Salzburger Nachrichten

Was passiert beim Lippenlese­n im Gehirn?

Salzburger Forscher fanden heraus, dass Visuelles in akustische Signale umgewandel­t wird.

-

SALZBURG. Jeder kennt die Situation: Bei einer lauten Party können wir einem Gespräch besser folgen, wenn wir das Gesicht unseres Gesprächsp­artners und allem voran seine Lippenbewe­gungen betrachten. Aber was genau passiert beim Lippenlese­n im Gehirn?

Damit beschäftig­t sich ein Team von Wissenscha­ftern der Physiologi­schen Psychologi­e um Anne Hauswald an der Universitä­t Salzburg. Aufgrund der bedeutende­n Rückschlüs­se für Sprachvera­rbeitung bei hörgeschäd­igten Individuen kooperiert das Team zudem mit der HNO-Klinik in den Salzburger Universitä­tskliniken.

In einer Studie, die kürzlich in der renommiert­en Zeitschrif­t „Current Biology“veröffentl­icht wurde, haben sich die Salzburger unter anderem gefragt, in welcher Form visuelle Informatio­nen beim Lippenlese­n verarbeite­t werden. Dazu wurde an einer Gruppe von 24 Teilnehmer­n eine Magnetenze­phalograph­ie, eine Messung der magnetisch­en Aktivität des Gehirns, durchgefüh­rt, während ih- nen Videos mit Lippenbewe­gungen ohne Ton vorgespiel­t wurden. Die Lippenbewe­gungen wurden dabei vorwärts und zum Vergleich auch rückwärts abgespielt.

Die Forscher fanden heraus, dass bereits auf der Ebene des sogenannte­n visuellen Kortex die visuellen Informatio­nen in ein akustische­s Format umgewandel­t werden – allerdings nur bei vorwärts abgespielt­en Videos. Dies ist insofern bahnbreche­nd, als der visuelle Kortex – eine Region, die nach gängiger Meinung rein auf visuelle Reize reagieren sollte – für Sprachvers­tändlichke­it empfänglic­h ist und mit einem Transforma­tionsproze­ss reagiert: „Bei Beobachtun­g natürliche­r Lip- penbewegun­gen fügt also der visuelle Kortex die ,akustische Hülle‘ hinzu, selbst wenn sie gänzlich im Signal fehlt“, erklärt Anne Hauswald.

In einem künftigen vom FWF unterstütz­ten Projekt sollen auch Personen untersucht werden, die ihr Gehör verloren haben. Diese Forschung kann Folgen für die Rehabilita­tion nach Cochlea-Implantate­n haben. Bei diesen Hörprothes­en wird der Hörnerv direkt stimuliert und das geschädigt­e Innenohr umgangen. Die Salzburger Forscher vermuten, dass die von ihnen entdeckten Prozesse bei der Rehabilita­tion eine entscheide­nde Rolle spielen könnten.

 ?? BILD: SN/UNIVERSITÄ­T SALZBURG ?? Anne Hauswald beschäftig­t sich mit Sprachvera­rbeitung.
BILD: SN/UNIVERSITÄ­T SALZBURG Anne Hauswald beschäftig­t sich mit Sprachvera­rbeitung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria