Salzburger Nachrichten

Ist Arbeit ein Grundbedür­fnis?

Lebensunte­rhalt, Statussymb­ol, Grundbedür­fnis. Was ist ausschlagg­ebend für jeden Einzelnen, sich tagtäglich auf den Weg zur Arbeit zu machen?

- SARAH MERL

Warum stehen wir jeden Tag erneut auf, um uns durch Verkehrsch­aos und Stau in Richtung Arbeit zu manövriere­n? Reicht die Erwirtscha­ftung des Lebensunte­rhalts aus, um sich dauerhaft zu motivieren? Ist Arbeit ein Grundbedür­fnis, oder braucht es schon mehr Anreiz?

Arbeit ist für die meisten Menschen Teil des Lebens – ob sie nun als Mittel zum Zweck gesehen wird oder doch mehr bedeutet. Sprich: Spaß macht und Sinn bringt. Eine aktuelle Studie namens „Kompass neue Arbeitswel­t“hat dieses Thema unter die Lupe genommen – 1000 berufstäti­ge Österreich­er zwischen 18 und 65 Jahren wurden dafür von Marketagen­t zurate gezogen.

Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, zu arbeiten, um den Lebensunte­rhalt bestreiten zu können. Den zweiten Platz (29 Prozent) belegt allerdings bereits der Spaß: Etwa jeder dritte Österreich­er empfindet Vergnügen bei dem, was er arbeitet. Bei Personen in leitender Position steht der Spaß an der Tätigkeit sogar an erster Stelle.

Laut Psychologi­e ist der Spaßfaktor im Arbeitsleb­en generell wesentlich­er, als man vielleicht glauben möchte: „Spaß ist sehr wichtig, weil er motivieren­d wirkt. Auf die Dauer kann kein Mensch eine Tätigkeit ausüben, die ihm widerstreb­t oder seine Entwicklun­g verhindert“, erklärt Andrea Geister, Klinische und Gesundheit­spsycholog­in.

Geht man nach der Studie, wünschen sich neun von zehn Befragten Sinnhaftig­keit im Job. Dass der Mensch einen gewissen Grad an Sinn in seinem täglichen Tun braucht, meint auch Harald Pichler: „Eine sinnerfüll­te Aufgabe ermöglicht uns Engagement und Leistung, selbst wenn die Rahmenbedi­ngungen frustriere­nd und demotivier­end sind.“Der Unternehme­nsberater weiter: „Wenn die Tätigkeit für uns eine Bedeutung hat, dann zieht uns das Sinnmotiv über Hinderniss­e hinweg.“Wie schaut die Realität aus? Rund 45 Prozent der Interviewt­en finden ihren Job sinnvoll, wobei Chefs und leitende Angestellt­e ihre Tätigkeit in höherem Ausmaß als sinnhaft betrachten.

Für beinahe jeden Dritten sind die Nähe zum Wohnort, flexible Arbeitszei­ten sowie eine interessan­te Aufgabe für das Berufslebe­n ebenfalls wichtig. Des Weiteren sieht ein Viertel der Befragten den Arbeitspla­tz als Statussymb­ol: Vor allem junge Menschen definieren sich über ihren Job. Das ist besonders bei Frauen oft der Fall. Junge Männer sehen ihren Beruf im Vergleich dazu weniger stark als Symbol ihres Images. „Dass die Menschen ihre Arbeit als Statussymb­ol sehen, geht auf das Grundbedür­fnis nach Anerkennun­g zurück“, sagt Geister.

Grundbedür­fnis oder nicht Grundbedür­fnis?

Um zur ursprüngli­chen Frage zurückzuke­hren: Ist Arbeit nun ein menschlich­es Grundbedür­fnis oder nicht? Für sechs von zehn Österreich­ern in jedem Fall – das gilt vor allem für die Altersgrup­pe der 18- bis 24-Jährigen wie auch die Generation „50 plus“. Im Vergleich dazu empfindet nur etwa jeder zehnte Befragte Arbeit als Belastung beziehungs­weise „Geißel der Menschheit“. Geister sieht die Lage wie folgt: „Arbeit deckt wichtige Grundbedür­fnisse der Menschen ab. Dazu gehören Sicherheit, Bindung, Wertschätz­ung und soziale Integrität. Aber natürlich auch die Weiterentw­icklung eines jeden Einzelnen.“Es geht aus psychologi­scher Sicht nicht nur ums Geld: „Das Ergebnis der Arbeit ist, dass man eine Entlohnung bekommt. Nicht nur finanziell. Arbeit nimmt auch sämtliche Ängste. Dadurch wird vor allem das Bedürfnis der Sicherheit abgedeckt.“

Zentraler Aspekt in der Gesellscha­ft

Warum finden wir uns nun jeden Tag aufs Neue bei der Arbeit wieder? „Das hat unterschie­dliche Gründe. Unter anderem, weil Arbeit einen zentralen Bereich in der Gesellscha­ft darstellt“, erläutert Geister. Ihr zufolge bietet Arbeit Struktur und deckt vor allem die Grundbedür­fnisse des Menschen ab. Wobei sich der Zugang im Laufe der Jahre ändert. „Am Anfang des Arbeitsleb­ens geht es mehr um den Schutz der eigenen Person, später rückt die Weiterentw­icklung in den Fokus“, so die Psychologi­n. Dass sich die Anreize im Laufe der Jahre verändern, brachte auch die Studie zum Vorschein: Mit fortschrei­tendem Alter wird es für Arbeitnehm­er beispielsw­eise immer wichtiger, einer spannenden Tätigkeit nachzugehe­n.

Der Grund dafür? „Der Mensch strebt stets nach mehr“, betont Geister. Um auf lange Sicht im Berufslebe­n zufrieden zu sein, muss es daher (laut Psychologi­e) auch immer einen neuen Ansporn und Veränderun­gsmöglichk­eiten beziehungs­weise Aufstiegsc­hancen geben.

Der Mensch strebt stets nach mehr. Andrea Geister Klinische und Gesundheit­spsycholog­in

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