Kreatives Gegengift kommt aus dem Burgenland
Während Gasthäuser schließen, bleibt das Kammermusikfest in Lockenhaus in seinem 37. Jahr munter und beschwingt.
Es gibt ein Gegenmittel gegen musikalische Belanglosigkeit: Es heißt Lockenhaus und tut seit fast vier Jahrzehnten seine Wirkung. Waren es zuerst Gidon Kremer und der Pfarrer Josef Herowitsch, die diese burgenländische Wunderpille aus dem ländlichen Nichts zauberten, so leitet seit 2012 der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt das Kammermusikfestival – mit neuen Gesichtern, neuen Freunden und einem neuen Motto. Das lautet heuer „Creatio“. Das Publikum scheint sich nicht verändert zu haben: Es dominieren die Weißhaarigen; Kammermusik zieht nun einmal diejenigen an, die es weniger lärmig lieben.
Schon die ersten Konzerte des heurigen Sommers haben zur Genüge bewiesen, dass es dort nicht fuchsteufelslebendig zugeht, kreativ eben, und doch in der Lockenhausener Tradition verwurzelt. Denn die Musiker, die Altstaedt um sich schart, haben nichts zu verbergen. Ihre Auftritte in der Kirche und in der Burg sind ein Kontrast zum sonstigen Alltag im Dorf. Da wird es immer stiller: Gasthäuser schließen, Geschäfte haben kürzer offen – von übermütiger Stimmung rund ums Festival keine Spur.
Auch wenn Lockenhaus keine Metropole ist: Was man da hört, wenn man die Ohren spitzt! Es sind nicht nur die Novitäten, die in den Bann ziehen, nicht nur die Werke der lebenden Jungen, sondern die jung gebliebenen Kompositionen vergangener Generationen. Das zeigte sich am Eröffnungsabend bei Zoltán Kodálys immer noch frischer „Serenade“für zwei Violinen und Bratsche op. 12, die allein wegen der ungewöhnlichen Besetzung für eine aufregende, geradezu beschwingte Begegnung Sorge trug. Da kommt ein – man verzeihe das politisch unkorrekte Pathos – „zigeunerhafter“Schwung zu Wort, für den der Komponist als Volksliedsammler ja ein Ohr hatte. Mit größerem Espressivo ausgestattet ist Béla Bartóks lange verschollenes Pianoquintett DD77, das sich durch Anklänge an Johannes Brahms und Franz Liszt, durch spätromantischen Überschwang und durch Vorklänge an das, was im Kommen war – auch an den Impressionismus –, auszeichnet. Selbst wenn manche finden, das Quintett sei nicht aus einem Guss: Man hört den späteren Meisterkomponisten.
Ein Stück, wie gemacht für die Lockenhausener Interpreten, die von Alexander Lonquich mit einem soliden Klavierfundament bedacht wurden. Was der Pianist noch alles kann, zeigte er am nächsten Tag mit der bejubelten konzisen Wiedergabe einer späten Schubert-Sonate.
Mit einem viel umfassenderen Anspruch als Bartók ging der 19jährige George Enescu, einer der fast vergessenen Komponisten, 1900 an sein strukturell dicht gewirktes Streichoktett heran, ein ungemein aufregendes Werk, das den Musikern höchste Meisterschaft im Zusammenspiel abverlangt.
Nicht ganz auf dieser Höhe waren die meist kleinen zeitgenössischen Stücke, die an den ersten beiden Festivaltagen gespielt wurden. (Längen-Ausnahme: Jakub Jankowskis „Aspects of Return“für Violoncello und Klavier.) Dieter Ammanns „Piece for Cello“spielt mit aberwitzigen Klangfarben-Einfällen, fällt aber wohl in die Kategorie „gefrorene Improvisation“. (Höhen-Ausnahme: Esa-Pekka Salonens „Pentatonic Étude“, die der solistischen Viola breiten Raum zum intellektuellen Spiel mit einer Passage aus Bartóks Bratschenkonzert lässt.)
(Überwindbare) stilistische Schwierigkeiten gab es nur am Freitagabend bei einem BeethovenStreichtrio, Dvořáks Dumky-Trio und Brahms’ erstem Streichquintett, das Erste bekannt schwierig, das Zweite mit Tschechisch-Verständnismängeln und Brahms mit dem üblichen Übermaß an Vibrato gespielt. Das mag damit zu tun gehabt haben, dass Bartók und Enescu Probenvorrang gehabt hatten.
Man kann gespannt sein, wie der Spagat zwischen Tradition und Gegenwart in Lockenhaus gelingen wird. Festival: