Mehr Leistung, bitte!
Der Mensch als Produktionsfaktor. Berechenbar, messbar, einpreisbar – und natürlich immer fleißig, auch gern zwölf Stunden pro Tag. So soll er sein, der „Leistungsträger“von heute. Doch die Idee vom bewertbaren Menschen konkurriert mit jener vom wertvoll
„Wo woar mei Leistung?“Walter Meischbergers verzweifelte Fragen in nächtlichen Telefonaten mit Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, wie er über zehn Millionen Euro Provisionsgeld argumentieren sollte, sind nicht nur vor Gericht gelandet, sondern auch als Pointe im Kabarett. Aber jetzt ist Schluss mit lustig.
Wer Leistung beziehen will, muss zuerst selbst Leistung erbringen. Wer mehr leistet, hat mehr vom Staat – so lautet das Credo der türkis-blauen Regierung und des österreichischen Bundeskanzlers. Er wiederholt es so unermüdlich, als wolle er damit das Abbeten des Rosenkranzes ersetzen. Ob es sich nun um die Bilanz von Institutionen wie der AUVA handelt oder um die Reduktion von Sozialleistungen durch den Staat, Kürzung des Arbeitslosengelds, Auflösung der Notstandshilfe und Reduktion der Mindestsicherung, um „Durchschummlern“das Handwerk zu legen.
Maßnahmen wie diese verstärken nicht nur Leistungsdruck und Entsolidarisierung, sondern auch die Angst vor Abstieg und um die soziale Identität. Österreich ist ein Beispiel für das globale Leistungsparadigma. Unter der Devise „Jeder ist seines Glückes Schmied“fährt man Erfolg als individuelle Leistung ein und Misserfolg als selbst verschuldetes Versagen. Die Historikerin Nina Verheyen widerspricht dieser gängigen Philosophie in ihrem Buch „Die Erfindung der Leistung“und stellt fest: Individuelle Leistung ist eine „soziale Konstruktion“, die real nicht existiert.
Es gebe keine erfolgreichen Politiker ohne Partner, keine Skispringer ohne Team, keine berühmten Chirurgen ohne Assistenzärzte und Schwestern, keine ausgezeichnete Schülerin ohne Lehrer, Eltern und Klassengemeinschaft. „Der heutige Leistungsbegriff bildete sich erst zusammen mit der Massengesellschaft heraus, also gegen Ende des 19. Jahrhunderts“, schreibt sie.
Noch etwa im Jahr 1800 findet man ganz andere Vorstellungen im bürgerlichen Tugenddiskurs. Mit dem egozentrierten „optimierungswütigen, produktivitäts- und effizienzorientierten Leistungsverständnis der Gegenwart“haben sie wenig zu tun – im Gegenteil aber mit Gemeinsinn: „Nicht das Übertrumpfen von anderen, sondern anderen zu dienen war in dieser Epoche ausgesprochen wichtig, das Leisten von Gesellschaft, eine freudvolle, auf Wechselseitigkeit angelegte Tätigkeit, die sich exakten Messungen entzog“, so Verheyen.
Vergessen ist auch, dass Leistung mit Revolution verbunden wurde: mit dem Aufstand des Bürgertums gegen den Adel. „Der Aristokrat war derjenige, der, ohne etwas zu leisten, gut gelebt hat, parasitär, von seinen Privilegien, seinem Erbrecht, von den Bauern“, erklärt Philosoph Konrad Paul Liessmann. „Der Gegenentwurf ist der Bürgerliche mit seiner Chance, im Leben weiterzukommen. Er baut etwas auf. Aus eigener Leistung, nicht dank Herkunft und Erbe.“
Erst mit den Erkenntnissen der empirischen Wissenschaften des 19. Jahrhunderts und der Entwicklung von „Horsepower“zu „Manpower“wurde Leistung messbar, vermessbar, vergleichbar. Die neue Lust des Zeitgeists am Einordnen, Zuordnen, Benoten und Bewerten spiegelte sich in der Erfindung des IQ-Tests ebenso wider wie in der Einführung der Olympischen Spiele. Oder in der erfolgskonzentrierten Erziehung der Kleinkinder und einem exzessiven Schuldrill – weshalb in der deutschsprachigen Literatur um 1900 auch der Topos „Schülerselbstmord“auftaucht.
Nicht aus Liebesnöten wie Goethes Werther, sondern aus massivem Leistungsdruck nehmen sich junge Menschen das Leben. Bekanntestes Beispiel ist der Suizid des Moritz Stiefel in Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“, der dem Konkurrenzanspruch nicht standhalten kann. Dazu passt der 1904 erschienene Ratgeber mit dem vielversprechenden Titel: „Wie man Karriere macht. Der Weg zum Erfolg.“
Auch Thomas Mann beschreibt die Protagonisten seiner Novelle „Wälsungenblut“, das erotisch verbundene Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde, ziemlich heutig: „Sie gingen hinweg über das, was Absicht, Gesinnung, Traum und ringender Wille geblieben war, sie bestanden erbarmungslos auf dem Können, der Leistung, dem Erfolg im grausamen Wettstreit der Kräfte.“
Leistung kommt aus dem germanischen „laistjan“, das bedeutete „einer Spur nachgehen, eine Spur hinterlassen, jemandem Gefolgschaft leisten“. Inzwischen steht der Begriff für ein System der Kontrolle und permanenter Bewährung, auch in Familie und Freizeit, Sex und (Hochleistungs-)Sport – mit psychischen Defekten, Erschöpfung, Krankheit als Folgen. Sogar im Internet bestimmen Likes, Followers und Clicks den Erfolg. Darwins Konzept „survival of the fittest“stammt zwar aus dem 19. Jahrhundert, spaltet aber mehr denn je zwischen oben und unten, Arm und Reich. Und ist weit entfernt von Marx’ Forderung „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.
Wer nicht durchhält, verliert seinen Wert. „Wer seine Arbeit wie zum Beispiel politisches oder soziales Handeln in den kapitalistischen Kreislauf einspeist, kurbelt diesen nicht an und liefert keine Leistung“, analysiert Liessmann die Entwicklung zur „Bewertungsgesellschaft“, in der überall Feedback und Evaluierung eingefordert werden: bei den Plattformen Tripadvisor oder Booking.com, im Einkaufszentrum oder am Theater.
Diese Unterordnung unter „Verwertungszusammenhänge“bedeutet auch, dass jeder die Evaluierung von Leistung als Selbstoptimierung verinnerlicht hat. Nur in der Kunst leben noch Reste der barocken Idee weiter, wonach der Mensch nach seiner Qualität „honoriert“wird. Zum Beispiel erhalte ein Werk seinen Wert erst mit der Signatur des Künstlers, meint die Künstlerin Elisabeth von Samsonow. Sonst sei das Maß, das Leistung bestätigt: Geld. „Das ist pure Prostitution. Der Mensch wird nach der von ihm hergestellten käuflichen Ware bewertet. Er ist auch nicht mehr Seelenbesitzer, sondern Kaufkraftbesitzer. Zeige mir deine Kreditkarte und ich weiß, was du wert bist.“
Freilich bleibt der Unterschied zwischen einem Menschen mit mechanischer, inhaltsleerer Arbeit und einem, der selbst etwas schafft und den „Wert der Leistung im Geleisteten“erkennt. Für den Psychoanalytiker Alfred Pritz, der mit drei Kolleginnen in 15 Jahren die Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien und fünf Dependancen in Europa aufgebaut hat, ist Leistung mit Motivation im Bunde: „Da ist eine Idee, ich bin überzeugt davon und will sie umsetzen. Das ist der Antrieb. In der Bewertung gibt es kein einheitliches Maß. Der Benefiz der Leistung ist, wenn sie Sinn macht.“
Oder wenn Leistung jenseits von Bewertung ihren Sinn erfüllt. Da vielleicht bald Maschinen die Arbeit übernehmen werden, könnten wir ein Leben führen wie die Aristokraten im alten Athen. Dazu Liessmann: „Wir könnten im Sinne der antiken Muße nichts tun oder Dinge tun, die einen Wert in sich haben – und nicht um bewertet zu werden, sondern weil es uns wichtig ist, sie zu tun. Aber: Wir leben in einer Bewertungsgesellschaft und damit wird die Leistungsgesellschaft perpetuiert.“
In allen Lebensbereichen wird sie beschworen, gemessen, belohnt, bejubelt und vor allem bewertet: die Leistung. Einst Inbegriff der bürgerlichen Revolte, heute Mittel der Kontrolle und Maßstab der Identität. SIBYLLE FRITSCH
Wir könnten wieder nichts tun oder Dinge, die inneren Wert haben. Konrad Paul Liessmann Philosoph
Der Leistungsbegriff bildete sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Nina Verheyen Historikerin