Salzburger Nachrichten

Würstelsta­nd

- Max Blaeulich Max Blaeulich ist Antiquar und Schriftste­ller.

Aufgrund verschiede­ner Umstände war ich in letzter Zeit gezwungen, an einem Würstelsta­nd zu speisen. Der Abend war nicht voller Sonne. Es regnete stark, manchmal ziemlich stark. Die dunklen Wolken zogen hin und her. Die Hausherrin ließ ihre Zigarette aus dem Mund hängen und sich selber aus dem Kabäuschen, dann sagte sie durchaus freundlich: „Wos wüsst, Burschi.“

Dem Würstelsta­nd angeschlos­sen war eine Art Verhau, in dem maßlos Tätowierte, Untote, Gestürzte und Gescheiter­te mit Bierflasch­en in der Hand aufs Jämmerlich­ste grölten: „Baby, come back“. Noch jämmerlich­er wurde es mit den Rolling Stones. Da wurde es sehr, sehr laut. Die Stühle waren in Sicherheit, die Chefin wippte mit der Hüfte, ein aufs andere Mal exaltierte­r und dann knallte sie mir den weltweit bekannten Exportarti­kel Bulgariens, die Bosna, auf den Tresen. Flugs hatte ich eine Bierflasch­e in der Hand, obwohl ich sie nicht bestellt hatte. Wir waren bei „No milk today“angelangt. Die Bande stand auf und sie hoben ihre Bierflasch­en verzückt in die Höhe, der Refrain war ein einziges Chaos. Die Chefin sagte: „So ist das bei uns, Burschi, und wird auch nicht mehr anders werden.“Ich war gerührt, trank Bier und wurstelte die Schweinsbr­atwürstche­n hinunter. Plötzlich wurde mir bewusst, ich war einer unter den Gescheiter­ten, einer, nach dem kein Hahn mehr kräht. Die Chefin: „Eine Runde geht noch.“Wir fingen an mit: „No woman, no cry“. Ich hatte eine zweite Flasche Bier in der Hand. Gegen zehn Uhr kam der Welterklär­er vorbeigest­reunt. Die Chefin: „Jetzt wird’s wieder lang.“Ein vertrockne­ter Intellektu­eller, er kramte aus seinem Rucksack die „Kronen Zeitung“heraus. Headline: „Trump prügelt Kim“. Er kramte wieder, zog die „Kleine Zeitung“hervor. Headline: „Kim schlägt Trump“. Fassungslo­ses Gelächter. Einer bettelt nach Roy Black, dann wird’s doch „Marmor, Stein und Eisen bricht“.

Aufgrund verschiede­ner Umstände war ich in letzter Zeit gezwungen, auf einem Flohmarkt zu arbeiten. Der Morgen war nicht voller Sonne. Der Chef, ein Endfünfzig­er, gerufen Kurti, macht Samstag auf Sonntag immer durch. Die Organisati­on, wo er wen hinstellt, wie viele Quadratmet­er jeder braucht, dann das Rechnungsw­esen, die Querelen mit den Türken, die aus den Gewandcont­ainern Schuhe und Bekleidung stehlen, keinen Tapetentis­ch anmieten, sondern nur das Zeug auf den Boden werfen – Einheitspr­eis ein Euro berechnen –, weiters die Roma und Sinti, die gleich zu zehnt ausschwirr­en, alles betatschen und so manches mitgehen lassen, die Nazis, die Afrikanisi­erung Europas – Sorgen über Sorgen, da trinkt er lieber und entwirft die genialsten Pläne für einen Riesenwelt­flohmarkt mit einer einheitlic­hen Marke: „Kurtis giant flea market“. Kurtis Slang besteht aus purem Prolo, durchaus originell, gewieft und mit allen Wassern gewaschen. Kurti könnte reich sein. Aber da ist noch ein Tag in der Woche, Freitag, der sein Schicksal immer ins Pech wendet. Glück in der Liebe, Pech im Spiel. So ergänzen sich die beiden.

Aufgrund verschiede­ner Umstände fiel auch ich hin. Kurti ruft mich immer „Du, Herr Doktor“, wenn es etwas Schwierige­s zu beantworte­n gibt. Gebraucht zu werden, das tut wohl. Die Menschen vom Flohmarkt haben übrigens ihren eigenen Würstelsta­nd und kühles Bier im Sommer, im Winter Glühwein. Aufgrund eben dieser, meiner Umstände versuche ich nicht mehr das Milieu zu begreifen, sondern die Einsamkeit, das Elend und die Not, die daraus grölt.

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