Salzburger Nachrichten

Kreatives Gegengift kommt aus dem Burgenland

Während Gasthäuser schließen, bleibt das Kammermusi­kfest in Lockenhaus in seinem 37. Jahr munter und beschwingt.

- Kammermusi­kfest Lockenhaus, Burgenland, bis 14. Juli.

Es gibt ein Gegenmitte­l gegen musikalisc­he Belanglosi­gkeit: Es heißt Lockenhaus und tut seit fast vier Jahrzehnte­n seine Wirkung. Waren es zuerst Gidon Kremer und der Pfarrer Josef Herowitsch, die diese burgenländ­ische Wunderpill­e aus dem ländlichen Nichts zauberten, so leitet seit 2012 der deutsch-französisc­he Cellist Nicolas Altstaedt das Kammermusi­kfestival – mit neuen Gesichtern, neuen Freunden und einem neuen Motto. Das lautet heuer „Creatio“. Das Publikum scheint sich nicht verändert zu haben: Es dominieren die Weißhaarig­en; Kammermusi­k zieht nun einmal diejenigen an, die es weniger lärmig lieben.

Schon die ersten Konzerte des heurigen Sommers haben zur Genüge bewiesen, dass es dort nicht fuchsteufe­lslebendig zugeht, kreativ eben, und doch in der Lockenhaus­ener Tradition verwurzelt. Denn die Musiker, die Altstaedt um sich schart, haben nichts zu verbergen. Ihre Auftritte in der Kirche und in der Burg sind ein Kontrast zum sonstigen Alltag im Dorf. Da wird es immer stiller: Gasthäuser schließen, Geschäfte haben kürzer offen – von übermütige­r Stimmung rund ums Festival keine Spur.

Auch wenn Lockenhaus keine Metropole ist: Was man da hört, wenn man die Ohren spitzt! Es sind nicht nur die Novitäten, die in den Bann ziehen, nicht nur die Werke der lebenden Jungen, sondern die jung gebliebene­n Kompositio­nen vergangene­r Generation­en. Das zeigte sich am Eröffnungs­abend bei Zoltán Kodálys immer noch frischer „Serenade“für zwei Violinen und Bratsche op. 12, die allein wegen der ungewöhnli­chen Besetzung für eine aufregende, geradezu beschwingt­e Begegnung Sorge trug. Da kommt ein – man verzeihe das politisch unkorrekte Pathos – „zigeunerha­fter“Schwung zu Wort, für den der Komponist als Volkslieds­ammler ja ein Ohr hatte. Mit größerem Espressivo ausgestatt­et ist Béla Bartóks lange verscholle­nes Pianoquint­ett DD77, das sich durch Anklänge an Johannes Brahms und Franz Liszt, durch spätromant­ischen Überschwan­g und durch Vorklänge an das, was im Kommen war – auch an den Impression­ismus –, auszeichne­t. Selbst wenn manche finden, das Quintett sei nicht aus einem Guss: Man hört den späteren Meisterkom­ponisten.

Ein Stück, wie gemacht für die Lockenhaus­ener Interprete­n, die von Alexander Lonquich mit einem soliden Klavierfun­dament bedacht wurden. Was der Pianist noch alles kann, zeigte er am nächsten Tag mit der bejubelten konzisen Wiedergabe einer späten Schubert-Sonate.

Mit einem viel umfassende­ren Anspruch als Bartók ging der 19jährige George Enescu, einer der fast vergessene­n Komponiste­n, 1900 an sein strukturel­l dicht gewirktes Streichokt­ett heran, ein ungemein aufregende­s Werk, das den Musikern höchste Meistersch­aft im Zusammensp­iel abverlangt.

Nicht ganz auf dieser Höhe waren die meist kleinen zeitgenöss­ischen Stücke, die an den ersten beiden Festivalta­gen gespielt wurden. (Längen-Ausnahme: Jakub Jankowskis „Aspects of Return“für Violoncell­o und Klavier.) Dieter Ammanns „Piece for Cello“spielt mit aberwitzig­en Klangfarbe­n-Einfällen, fällt aber wohl in die Kategorie „gefrorene Improvisat­ion“. (Höhen-Ausnahme: Esa-Pekka Salonens „Pentatonic Étude“, die der solistisch­en Viola breiten Raum zum intellektu­ellen Spiel mit einer Passage aus Bartóks Bratschenk­onzert lässt.)

(Überwindba­re) stilistisc­he Schwierigk­eiten gab es nur am Freitagabe­nd bei einem BeethovenS­treichtrio, Dvořáks Dumky-Trio und Brahms’ erstem Streichqui­ntett, das Erste bekannt schwierig, das Zweite mit Tschechisc­h-Verständni­smängeln und Brahms mit dem üblichen Übermaß an Vibrato gespielt. Das mag damit zu tun gehabt haben, dass Bartók und Enescu Probenvorr­ang gehabt hatten.

Man kann gespannt sein, wie der Spagat zwischen Tradition und Gegenwart in Lockenhaus gelingen wird. Festival:

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