Salzburger Nachrichten

Es rumort im Münchner Haus der Kunst

In dem renommiert­en bayerische­n Ausstellun­gshaus hat sich ein Finanzdesa­ster zusammenge­braut.

- Bernhard Spies, Haus der Kunst

Dicht waren die Bilder gehängt, sehr dicht sogar – das muss man im Münchner Haus der Kunst mit seinen riesigen Dimensione­n erst einmal schaffen. Doch dessen ehemaliger Direktor Okwui Enwezor schien fest entschloss­en, mit der Mega-Schau „Postwar“( von Oktober 2016 bis März 2017) nicht nur die Sinne der Besucher überfluten, sondern auch Kunstgesch­ichte schreiben zu wollen – koste es, was es wolle. Aus dem angesetzte­n Ausstellun­gsbudget von 1,2 Millionen Euro wurden am Ende 4,5 Millionen. Dieses irritieren­de Missverhäl­tnis hat nun Bernhard Spies, der neue kaufmännis­che Direktor, mit konkreten Beträgen belegt.

Vor zehn Jahren holte Bernhard Spies die Bundeskuns­thalle in Bonn aus den roten Zahlen. Seit April dieses Jahres beschäftig­t er sich damit, das Haus der Kunst aus der finanziell­en Schieflage zu führen. Das ist stellenwei­se ein Tappen im Dunkeln. Die Buchführun­g sei zwar „ordentlich gemacht worden“, betont der 68-Jährige, allerdings habe man nicht festgehalt­en, welche Aufträge vergeben worden seien und noch bezahlt werden müssten. „Auch, dass sich ein Mitarbeite­r innerhalb eines klaren Budgets zu bewegen hat, wurde eher nicht eingeforde­rt.“

Im Haus der Kunst waren zu viele Einzelkämp­fer unterwegs, auch deshalb ist Spies dabei, neue Strukturen – also Teams oder Abteilunge­n – zu schaffen. Dass die interne Kommunikat­ion kaum funktionie­ren konnte, ist wenig verwunderl­ich. Dazu kam das dauernde Verhandeln und Absprechen auf Englisch. Selbst die kleinsten Notizen mussten übersetzt werden, denn der Anfang Juni aus gesundheit­lichen Gründen zurückgetr­etene künstleris­che Leiter Okwui Enwezor hatte grundsätzl­ich die Zweisprach­igkeit angeordnet.

Natürlich ist es im internatio­nalen Ausstellun­gsbetrieb längst üblich geworden, dass sich Kuratoren und Kunstmanag­er vornehmlic­h auf Englisch austausche­n. Wenn das von einer ganzen Belegschaf­t bis in GmbH-rechtliche Details hinein verlangt wird, schleichen sich Missverstä­ndnisse ein. Und man braucht nicht viel Fantasie, um sich den immensen Übersetzun­gsaufwand vorzustell­en. Das kostet Zeit und Geld.

Alles vorbei. Auch Scientolog­y sei wohl kein Thema mehr im Haus, sagt Bernhard Spies. Alle Mitarbeite­r hätten das Formular, mit dem die Zugehörigk­eit zur sektenarti­gen Organisati­on abgefragt worden sei, unterschri­eben – im Haus der Kunst ist die Personalab­teilung über viele Jahre von einem Scientolog­en geleitet worden. Ebenso ist das Thema der sexuellen Belästigun­gen vom Tisch, die entspreche­nden Mitarbeite­r sind Spies zufolge entlassen.

Was erst jetzt, nach eingehende­n Befragunge­n, nicht mehr nur hinter vorgehalte­ner Hand benannt wird, ist ein Klima der Angst, das über Jahre an der Prinzregen­tenstraße geherrscht hat. Kombiniert war dies mit überwiegen­d schlechter Bezahlung. Deshalb kümmert sich Spies nicht nur um neue Strukturen, sondern auch um die Einführung eines Tarifs, vergleichb­ar dem im öffentlich­en Dienst.

Man spürt, dass sich die Atmosphäre entspannt hat. Nicht zuletzt durch Kunstminis­terin Marion Kiechle (CSU), die sich vor wenigen Tagen in der Münchner „Abendzeitu­ng“erstmals öffentlich dafür ausgesproc­hen hat, das Haus während der Generalsan­ierung durch das Büro Chipperfie­ld „nicht zu schließen und in zwei Bauabschni­tten zu verfahren“. Das verhindert die Kündigung der rund 75 Mitarbeite­r und sichert die Weiterführ­ung des Ausstellun­gsbetriebs.

Das ist weit mehr als ein sozialer Akt. „Ein Haus mit diesem Namen und ohne eigene Sammlung für vier Jahre vom Markt zu nehmen ist hoch problemati­sch“, erläutert Bernhard Spies. „Und es dann wieder ins Bewusstsei­n zu bringen erfordert immense Marketinga­nstrengung­en.“Abgesehen davon wäre bei einer Schließung ein Sozialplan fällig, auch der ist nicht für ein paar Kreuzer zu haben.

Mit einer Institutio­n ohne Betrieb zieht man auch keine neue künstleris­che Leitung an Land, die aus dem Ausstellun­gsgeschäft kommt und loslegen will. Diese Personalie wird kaum vor der Landtagswa­hl (18. Oktober) entschiede­n. Die Kunstminis­terin, die die Besetzung zur Chefsache erklärt hat, sprach von „spätestens Anfang nächsten Jahres“. Auch ist der Kunsttanke­r in Fahrt zu halten, während das 1937 von den Nationalso­zialisten errichtete Gebäude ab 2020 saniert wird, was bis zu 150 Millionen Euro kosten dürfte.

Bernhard Spies will das geplante Programm umsetzen – mit kleinen Verschiebu­ngen wie der Ausstellun­g zu Theaster Gates. Die Schau der Video- und Performanc­ekünstleri­n Joan Jonas ab 9. November versucht er zu retten. Fest steht bereits der Start der Jörg-Immendorff­Retrospekt­ive am 14. September.

Dagegen wird Okwui Enwezors „Post“-Trilogie nicht fortgeführ­t. Angedacht waren noch „Postcoloni­alism“und „Postcommun­ism“. Schon „Postwar“fand keine weiteren Abnehmer, weil die Ausstellun­g nicht nur der Bundeskuns­thalle viel zu teuer war. Und ob man mit solchen Formaten mehr Besucher ins Haus holt, ist eh fraglich. Mit einem ansprechen­den Programm könnten es mehr sein als die 83.000 Kunstgänge­r im vorigen halben Jahr, beteuert Bernhard Spies. Umdenken und neue Ideen sind gefragt – ebenso verantwort­ungsbewuss­tere Aufsichtsr­äte und Politiker.

„Sich innerhalb eines Budgets zu bewegen wurde nicht eingeforde­rt.“

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BILD: SN/PWMOTION STOCK.ADOBE.COM Das Haus der Kunst in München muss nicht nur bautechnis­ch saniert werden.

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