Die Kratzbürste und die Torte
ICHbin eine begnadete Köchin, und das kann ich bei aller sonst an den Tag gelegten Bescheidenheit tatsächlich von mir behaupten. Wer die Mitglieder meiner Familie fragt, wird nur Zustimmung ernten. Oder ein stummes Nicken, denn mit vollem Mund spricht bei uns keiner. Meine Kompetenz ist allerdings fast so etwas wie ein kleines Wunder.
Früher, als ich noch eine „Kratzbürste“war, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, hatte ich kein Interesse, mich zu kulinarischer Produktivität motivieren zu lassen. Aber dann bin ich sozusagen auf dem Postweg zur Legende geworden. Begonnen hat alles mit einem Auslandsjahr in Australien. Die 16-jährige Kratzbürste war nach Sydney geflogen und lebte dort bei einer wunderbaren Gastfamilie. Warum es mich ausgerechnet ans andere Ende der Welt gezogen hat, war für meine Großmutter übrigens ein Rätsel. Denn wenn ich Englisch lernen wollte, dann ließe sich das doch auch im Vereinigten Königreich bewerkstelligen. Das war nicht so weit weg und dort sprach man auch ein viel schöneres Englisch. Und die Telefongespräche wären nur halb so teuer. Mein Hinweis, Australien sei immerhin Teil des Commonwealth, konnte die offensichtlichen Nachteile nicht aufwiegen.
Und dann, nach dem ersten halben Jahr, war ich so weit. Ich bat meine Großmutter – während eines sehr teuren Telefongesprächs (für die Jüngeren unter den Lesern: WhatsApp gab es Anfang der 1990er noch nicht) –, ob sie mir nicht bitte ein Rezept für Sachertorte und eines für Apfelstrudel schicken könnte. Die Australier sollten mit allen Sinnen erfahren, was ihnen in ihrem ansonsten so paradiesischen Teil der Welt abging: die Nachspeisen meiner Großmutter. Ihr Brief erreichte mich Tage später – und ist bis heute mein Begleiter. In schwungvoller und gleichzeitig strenger Handschrift äußerte sie zunächst ihr Bedauern, dass ich sie „nicht schon früher“um Rat gefragt hatte. Die Sachertorte und auch der mürbe Apfelstrudel wurden ein Renner bei meiner Gastfamilie. Und das Rezept für Topfenknödel, das meine Großmutter ungefragt mitgeschickt hatte, ist schon oft zum Einsatz gekommen. Ich koche und backe stets nach Rezept, deshalb nehme ich den Brief auch heute noch zur Hand, wenn ich die Geburtstagstorte für eines meiner Kinder mache. Es muss immer eine Sachertorte sein, und es muss immer genau diese Sachertorte sein – halb mit Mehl, halb mit geriebenen Nüssen. Und während ich darauf warte, dass die Torte im Ofen fertigbäckt, lese ich den Brief meiner Großmutter. „Oft sehe ich in Dein Zimmer, lüfte fleißig und denke an Dich“, schreibt sie. So eine schlimme „Kratzbürste“kann ich also doch nicht gewesen sein.