der Marshallplan gefehlt hätte?
Die USA pumpten nach 1945 Milliarden Dollar in den Wiederaufbau Europas. Ohne die Hilfe wäre der Aufschwung langsamer gekommen. Profitiert hätten mancherorts die Kommunisten.
Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach dem Zweiten Weltkrieg ist untrennbar mit dem Namen eines amerikanischen Generals und Außenministers verknüpft: George C. Marshall. Das nach ihm benannte Konjunkturprogramm wurde zur großen Hoffnung für Nachkriegseuropa. Der Marshallplan sei angesichts der kommunistischen Bedrohung „die beste Antwort auf die an die freie Welt gerichtete Herausforderung“. So zitierten die „Salzburger Nachrichten“den amerikanischen Präsidenten Harry Truman, nachdem dieser am 3. April 1948 das Hilfsprogramm unterzeichnet hatte.
Österreich war eines von 16 europäischen Empfängerländern beim „European Recovery Program“(ERP). Knapp eine Milliarde Dollar flossen nach Österreich. Sachgüter wie Nahrungsmittel, Kohle, Traktoren und Maschinen wurden kostenlos geliefert und hierzulande verkauft. Die Einnahmen gingen auf ein Sonderkonto der Oesterreichischen Nationalbank – das sogenannte Counterpart-Konto (später ERP-Fonds). Dieser Topf diente der Eigenfinanzierung des Wiederaufbaus, indem günstige Kredite an Firmen vergeben wurden. Österreich musste die Hilfe – im Gegensatz zu anderen Empfängerländern – nicht zurückzahlen. Mit dem Programm verfolgten die USA auch ein politisches Ziel: das Zurückdrängen des sowjetischen Einflusses in Europa.
Was aber wäre gewesen, hätte es den Marshallplan nicht gegeben?
Die wirtschaftliche Erholung Europas nach dem Krieg wäre deutlich langsamer gekommen. „Ohne den Marshallplan hätte der Wiederaufbau wesentlich länger gedauert und bei Weitem nicht diese Kraft entwickelt“, sagt der Wirtschaftshistoriker Christian Dirninger. Der Nahrungsmangel sei schließlich nicht das einzige Problem gewesen. Die Infrastruktur sei zerstört gewesen, Maschinen, Saatgut, Kapital hätten gefehlt.
„Manche Investitionen wären nicht getätigt worden“, betont der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber, und er nennt zwei Beispiele: Die Breitbandstraße in der VOEST – eine Produktionsstraße für die Stahlverarbeitung – wäre ohne die Marshallhilfe möglicherweise nicht gebaut worden. Auch der Bau des Kraftwerks Kaprun wäre nicht so schnell erfolgt.
Dass anstatt der Amerikaner die Russen mit Wirtschaftshilfe eingesprungen wären und sich Mitteleuropa nicht nach Westen, sondern eher nach Osten hin orientiert hätte, ist praktisch nicht vorstellbar. Die Sowjetunion verfügte nicht über die Mittel, um annähernd so viel Unterstützung zu bieten wie die USA. Die Sowjets zogen im Gegenteil die Ressourcen aus Österreich ab – vor allem über die sowjetisch verwalteten USIA-Betriebe, deren Gewinne die Besatzungsmacht kassierte. Die Russen „hätten sicher keine Aufbaustrategie gefahren“, sagt Dirninger. So sieht es auch der Historiker und Politologe Robert Kriechbaumer: „Die Sowjetunion war ja ökonomisch gesehen überhaupt nicht in der Lage, ein Pendant zum Marshallplan anzubieten.“Der Sowjetunion hätten ganz klar die Ressourcen dazu gefehlt.
Wäre es denkbar, dass ohne Hilfe aus Washington oder Moskau wieder Wirtschaftskrisen gefolgt wären samt hoher Arbeitslosigkeit, ähnlich wie in den 1930erJahren – gefolgt vom Aufstieg politischer Extremisten?
Auch wenn sich Geschichte nicht in gleicher Form wiederholt, kann man davon ausgehen, dass es wirtschaftliche und soziale Probleme gegeben hätte. Ein Ausbleiben der Wirtschaftshilfe hätte in etlichen Ländern zu einer politischen Radikalisierung geführt. Davon geht Robert Kriechbaumer aus. In Italien und Frankreich hätten Kommunisten in Koalitionen mit Linkssozialisten wohl die Annäherung an die Sowjetunion gesucht, sagt der Forscher. Österreich dagegen wäre eine solche Entwicklung vermutlich erspart geblieben. „In Österreich war ja der größere Teil der Sozialdemokraten strikt antikommunistisch – mit Ausnahme des linken Parteiflügels.“
Immer wieder taucht die Behauptung auf, der Marshallplan werde überbewertet, da der Aufschwung ohnehin gekommen wäre. Allerdings wird dabei übersehen, welche Impulse von dem Programm ausgingen. Die Hilfe zur Selbsthilfe gab den Europäern Vertrauen in die Zukunft. Die positive psychologische Wirkung betont auch Kriechbaumer. „Das ist ja heute auch so: Wenn das Vertrauen da ist und Hoffnung geweckt wird, sind die Leute ganz anders motiviert und haben eine andere Einstellung.“Und Wirtschaftsexperte Sandgruber ergänzt: „Gerade in Österreich muss man den Marshallplan sehr hoch einschätzen. Österreich hat so viel bekommen – und das gratis.“