Je mehr, desto besser
Der ministerielle Ruf nach verbesserter Messbarkeit touristischen Erfolgs ruft zahlreiche Wertschöpfungsrechner auf den Plan. Dabei gäbe es schon bestehende Instrumente.
Es wird auch „Pi mal Daumen“gerechnet
SALZBURG. Der Tourismus-Boom bringt nicht nur Schönes. Lange Staus auf den Autobahnen und Touristenmassen, die sich durch Städte wälzen, gehören in den Sommermonaten vielerorts zum Alltag. Weggewischt werden diese unangenehmen Begleiterscheinungen oft mit dem Argument der Wertschöpfung, also dem vielen Geld für alle, die der Tourismus bringe.
Noch diesen Sommer sollen von der Fachhochschule Salzburg (FHS) und der in Innsbruck angesiedelten Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) die Zahlen kommen, wie stark Salzburgs Regionen vom Tourismus profitieren. Für Tirol gibt es das Ergebnis bereits: 6,7 Milliarden Euro kommen raus. Das ist insofern bemerkenswert, als Tirols Landeshauptmann Günther Platter vor wenigen Wochen für den Winter bekannt gab, dass dieser Wert die Rekordhöhe von 2,5 Milliarden Euro erreicht habe. Die Rückfrage zeigt: Bei der Rechnung der GAW liegt der Winter bei 4,22 Mrd. Euro Wertschöpfung, beim für das Land Tirol berechnenden Management Center Innsbruck (MCI) der Ganzjahreswert bei 4,1 Mrd. Euro.
„Wenn es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, liegt das zumeist an der unterschiedlichen Datenbasis. Manchmal liegt die Differenz auch an der Abschätzung gewisser Größen“, sagt MCI-Lektorin Tanja Hörtnagl, die seit Jahren die Werte für das Land Tirol berechnet. Bei näherer Betrachtung würden sich die Abweichungen in der Regel rasch erklären lassen.
In jüngster Zeit treten in Österreich mehrere Institutionen mit volkswirtschaftlichen Berechnungen an, wobei der Eindruck entsteht: Je mehr, desto besser. Das bezieht sich nicht nur auf die Zahl der Anbieter, sondern vor allem auf die Ergebnisse. Aber geht’s einer Branche besser, wenn sie ihren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach oben rechnet? Jein.
Denn höhere Ergebnisse stehen für gewonnene Macht im Verteilungskampf um Budgettöpfe und Funktionen. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die Vorgabe von Bundesministerin Elisabeth Köstinger für den Masterplan Tourismus („Plan T“) zu sehen: „Ein wesentliches Thema des neuen Masterplans wird die Messbarkeit von Erfolg sein. Dafür soll ein umfassendes und vor allem zukunftsgerichtetes Indikatorensystem geschaffen werden“, informierte sie den Ministerrat.
Doch das gebe es mit dem Tourismus-Satellitenkonto (TSA) im Prinzip schon seit vielen Jahren, sagt der Tourismusexperte der Statistik Austria, Peter Laimer. Auf Basis des gemeinsam mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) erstellten Instruments erreichten im Jahr 2017 die Tourismusaufwendungen von in- und ausländischen Reisenden in Österreich 41,64 Mrd. Euro (plus 3,6 Prozent gegenüber 2016). Die sich daraus ergebenden direkten und indirekten Wertschöpfungseffekte von 32,25 Mrd. Euro (plus 3,3 Prozent) trugen 8,7 Prozent zum BIP bei.
Weil jedoch von Kammerseite Tourismus- und Freizeitwirtschaft immer als Einheit betrachtet werden, verdoppelte sich dieser Wert nahezu auf zuletzt 15,9 Prozent. „Der besondere Wert des TSA liegt nicht zuletzt in der internationalen Vergleichbarkeit“, betont Laimer. Der Großteil der EU-Staaten und weltweit bis zu 70 Länder nutzen diese Berechnungsmethode.
Die Schwäche liegt innerhalb Österreichs. „Es wurde immer wieder vergeblich versucht, die Bundesländer ins Boot zu holen. Denn ohne diesbezüglichen Schulterschluss kann es keine vergleichbaren Ergebnisse geben“, sagt Laimer und hofft auf eine einheitliche Lösung. Es liegt an den Kosten, dass bisher nur wenige Bundesländer das TSA regelmäßig nutzen.
„Definition und methodischer Rahmen müssen zusammenpassen“, sagt Anna Kleissner, die mit „Economica“vor allem für die ecoplus Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich touristische Wertschöpfungsberechnungen anstellt. Die Anfangsanalyse sei dabei immer das Aufwendigste: „Besonders regional werden oft Studien mit Minibudgets vergeben, die dann von Beratern ,Pi mal Daumen‘ errechnet werden.“Aber es sei gefährlich, Multiplikatoren mit nationalen Durchschnittswerten einzusetzen. Tirol werde sich 2018 wieder als Bundesland das TSA errechnen lassen, erklärt Hörtnagl. Ohnehin basieren auch die saisonalen MCI-Berechnungen auf diesen Werten. „Zum Volumen der Tagesgäste und deren Ausgabeverhalten gibt es keine Statistiken. Dafür hat das MCI zum Teil eigene Erhebungen durchgeführt und berücksichtigt“, nennt Hörtnagl potenzielle Differenzen.
Auf einer gänzlich anderen Basis erarbeitet die GAW ihre Zahlen. Sie geht von der Auswertung der T-Mona-Urlauberbefragungen aus. GAW-Sprecher Stefan Haigner ist unter anderem Lehrbeauftragter an der FH Salzburg. In dieser Funktion erarbeitete er die noch unveröffentlichten Zahlen der FHS für Salzburg. Tirol habe die GAW aus wissenschaftlichem Interesse und für die Bewertung der Salzburger Ergebnisse als Eigenstudie produziert. „Wir sind die Einzigen, die im Sinne der touristischen Destinationen bewerten“, ist Haigner überzeugt.
Weiters berücksichtigt GAW auch die induzierten Effekte. Das sind die Konsumausgaben, die durch touristisch bedingte Einkommen verursacht werden. So kommt Haigner auf für Tirol überraschende Ergebnisse. Während in Tourismushochburgen wie Serfaus indirekte und induzierte Effekte gleich null sind, verfünffacht sich in der zentralen Destination „Innsbruck und seine Feriendörfer“die Wertschöpfung durch deren Berücksichtigung auf 1,18 Milliarden Euro.
Noch drastischer ist der Effekt bei der Region Hall-Wattens, die von unter 30 Mill. Euro direkter Wertschöpfung auf weit über 200 Mill. Euro explodiert. Des Rätsels Lösung ist wohl die dort angesiedelte Swarovski samt Kristallwelt. Im Landesschnitt seien von der Wertschöpfung die Hälfte direkt, 16 Prozent indirekt und ein Drittel induziert. Jedenfalls bestätigt Haigners Modell anschaulich, wie der Nutzen von Tourismus weit über den Beherbergungsort hinausreicht. Was all diesen Berechnungen bisher fehlt, ist jedoch die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Effekte. Etwa die Kosten für eine CO2Kompensation des Verkehrsaufkommens.