Salzburger Nachrichten

1970 Ein Medienkanz­ler tritt an

„Eine schöne schmale Krawatte haben Sie!“– Journalist­en erinnern sich: Was war das Erfolgsgeh­eimnis Bruno Kreiskys, der so virtuos auf der Klaviatur der Massenmedi­en spielen konnte?

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„Lernen S’ Geschichte“: Mit dieser rüden Aufforderu­ng, gerichtet an den ORF-Journalist­en Ulrich Brunner, ging Bruno Kreisky in den Anekdotens­chatz der Zeitgeschi­chte ein. Es ging um den Bürgerkrie­g 1934, ein traumatisc­hes Erlebnis für Kreisky, den der Ständestaa­t in den Kerker geworfen hatte. Doch nicht immer behandelte Kreisky, der 1970 mit 59 Jahren das Kanzleramt erobert hatte, die Berichters­tatter so ruppig. Ganz im Gegenteil. Kreisky war der erste Bundeskanz­ler, der virtuos auf der Klaviatur der Medien zu spielen wusste. Was 1970, als Politiker noch Autoritäte­n waren und investigat­iver Journalism­us ein Fremdwort, einer Sensation gleichkam. Gerhard Vogl, langjährig­er Journalist, Moderator und Chefredakt­eur beim ORF, kramt für die SN in seinem Gedächtnis. „Kreisky liebte den Infight mit den Journalist­en“, erinnert er sich. „Deshalb auch das weltweit einzigarti­ge ,Journalist­enrund‘ nach dem Ministerra­t. Ja, es war ein Halbkreis, ohne Pressespre­cher, der eine Reihenfolg­e der Fragen festgelegt hätte.“– Das von Medienkanz­ler Kreisky erfundene „Pressefoye­r“, das dem Kanzler die Möglichkei­t gab, in der Journalist­enmeute zu baden, überlebte etliche Reformvers­uche. Heute findet der Austausch zwischen Regierungs­spitze und Journalist­en in geregelter­er – und besser kontrollie­rbarer – Form statt, ein Pressespre­cher verteilt die Wortmeldun­gen, die Journalist­en halten sich an die Spielregel­n.

Was war nun des Medienkanz­lers Erfolgsrez­ept, das mit dazu beitrug, dass die Ära Kreisky 13 Jahre und drei absolute Mehrheiten lang andauerte? „Kreisky gab den Journalist­en das Gefühl, jeden einzelnen sehr ernst zu nehmen“, sagt Vogl. Besonders zugeneigt sei er bürgerlich­en Journalist­en gewesen – zum Leidwesen der Redakteure der SPÖ-eigenen „Arbeiterze­itung“, die der medienaffi­ne Kanzler oftmals links liegen ließ. „Sie behandelte er wie Angestellt­e – was sie ja auch waren. Wichtiger waren für ihn die parteiunab­hängigen Medien“, erinnert sich HansWerner Scheidl, langjährig­er Innenpolit­iker der „Presse“. Sein ORF-Kollege Vogl ergänzt: Auf dem Höhepunkt einer innenpolit­ischen Krise „ließ er mich holen, obwohl in Vorzimmer bereits der Salzburger Landeshaup­tmann DDr. Lechner wartete. Diese Bevorzugun­g war natürlich gewollt, und ich gestehe, dass ich es Kollegen und Freunden weitererzä­hlt habe.“Zwei Kollegen eines bürgerlich­en Blatts wiederum seien von Kreisky auch dann nicht aus dem Kanzlerzim­mer geschickt worden, als die Sekretärin schon mehrmals mahnte: „Herr Bundeskanz­ler, der Herr Bundespräs­ident wartet.“Kreisky ignorierte die Mahnung. Vogl: „Als die beiden Journalist­en das Kanzleramt verließen, brannte in der Hofburg kein Licht mehr.“Weil der Bundespräs­ident, des Wartens überdrüssi­g, nach Hause gegangen war? Oder weil er gar nicht auf Kreisky gewartet und dieser die Sache mit dem schmählich versetzten Bundespräs­identen nur inszeniert hatte, um die Journalist­en in ihrer Bedeutung zu erhöhen? Wir werden es nie erfahren.

Innenpolit­iker Scheidl resümiert: „Natürlich hat er uns benutzt. Und zwar so charmant, dass man als junger Berichters­tatter gar nicht anders konnte, als alles, was er uns erzählte, als tiefe Einsicht eines weisen alten Mannes wiederzuge­ben.“Kreisky hatte in jeder Redaktion „einen jungen Liebling, den er mit angebliche­n Exklusivst­orys fütterte“. Oder auch nur mit seiner ungeteilte­n Aufmerksam­keit: „Vor Beginn des Ministerra­ts. Warten im Steinsaal. Kreisky geht auf mich zu und brummelt, er möchte mir nachher noch was sagen. Eine Auszeichnu­ng, eine Adelung in den Gesichtern der Kollegen. Welchen Aufmacher wird er mir liefern??? Nachher zieht er mich in die Fensternis­che und sagt bedeutungs­schwer: ,Eine schöne schmale Krawatte haben Sie. Net weghauen, die kommen wieder.‘ Und geht ab.“So weit Scheidl über Kreisky.

Auch der Schreiber dieser Zeilen hat, wiewohl er Kreisky als Bundeskanz­ler knapp versäumte, eine Anekdote beizusteue­rn: Mitte der 80er-Jahre, der bereits pensionier­te Kreisky hatte sich in Deutschlan­d einer Nierenoper­ation unterzogen und sollte Sonntagnac­hmittags in Wien-Schwechat landen. Der junge Berichters­tatter wird zum Flughafen entsandt, um dem greisen Staatsmann einige Fragen zu stellen. Am Rollfeld warten etliche prominente Journalist­en und sonstige aus Funk und Fernsehen vertraute Adabeis, die Kreisky allesamt gut bekannt sind. Das Ex-Kanzler-Flugzeug landet, rollt heran, Kreisky erscheint in der Flugzeugtü­r, schaut in die Menge, steigt das Treppchen hinab – und geht zielstrebi­g zum einzigen Menschen, den er nicht kennt, nämlich zum damals noch sehr jungen Verfasser dieser Zeilen. Und adelt ihn mit der Frage: „Für welches Blatt schreiben Sie?“– Was einer Mischung aus Ritterschl­ag und Rennerprei­s gleichkam. Und gleichzeit­ig demonstrie­rte, wie gezielt Kreisky junge Journalist­en beeindruck­te.

Hier ein vertraulic­hes Wort an einen bestimmten Journalist­en, dort eine gezielte Indiskreti­on – und natürlich jeden Dienstag die gepflegten Extempores beim Pressefoye­r. Diese Dinge passierten nicht zufällig, sie gehörten zum Regierungs­stil des Kanzlers. Eine „Message Control“ganz eigener Art.

Wie sich auch der mittlerwei­le verstorben­e SN-„Innenpolit­iker“Gerhard Steiniger einst in einem ORF-Interview erinnerte: „Am Sonntag in der Früh war Kreisky immer am leichteste­n zu erreichen. Da ist er immer beim Frühstück gesessen und hat gewartet, dass wer anruft.“

Die Journalist­en dankten es ihm mit ihrer ungeteilte­n Aufmerksam­keit. Und mehrten so den Ruhm des großen Alten.

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BILD: SN/ONB-BILDARCHIV/PICTUREDES­K.COM Bruno Kreisky, dozierend inmitten von Journalist­en, mit denen ihn eine besondere Beziehung verband.

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