Der Mann mit dem eisernen Handschuh
Wo der Mensch gut is(s)t. Julian Grössingers Weiserhof ist kein Wirtshaus: Er ist eine Botschaft.
Die Warnung der AGES war unmissverständlich: Rückrufgrund: Bakterielle Kontamination. Auch die Inverkehrbringer, Mindesthaltbarkeit und Chargennummer des Produkts wurden genannt. Gemeint waren Chicken Wings. Ein in Plastik verpacktes Fertiggericht. Über den Verursacher der Kontamination hat die AGES auch eine Strophe verfasst: Die Warnung besagt nicht, dass das Sicherheitsrisiko vom Erzeuger, Hersteller, Importeur oder Vertreiber verursacht wurde. Aha. Wenn wir nun alle genannten Unschuldslämmer abziehen, dann bleiben am Ende nur noch zwei Verdächtige übrig: Das sind der liebe Gott und – ja, genau: Sie – der Konsument. Und wie zum Hohn trägt der Konsument an dieser Entwicklung ja tatsächlich die Hauptschuld: Weil er seit Jahrzehnten Fertigfutter kauft. Mutters Küche ist out. International agierende Mutterkonzerne für Lebensmittel sind in. Der Weiserhof hinter dem Salzburger Hauptbahnhof gilt seit 13 Jahren als eine Art gallisches Dorf für Genießer. Aufgebaut wurde dieser Ruf von Roland Essl. Er meinte einmal: „Früher gab es in der Küche nur Bio-Abfall. Heute gibt es nur noch PlastikAbfall.“Im Weiserhof ist das anders. Auch bei Essls Nachfolger, Julian Grössinger. Bei ihm können Sie seit April essen, wie es zuletzt vor 60 Jahren möglich war. Grössinger verarbeitet Tiere im Ganzen. Er war auch lange Haubenkoch. Da hat er sich beim Anblick von Tausenden vakuumverpackten Filets gefragt, wo denn der Rest dieser Tiere ist.
Grössinger erzählt gern von „seinen Tieren“. Aber auch von „seinem Metzger“(für unsere Freunde in Wien: Fleischhauer) in Lochen. Das ist Sepp Hauer. Er geht ihm so oft zur Hand, wie nur irgendwie möglich. Es ist ein trauriges Versäumnis, dass dem Beruf „Metzger“von unserer Gesellschaft so wenig Achtung gezollt wird. Metzger ist ein wichtiger Beruf, dem ein Zauber innewohnt. Schon die alten Griechen kannten für den Metzger, den Mediziner, den Koch nur ein Wort: Mageiros. Dieses Wort setzt Fachwissen voraus. Das haben heute nicht mehr viele. Grössinger hat es. Er weiß, wie man Tiere fachgerecht zerlegt, und er weiß, wie man alle Teile richtig zubereitet. Das führt uns zum Arzt: In den USA wird die Hühnersuppe bis heute Jewish Penicillin genannt, weil sie die Grippe im Keim erstickt. Fertigfutter darf heute ungestraft als Körperverletzung bezeichnet werden. Handgemachte Speisen und Kräuter galten dagegen vor gar nicht langer Zeit noch als Heilmittel.
Dabei ist natürlich die Qualität des Fleisches von größter Bedeutung. Grössinger bezieht sein Rindfleisch von den vier Rauchenbichl-Bauern. Also von jenen, die auf dem hinteren Plainberg artgerechte Tierhaltung betreiben. Die Schweine halten Grössinger und Hauer in Lochen selbst. „Schwäbisch-Hällische“, sagt Grössinger mit einem – ja, doch: verliebten Blick. Und da ist noch die Familie Eigenherr, die auf dem Heuberg einen Hof mit Masthühnern, Wachteln und aus Südamerika stammenden Moschusenten betreibt. Die Angus-Herde der Eigenherrs ist schon auf 35 Tiere angewachsen.
In einer gesunden Landwirtschaft weiß man: Töten gehört zum Leben. Erst recht, wenn man seine Tiere liebt. Grausam ist die industrielle Tierhaltung – und die Wildnis sowieso. Kein Mensch will sehen, wie ein Tier gerissen wird oder langsam stirbt und dann verfault. Auf einem Bauernhof werden die Tiere umsorgt und gepflegt. Und zwar so lange, bis sie nicht einmal mehr den Knall des Bolzenschussgeräts hören.
Dann beginnt die Verarbeitung: vom Herz bis zur Milz, von der Beiried bis zur Lunge. „Alles ist gut“, sagt Grössinger. Für die Suppe macht er Milzschnitten, Leberknödel und Lungenstrudel. Heute empfiehlt er noch geschmolzenen Kalbskopf, gesottene Rindszunge, Milchkalbsschulter mit Leber und geschmorte Schweinsbackerl. Genial ist auch sein Gulasch Julasch, aber auch seine feurigen Paprika-Kutteln und die „Geröstete Leber“sowieso.
Glauben Sie uns: Grössinger hat im Weiserhof so viele Fleischteile auf der Karte – man könnte daraus glatt wieder ein ganzes „Frankenschwein“neu zusammenbauen. So was kann wirklich nur ein Mageiros.