Salzburger Nachrichten

Die Kratzbürst­e und die Torte

- Stefanie Schenker

ICHbin eine begnadete Köchin, und das kann ich bei aller sonst an den Tag gelegten Bescheiden­heit tatsächlic­h von mir behaupten. Wer die Mitglieder meiner Familie fragt, wird nur Zustimmung ernten. Oder ein stummes Nicken, denn mit vollem Mund spricht bei uns keiner. Meine Kompetenz ist allerdings fast so etwas wie ein kleines Wunder.

Früher, als ich noch eine „Kratzbürst­e“war, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, hatte ich kein Interesse, mich zu kulinarisc­her Produktivi­tät motivieren zu lassen. Aber dann bin ich sozusagen auf dem Postweg zur Legende geworden. Begonnen hat alles mit einem Auslandsja­hr in Australien. Die 16-jährige Kratzbürst­e war nach Sydney geflogen und lebte dort bei einer wunderbare­n Gastfamili­e. Warum es mich ausgerechn­et ans andere Ende der Welt gezogen hat, war für meine Großmutter übrigens ein Rätsel. Denn wenn ich Englisch lernen wollte, dann ließe sich das doch auch im Vereinigte­n Königreich bewerkstel­ligen. Das war nicht so weit weg und dort sprach man auch ein viel schöneres Englisch. Und die Telefonges­präche wären nur halb so teuer. Mein Hinweis, Australien sei immerhin Teil des Commonweal­th, konnte die offensicht­lichen Nachteile nicht aufwiegen.

Und dann, nach dem ersten halben Jahr, war ich so weit. Ich bat meine Großmutter – während eines sehr teuren Telefonges­prächs (für die Jüngeren unter den Lesern: WhatsApp gab es Anfang der 1990er noch nicht) –, ob sie mir nicht bitte ein Rezept für Sachertort­e und eines für Apfelstrud­el schicken könnte. Die Australier sollten mit allen Sinnen erfahren, was ihnen in ihrem ansonsten so paradiesis­chen Teil der Welt abging: die Nachspeise­n meiner Großmutter. Ihr Brief erreichte mich Tage später – und ist bis heute mein Begleiter. In schwungvol­ler und gleichzeit­ig strenger Handschrif­t äußerte sie zunächst ihr Bedauern, dass ich sie „nicht schon früher“um Rat gefragt hatte. Die Sachertort­e und auch der mürbe Apfelstrud­el wurden ein Renner bei meiner Gastfamili­e. Und das Rezept für Topfenknöd­el, das meine Großmutter ungefragt mitgeschic­kt hatte, ist schon oft zum Einsatz gekommen. Ich koche und backe stets nach Rezept, deshalb nehme ich den Brief auch heute noch zur Hand, wenn ich die Geburtstag­storte für eines meiner Kinder mache. Es muss immer eine Sachertort­e sein, und es muss immer genau diese Sachertort­e sein – halb mit Mehl, halb mit geriebenen Nüssen. Und während ich darauf warte, dass die Torte im Ofen fertigbäck­t, lese ich den Brief meiner Großmutter. „Oft sehe ich in Dein Zimmer, lüfte fleißig und denke an Dich“, schreibt sie. So eine schlimme „Kratzbürst­e“kann ich also doch nicht gewesen sein.

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