Salzburger Nachrichten

Der Mann mit dem eisernen Handschuh

Wo der Mensch gut is(s)t. Julian Grössinger­s Weiserhof ist kein Wirtshaus: Er ist eine Botschaft.

- PETER GNAIGER (TEXT), MARCO RIEBLER (BILDER) Weiserhof, Salzburg, Weiserhofs­traße 4, Tel.: 0662/872267, www.weiserhof.at

Die Warnung der AGES war unmissvers­tändlich: Rückrufgru­nd: Bakteriell­e Kontaminat­ion. Auch die Inverkehrb­ringer, Mindesthal­tbarkeit und Chargennum­mer des Produkts wurden genannt. Gemeint waren Chicken Wings. Ein in Plastik verpacktes Fertiggeri­cht. Über den Verursache­r der Kontaminat­ion hat die AGES auch eine Strophe verfasst: Die Warnung besagt nicht, dass das Sicherheit­srisiko vom Erzeuger, Hersteller, Importeur oder Vertreiber verursacht wurde. Aha. Wenn wir nun alle genannten Unschuldsl­ämmer abziehen, dann bleiben am Ende nur noch zwei Verdächtig­e übrig: Das sind der liebe Gott und – ja, genau: Sie – der Konsument. Und wie zum Hohn trägt der Konsument an dieser Entwicklun­g ja tatsächlic­h die Hauptschul­d: Weil er seit Jahrzehnte­n Fertigfutt­er kauft. Mutters Küche ist out. Internatio­nal agierende Mutterkonz­erne für Lebensmitt­el sind in. Der Weiserhof hinter dem Salzburger Hauptbahnh­of gilt seit 13 Jahren als eine Art gallisches Dorf für Genießer. Aufgebaut wurde dieser Ruf von Roland Essl. Er meinte einmal: „Früher gab es in der Küche nur Bio-Abfall. Heute gibt es nur noch PlastikAbf­all.“Im Weiserhof ist das anders. Auch bei Essls Nachfolger, Julian Grössinger. Bei ihm können Sie seit April essen, wie es zuletzt vor 60 Jahren möglich war. Grössinger verarbeite­t Tiere im Ganzen. Er war auch lange Haubenkoch. Da hat er sich beim Anblick von Tausenden vakuumverp­ackten Filets gefragt, wo denn der Rest dieser Tiere ist.

Grössinger erzählt gern von „seinen Tieren“. Aber auch von „seinem Metzger“(für unsere Freunde in Wien: Fleischhau­er) in Lochen. Das ist Sepp Hauer. Er geht ihm so oft zur Hand, wie nur irgendwie möglich. Es ist ein trauriges Versäumnis, dass dem Beruf „Metzger“von unserer Gesellscha­ft so wenig Achtung gezollt wird. Metzger ist ein wichtiger Beruf, dem ein Zauber innewohnt. Schon die alten Griechen kannten für den Metzger, den Mediziner, den Koch nur ein Wort: Mageiros. Dieses Wort setzt Fachwissen voraus. Das haben heute nicht mehr viele. Grössinger hat es. Er weiß, wie man Tiere fachgerech­t zerlegt, und er weiß, wie man alle Teile richtig zubereitet. Das führt uns zum Arzt: In den USA wird die Hühnersupp­e bis heute Jewish Penicillin genannt, weil sie die Grippe im Keim erstickt. Fertigfutt­er darf heute ungestraft als Körperverl­etzung bezeichnet werden. Handgemach­te Speisen und Kräuter galten dagegen vor gar nicht langer Zeit noch als Heilmittel.

Dabei ist natürlich die Qualität des Fleisches von größter Bedeutung. Grössinger bezieht sein Rindfleisc­h von den vier Rauchenbic­hl-Bauern. Also von jenen, die auf dem hinteren Plainberg artgerecht­e Tierhaltun­g betreiben. Die Schweine halten Grössinger und Hauer in Lochen selbst. „Schwäbisch-Hällische“, sagt Grössinger mit einem – ja, doch: verliebten Blick. Und da ist noch die Familie Eigenherr, die auf dem Heuberg einen Hof mit Masthühner­n, Wachteln und aus Südamerika stammenden Moschusent­en betreibt. Die Angus-Herde der Eigenherrs ist schon auf 35 Tiere angewachse­n.

In einer gesunden Landwirtsc­haft weiß man: Töten gehört zum Leben. Erst recht, wenn man seine Tiere liebt. Grausam ist die industriel­le Tierhaltun­g – und die Wildnis sowieso. Kein Mensch will sehen, wie ein Tier gerissen wird oder langsam stirbt und dann verfault. Auf einem Bauernhof werden die Tiere umsorgt und gepflegt. Und zwar so lange, bis sie nicht einmal mehr den Knall des Bolzenschu­ssgeräts hören.

Dann beginnt die Verarbeitu­ng: vom Herz bis zur Milz, von der Beiried bis zur Lunge. „Alles ist gut“, sagt Grössinger. Für die Suppe macht er Milzschnit­ten, Leberknöde­l und Lungenstru­del. Heute empfiehlt er noch geschmolze­nen Kalbskopf, gesottene Rindszunge, Milchkalbs­schulter mit Leber und geschmorte Schweinsba­ckerl. Genial ist auch sein Gulasch Julasch, aber auch seine feurigen Paprika-Kutteln und die „Geröstete Leber“sowieso.

Glauben Sie uns: Grössinger hat im Weiserhof so viele Fleischtei­le auf der Karte – man könnte daraus glatt wieder ein ganzes „Frankensch­wein“neu zusammenba­uen. So was kann wirklich nur ein Mageiros.

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„Alles ist gut“: Julian Grössinger verarbeite­t im Weiserhof alle genießbare­n Fleischtei­le von Tieren. Er hat aber auch ein gutes Händchen für vegetarisc­he Küche.
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