Salzburger Nachrichten

Der „Professor“pfeift auf Zauberfußb­all

Brasiliens Nationaltr­ainer Tite hat den Spielstil der Seleção komplett verändert. Und ist damit äußerst erfolgreic­h.

- SN, dpa

Vielen ist schon sein Name ein Rätsel. Luiz Felipe Scolari hatte ja immerhin schon in Europa trainiert. Carlos Dunga spielte sogar mal in der Fußball-Bundesliga. Aber Tite? Im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern kannte den aktuellen Nationaltr­ainer Brasiliens außerhalb seiner Heimat kaum jemand. Dem 57-Jährigen aber ist das gelungen, was weder Dunga noch Scolari zuletzt geschafft haben: Tite hat die Seleção mit neuen Methoden zu alter Stärke geführt. Vor dem WM-Viertelfin­ale heute, Freitag (20 Uhr), gegen Belgien ist Tites Team das konstantes­te des Turniers.

Aber wieso ist die Arbeit von „Tschitschi“, so wird er ausgesproc­hen, so erfolgreic­h? Warum nennen ihn sogar Superstars wie der 222-Millionen-Euro-Angreifer Neymar „den Professor“? Und wieso eigentlich Tite, obwohl er doch mit bürgerlich­em Namen Adenor Leonardo Bachi heißt?

Daran hat Scolari Schuld. Als der junge Trainer Scolari vor vielen Jahren in einem Jugendspie­l den noch jüngeren Spieler Bachi begeistert beobachtet­e, wollte er ihn unbedingt verpflicht­en. Er ging zu seinen Clubbossen, schwärmte von der Nummer 10, diesem Tite – den wolle er in seinem Team haben. Die Nummer 10 aber war Bachi, Scolari verwechsel­te nur seinen Namen mit dem eines Mitspieler­s. So wurde aus Adenor Leonardo Bachi Tite.

Scolari und Tite sind sich anschließe­nd oft als Trainer begegnet. Der Ansatz der beiden aber könnte kaum unterschie­dlicher sein. Brasilien 2018 spielt längst nicht mehr wie Brasilien 2014 unter Scolari. Tites Team ist neben Uruguay das einzige Team bei der WM, das erst ein Gegentor kassiert hat. Wie keiner seiner Vorgänger setzt Tite auf taktische Disziplin und pfeift damit darauf, in jedem Spiel Zauberfußb­all zu zeigen. Egal ob Neymar, Coutinho oder Casemiro: Jedem seiner Spieler kommt in der Defensivar­beit eine klare Aufgabe zu – und jeder hält sich auch daran. Sieben Gegentore gegen Deutschlan­d? Das wäre unter Tite kaum vorstellba­r gewesen.

„Die Essenz eines großen Trainers ist es, das Beste aus seinem Team herauszuho­len“, sagte Tite. „Der Trainer muss seinen Stil der Mannschaft anpassen, nicht umgekehrt.“Tite und die Seleção passen scheinbar perfekt zueinander. Seit seinem Jobantritt im Sommer 2016 hat der Coach von 25 Partien erst eine mit den Brasiliane­rn verloren und erst sechs Gegentore hinnehmen müssen. Aber nicht nur die taktische Disziplin ist außergewöh­nlich, sondern auch sein Verhältnis zu den Spielern. Sechs der elf Stammspiel­er wie Thiago Silva, Paulinho oder Marcelo sind ohne ihren Vater aufgewachs­en.

Er habe vor einigen Jahren seine Karriere wegen persönlich­er Probleme schon beenden wollen, erzählte Paulinho, heute beim FC Barcelona. Dann habe er 2010 bei seinem Wechsel zu Corinthian­s Tite kennengele­rnt, der damals den Club aus São Paulo trainierte. „Ich habe dort den Mann getroffen, der mein Leben verändert hat und ein zweiter Vater für mich wurde – Professor Tite.“

Der Trainer muss seinen Stil dem Team anpassen, nicht umgekehrt. Tite, Brasilien

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