Rückkehr an den Tatort Sotschi
Im Viertelfinale spielt Gastgeber Russland bei der Fußball-WM erstmals in Sotschi – dem Ort der Doping-Schande bei Olympia 2014. Endet das Sommermärchen der Sbornaja just in den Subtropen?
Wer stirbt schon gern unter Palmen? In Sotschi an der sonnigen Schwarzmeerküste will Russlands WM-Überraschungsteam jedenfalls sportlich überleben und damit Geschichte schreiben. Mit einem Sieg an diesem Samstag im funkelnden Fischt-Stadion gegen Kroatien (20 Uhr) würde der Turniergastgeber erstmals seit 1966 in ein WM-Halbfinale einziehen – die damalige Sowjetrepublik scheiterte seinerzeit an Deutschland (1:2). Für den großen Traum mobilisiert der Fußballverband die Massen: Allein aus Moskau, St. Petersburg und Rostow am Don rollen rund 6000 Fans in Sonderzügen zu den Glitzerfassaden im Olympiapark.
Damit hält gut vier Jahre nach den Olympischen Winterspielen der Weltsport erneut Einzug in Sotschi, in einen Ort, „der wohl wie kein anderer für die Zerrissenheit des ambitionierten russischen Sports steht“, wie die Zeitung „Kommersant“schreibt. Einerseits schuf Präsident Wladimir Putin in Sotschi ein neues Russland, wie Staatsmedien schwärmen. Mit viel Geld ließ der Kremlchef im Süden des Riesenreichs ein neues Zentrum entstehen, in dem auch die Formel 1 gastiert.
Doch der Medaillenflut für heimische Wintersportler folgte ein massiver Dopingskandal, wegen dem Russland immer noch am Pranger steht. „Sotschi ist für viele zum Inbegriff für möglicherweise staatlich organisierten Betrug geworden“, meint das Fachblatt „Sport-Express“. Gerade die HeimWM sollte da für die Strategen im Kreml für eine Art Neustart stehen, mit sauberen Sportlern und einer demonstrativen Willkommenskultur. Sollten die Russen ausgerechnet hier scheitern, wäre es ein melancholischer Abschied vom „Sommermärchen“.
„Für russische Fußballfans wirft Sotschi ein grelles Schlaglicht auf die Probleme des heimischen Fußballs“, sagt der Sportjournalist Wladimir Rausch. Das rund 700 Millionen Euro teure Fischt-Stadion mit 45.000 Plätzen hat keinen Heimverein. Fußball findet hier selten statt. Das soll sich ändern, und wie meist in Russland kommt der Impuls vom Staat. Damit es nach den sechs WMSpielen nicht zur völligen Verödung in Sotschi kommt, muss der Zweitligist Dynamo St. Petersburg vom Finnischen Meerbusen ans rund 2000 Kilometer entfernte Schwarze Meer umziehen. Nachhaltig ist das alles nicht, ähnlich sieht es in anderen WM-Spielorten aus – etwa in Wolgograd. „Dass sich im FischtStadion zum Beispiel gegen Tom Tomsk oder Fakel Woronesch viele Zuschauer einfinden, ist eher unwahrscheinlich“, meint Rausch.
Aber Sotschi steht wohl wie kein anderes Projekt für das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 vor Selbstbewusstsein strotzende Russland. Hier am Meer will sich das Riesenreich modern zeigen. Die luftige, bisweilen kühle Architektur soll an die Sommerfrische eines Ferienorts erinnern. Wie Schmucksteine funkeln Eisarenen und Stadien im Olympiapark.
Wie geht es weiter mit Sotschi? Zunächst soll der Ort nach dem Willen der russischen Organisatoren einmal als heller Punkt auf der Landkarte des Fußballs erstrahlen: mit einem Viertelfinalsieg gegen Kroatien. Für 17 Prozent der Russen ist das einer Umfrage zufolge sowieso nur ein Zwischenhalt – sie glauben an den WM-Titel für die Sbornaja. Vor einer Woche waren es nur acht Prozent. Der Sieg gegen Spanien hat Appetit gemacht.