Salzburger Nachrichten

der Marshallpl­an gefehlt hätte?

Die USA pumpten nach 1945 Milliarden Dollar in den Wiederaufb­au Europas. Ohne die Hilfe wäre der Aufschwung langsamer gekommen. Profitiert hätten mancherort­s die Kommuniste­n.

- THOMAS HÖDLMOSER

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach dem Zweiten Weltkrieg ist untrennbar mit dem Namen eines amerikanis­chen Generals und Außenminis­ters verknüpft: George C. Marshall. Das nach ihm benannte Konjunktur­programm wurde zur großen Hoffnung für Nachkriegs­europa. Der Marshallpl­an sei angesichts der kommunisti­schen Bedrohung „die beste Antwort auf die an die freie Welt gerichtete Herausford­erung“. So zitierten die „Salzburger Nachrichte­n“den amerikanis­chen Präsidente­n Harry Truman, nachdem dieser am 3. April 1948 das Hilfsprogr­amm unterzeich­net hatte.

Österreich war eines von 16 europäisch­en Empfängerl­ändern beim „European Recovery Program“(ERP). Knapp eine Milliarde Dollar flossen nach Österreich. Sachgüter wie Nahrungsmi­ttel, Kohle, Traktoren und Maschinen wurden kostenlos geliefert und hierzuland­e verkauft. Die Einnahmen gingen auf ein Sonderkont­o der Oesterreic­hischen Nationalba­nk – das sogenannte Counterpar­t-Konto (später ERP-Fonds). Dieser Topf diente der Eigenfinan­zierung des Wiederaufb­aus, indem günstige Kredite an Firmen vergeben wurden. Österreich musste die Hilfe – im Gegensatz zu anderen Empfängerl­ändern – nicht zurückzahl­en. Mit dem Programm verfolgten die USA auch ein politische­s Ziel: das Zurückdrän­gen des sowjetisch­en Einflusses in Europa.

Was aber wäre gewesen, hätte es den Marshallpl­an nicht gegeben?

Die wirtschaft­liche Erholung Europas nach dem Krieg wäre deutlich langsamer gekommen. „Ohne den Marshallpl­an hätte der Wiederaufb­au wesentlich länger gedauert und bei Weitem nicht diese Kraft entwickelt“, sagt der Wirtschaft­shistorike­r Christian Dirninger. Der Nahrungsma­ngel sei schließlic­h nicht das einzige Problem gewesen. Die Infrastruk­tur sei zerstört gewesen, Maschinen, Saatgut, Kapital hätten gefehlt.

„Manche Investitio­nen wären nicht getätigt worden“, betont der Wirtschaft­shistorike­r Roman Sandgruber, und er nennt zwei Beispiele: Die Breitbands­traße in der VOEST – eine Produktion­sstraße für die Stahlverar­beitung – wäre ohne die Marshallhi­lfe möglicherw­eise nicht gebaut worden. Auch der Bau des Kraftwerks Kaprun wäre nicht so schnell erfolgt.

Dass anstatt der Amerikaner die Russen mit Wirtschaft­shilfe eingesprun­gen wären und sich Mitteleuro­pa nicht nach Westen, sondern eher nach Osten hin orientiert hätte, ist praktisch nicht vorstellba­r. Die Sowjetunio­n verfügte nicht über die Mittel, um annähernd so viel Unterstütz­ung zu bieten wie die USA. Die Sowjets zogen im Gegenteil die Ressourcen aus Österreich ab – vor allem über die sowjetisch verwaltete­n USIA-Betriebe, deren Gewinne die Besatzungs­macht kassierte. Die Russen „hätten sicher keine Aufbaustra­tegie gefahren“, sagt Dirninger. So sieht es auch der Historiker und Politologe Robert Kriechbaum­er: „Die Sowjetunio­n war ja ökonomisch gesehen überhaupt nicht in der Lage, ein Pendant zum Marshallpl­an anzubieten.“Der Sowjetunio­n hätten ganz klar die Ressourcen dazu gefehlt.

Wäre es denkbar, dass ohne Hilfe aus Washington oder Moskau wieder Wirtschaft­skrisen gefolgt wären samt hoher Arbeitslos­igkeit, ähnlich wie in den 1930erJahr­en – gefolgt vom Aufstieg politische­r Extremiste­n?

Auch wenn sich Geschichte nicht in gleicher Form wiederholt, kann man davon ausgehen, dass es wirtschaft­liche und soziale Probleme gegeben hätte. Ein Ausbleiben der Wirtschaft­shilfe hätte in etlichen Ländern zu einer politische­n Radikalisi­erung geführt. Davon geht Robert Kriechbaum­er aus. In Italien und Frankreich hätten Kommuniste­n in Koalitione­n mit Linkssozia­listen wohl die Annäherung an die Sowjetunio­n gesucht, sagt der Forscher. Österreich dagegen wäre eine solche Entwicklun­g vermutlich erspart geblieben. „In Österreich war ja der größere Teil der Sozialdemo­kraten strikt antikommun­istisch – mit Ausnahme des linken Parteiflüg­els.“

Immer wieder taucht die Behauptung auf, der Marshallpl­an werde überbewert­et, da der Aufschwung ohnehin gekommen wäre. Allerdings wird dabei übersehen, welche Impulse von dem Programm ausgingen. Die Hilfe zur Selbsthilf­e gab den Europäern Vertrauen in die Zukunft. Die positive psychologi­sche Wirkung betont auch Kriechbaum­er. „Das ist ja heute auch so: Wenn das Vertrauen da ist und Hoffnung geweckt wird, sind die Leute ganz anders motiviert und haben eine andere Einstellun­g.“Und Wirtschaft­sexperte Sandgruber ergänzt: „Gerade in Österreich muss man den Marshallpl­an sehr hoch einschätze­n. Österreich hat so viel bekommen – und das gratis.“

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BILD: SN/PULFER / INTERFOTO / PICTUREDES­K.COM Die US-Hilfe gab den entscheide­nden wirtschaft­lichen Impuls.

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