Salzburger Nachrichten

Britisches Paar mit Nowitschok vergiftet

Der Fall weckt düstere Erinnerung­en an den Giftgasans­chlag auf den Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter.

- KATRIN PRIBYL

Opfer hatten ein Dorffest besucht

LONDON. Die Nachrichte­n ähneln auf erschrecke­nde Weise jenen, die Anfang März um die Welt gingen und Empörung auslösten: Zwei Menschen kämpfen im Krankenhau­s im südenglisc­hen Salisbury um ihr Leben, nachdem sie durch den Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sind. Das gab die Polizei am Mittwochab­end bekannt.

Die Ermittler bewerten den Vorfall als „schwerwieg­end“– nicht nur, weil die Opfer in Amesbury leben, nur knapp 13 Kilometer entfernt von der Kleinstadt Salisbury. Dort wurden vor vier Monaten der russische Ex-Doppelagen­t Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit einem Nervengas angegriffe­n. Die Regierung in London bezichtigt­e Moskau, hinter dem Attentat zu stecken. Der Kreml wies dies vehement zurück. Vater und Tochter Skripal geht es nun zwar besser. Die Beziehung zwischen dem Königreich und Russland hat sich aber kaum erholt.

Nun schweben erneut zwei Menschen in Lebensgefa­hr. Bei den beiden nun Betroffene­n handelt es sich den Behörden zufolge um ein Mann und eine Frau, die beide britische Staatsbürg­er seien.

Das Paar war am Samstagabe­nd bewusstlos in seinem Zuhause in dem pittoreske­n Städtchen Amesbury entdeckt worden. Zunächst glaubte die Polizei an eine Überdosis Heroin, Kokain oder Crack. Seit Mittwoch ermittelt neben der Polizei der Grafschaft Wiltshire auch die Anti-Terror-Einheit von Scotland Yard. Parks und andere öffentlich­e Orte, die die beiden zuletzt besucht haben, wurden abgesperrt. Vor einer Apotheke standen den ganzen Tag Beamte und in der ruhigen Wohnstraße, wo das Paar erst seit Kurzem lebt, sind Experten in Spezialanz­ügen zugange.

Offenbar haben die beiden am Samstag ein Dorffest mit rund 200 anderen Gästen besucht, veranstalt­et von der lokalen Baptistenk­irche. Diese blieb am Mittwoch ebenfalls geschlosse­n, obwohl die Behörden einem Sprecher zufolge nicht davon ausgehen, dass eine „erhebliche Gesundheit­sgefahr für die breite Öffentlich­keit“besteht. Es sei zu früh, um eine Aussage darüber zu treffen, ob es sich bei der eingesetzt­en Substanz um illegale Drogen oder „etwas Ernsthafte­res“handelt, hieß es aus Regierungs­kreisen in London. Doch man befasse sich mit dem Vorfall „verständli­cherweise“mit äußerster Seriosität, sagte ein Sprecher von Premiermin­isterin Theresa May.

Anschlag oder Unfall? Man gehe „unvoreinge­nommen“an den Sachverhal­t heran, ließ die Polizei wissen. Dennoch lassen die Ähnlichkei­ten zum Fall der Skripals aufhorchen. Dementspre­chend vorsichtig gehen auch die Rettungskr­äfte vor. So wird die Substanz derzeit von Chemiewaff­enexperten des Labors Porton Down untersucht, wo auch schon das Nervengift des Anschlags im März geprüft wurde.

Die Wissenscha­fter hatten dieses damals als einen hochtoxisc­hen chemischen Kampfstoff der sogenannte­n Nowitschok­Gruppe identifizi­ert, der in der früheren Sowjetunio­n entwickelt worden war.

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