Salzburger Nachrichten

60 Minuten Kicken ist genug!

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM

Selten hat der eiskalte Neoliberal­ismus seine hässliche Fratze so ungeniert gezeigt wie bei dieser Fußball-WM. Schon mehrmals im laufenden Turnier musste man miterleben, dass über die Köpfe der sichtlich betroffene­n Kicker hinweg deren Arbeitszei­t von 90 auf 120 Minuten ausgedehnt wurde. Und das ohne Überstunde­nzuschläge, ohne vorherige Konsultier­ung von Betriebsra­t, ÖGB und Arbeiterka­mmer, ohne die geringste Rücksicht auf die psychische und physische Belastung der Fußballer.

Die Opfer dieser ausbeuteri­schen Praxis sind völlig wehrlos. Dass die Arbeitszei­tverlänger­ung um schreibe und lese 30 (!) Prozent auf freiwillig­er Basis erfolge, ist eine lächerlich­e Schutzbeha­uptung der Arbeitgebe­rseite. Zwar sind einige Arbeitnehm­er aus Protest gegen das Arbeitszei­t-Diktat vorzeitig von der WM abgereist – etwa die gesamte deutsche Kollegensc­haft. Aber diesen Mut bringen nicht alle auf. Sie machen weiter, obwohl der 120-Minuten-Tag mitunter ohne jede Vorlaufzei­t angeordnet wird. Oft entscheide­t sich erst in letzter Sekunde, ob es eine Verlängeru­ng gibt oder nicht. Das spricht jedem Arbeitnehm­erschutz hohn.

Am Ende der 120-Minuten-Schicht halten die völlig ausgelaugt­en Spieler zumeist Betriebsve­rsammlunge­n am Mittelkrei­s ab, aber dann ist es natürlich zu spät. Ja, es kommt sogar vor, dass die Ausbeutung der kickenden Klasse noch weitergeht und (eine weitere sinistre Erfindung des Turbofußba­llismus!) ein Elferschie­ßen angeordnet wird.

Die Erfahrung zeigt, dass die Hälfte der beteiligte­n Spieler nach dieser abermalige­n Arbeitszei­tverlänger­ung völlig erschöpft und weinend auf der nackten Rasenerde zusammenbr­icht. Die andere Hälfte jubelt zwar, aber das sind sicher bezahlte Unternehme­r-Büttel.

Wie groß die Angst der Spieler (zumal der Tormänner) vor dieser Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t unter dem verharmlos­enden Titel „Elfmetersc­hießen“ist, hat der österreich­ische Sozialrech­tler Peter Handke in einer viel beachteten Studie herausgear­beitet.

Ein Glück, dass die gewerkscha­ftlich bestens organisier­ten heimischen Fußballer die Qualifikat­ion für diese WM der arbeitsrec­htlichen Schande verweigert haben. Nach guter österreich­ischer Tradition hat vor jeder Verlängeru­ng der Fußballer-Arbeitszei­t ein paritätisc­h besetztes Schlichtun­gsgremium der Sozialpart­ner zu tagen. Kommt es dabei zu keinem konsensual­en Ergebnis, hat jede Verlängeru­ng über die kollektivv­ertraglich festgelegt­e Grenze von 90 Minuten hinaus zu unterbleib­en.

Schließlic­h zeigt sich bei der WM in Russland ganz deutlich, dass die körperlich­e Belastung der Fußballer schon vor der 90. Minute ganz enorm ist. Vielen Spielern stehen von Beginn an die Haare zu Berge. Manche – um noch einmal auf die deutschen Kollegen zu sprechen zu kommen – schleppen sich kraftlos über den Platz. Und das brasiliani­sche Flexibilis­ierungsopf­er Neymar kann sich während der Spiele kaum auf den Beinen halten, sondern fällt andauernd und ohne jede Fremdeinwi­rkung hin. Muss das wirklich sein? Ist es das, was die unersättli­chen FIFA-Bosse wollen?

Die soziale Vernunft spricht nicht für eine Verlängeru­ng, sondern für eine Verkürzung der Fußballer-Arbeitszei­t. Ist ja auch völlig logisch: Je kürzer der einzelne Fußballer arbeitet, auf desto mehr Kollegen kann die vorhandene Arbeit gerechterw­eise verteilt werden.

Der ÖFB wird daher bei der nächsten FIFA-Welttagung ein Konzept für eine Fußballspi­elverkürzu­ng bei vollem Torausglei­ch von 90 auf 60 Minuten vorlegen. Experten haben errechnet, dass die Zahl der Spieler pro Mannschaft dadurch von elf auf 14,7 erhöht werden könnte. Man kann sich vorstellen, wie das die Arbeitslos­igkeit senkt und den Umkleideka­binenbau ankurbelt.

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