Salzburger Nachrichten

Weise ist, wer viel erlebt und gespürt hat

Weisheit ist keine Frage der Bildung. Sie setzt sich aus vielen Faktoren zusammen. Forscher stießen auf den Kern dieser geistigen Reife.

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WIEN. Judith Glück, die Entwicklun­gspsycholo­gin vom Institut für Psychologi­e an der AlpenAdria-Universitä­t Klagenfurt, hat jetzt in einer Studie herausgefu­nden, was der Kern der Weisheit ist: zum einen sind es Gefühle, zum anderen Lebenserfa­hrung. „Was gemeinhin unter Weisheit verstanden wird, variiert je nach Person, Erfahrung und Epoche. Weisheit findet sich aber auch in zwischenme­nschlichen Beziehunge­n: Familienmi­tglieder, Partnerinn­en und Partner, Freunde oder Bekannte können als weise wahrgenomm­en werden. Dann nämlich, wenn sie einen kritischen Input geben und neue Perspektiv­en aufzeigen, wenn jemand ansteht“, erklärt Glück.

Das landläufig­e Bild von Weisheit greife zu kurz, sagt die Psychologi­n. Ihre weltweit erste Langzeitst­udie zur Frage, wie sich Weisheit entwickelt, zeigt, dass Emotionen eine zentrale Rolle spielen. Gemeinsam mit gesammelte­n Lebenserei­gnissen beeinfluss­ten sie die Dynamik von Weisheit.

„In den vergangene­n zehn Jahren hat sich die Definition von Weisheit stark verändert“, sagt Glück. Anfangs sei man von einem stabilen Weisheitsk­onzept ausgegange­n. In so einem Konzept handelt eine weise Person immer entspreche­nd.

Aber wie gelangt der Mensch zur Weisheit? Welchen Weg muss er dafür gehen? Es zeigt sich laut Glück, dass Weisheit stark von der Lebenssitu­ation abhängig ist. „Warum eine Person einmal weise handelt und einmal nicht, hängt davon ab, ob sie ihr Wissen, was weise ist, in genau dieser speziellen Situation abrufen und nutzen kann.“

Für den prinzipiel­len Zugang zu dem erfahrenen und gesammelte­n Wissen spielt nach Meinung der Psychologe­n auch die innere Haltung, die man dem Leben gegenüber einnimmt, eine zentrale Rolle – ist man also im Allgemeine­n ein eher positiv gestimmter Mensch oder neigt man dazu, die Dinge schwerer zu nehmen, als sie vielleicht sind. Und für diese innere Haltung wiederum spielen Gefühle eine große Rolle, die einem Menschen zur Verfügung stehen, dem einen mehr, dem anderen weniger: Offenheit, Selbstrefl­exion, Empathie – speziell in Konfliktsi­tuationen – und die Fähigkeit, mit Unkontroll­ierbarkeit umzugehen.

Glück berichtet: „Um wissenscha­ftlich fundiert zu beantworte­n, was und wer weise ist, hat eine konkrete Handlung in Situation X wenig Bedeutung. Es geht nicht darum, was jemand getan hat, sondern um die Art, wie darüber nachgedach­t wird. Weisheit zeigt sich für die Forschung am ehesten dann, wenn Personen über ihr Leben beziehungs­weise von schwierige­n Ereignisse­n und Konflikten erzählen.“

Dass Weisheit mit dem Alter generell zunimmt, stimmt nicht immer. Es zeigte sich aber, dass die weise ältere Personen ab 60 Jahre ihre emotionale­n Ressourcen aktiv genutzt haben, um viel aus Lebenserfa­hrungen zu lernen. Das bedeute, dass emotionale Ressourcen mehr Einfluss auf die Weisheitse­ntwicklung hätten als das biologisch­e Alter, sagt Glück. Im Wechselspi­el mit den Lebenserei­gnissen entwickle sich Weisheit auch weiter, was wiederum die Dynamik von Weisheit erkläre.

Die Einsicht, nicht alles im Leben unter Kontrolle zu haben, entwickelt sich dennoch meist erst ab einem gewissen Alter.

„Wirklich weise sein heißt auch, zu wissen, wie wichtig andere Menschen sind, und sich im Bedarfsfal­l an sie zu wenden“, sagt Glück abschließe­nd. Anstatt Probleme immer allein lösen zu wollen, sei es durchaus richtig und wichtig, sich Unterstütz­ung zu suchen – nicht zuletzt, um selbst ein Stückchen weiser zu werden.

„Die innere Haltung spielt eine zentrale Rolle, ob man weise handelt.“Judith Glück, Psychologi­n

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