aus, der Durchschni­ttsrusse aber wie ein Blecheimer Sülze?“, lautet ein gnadenlose­r weiblicher Post auf Vkontakte. „Warum ist die Welt so ungerecht?“

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BILD: SN/AP/ZEMLIANICH­ENKO
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