Nicht mehr ohne meinen Motor
Das E-Bike revolutioniert den Fahrradmarkt. Es sind aber auch Probleme zu lösen.
Hohe Unfallzahlen, illegales Tuning, untrainierte E-Biker in den Bergen: Die SN sprachen mit dem Geschäftsführer von Bosch eBike Systems, Claus Fleischer, über Problematisches, aber auch Schönes und Neues in der E-Bike-Welt. SN: Herr Fleischer, das E-Bike ist auf Siegesfahrt, heizt aber auch die Emotionen an. Man ärgert sich über ungeübte E-Biker in den Bergen, und die Unfallzahlen steigen. Wie sehen Sie sich hier als Hersteller in der Verantwortung? Claus Fleischer: Wir nehmen das Thema Sicherheit und auch die Zunahme der Unfallzahlen sehr ernst. Gerade beim Mountainbiken sind diese Themen aber nichts Neues. Vor 40 Jahren konnte niemand mountainbiken, vor 20 Jahren die wenigstens. Und wenn man das vergleicht, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist, muss man den Seilbahngesellschaften die gleiche Frage stellen – da kommen auch Skifahrer auf den Berg, die vielleicht nie einen Skikurs gemacht haben, und auch die Mountainbiker kommen mit dem Lift auf den Berg. Bei E-Mountainbikern schauen die meisten Einsätze der Bergretter so aus: Sie müssen die Räder bergen, die oben abgestellt wurden, weil die Menschen zu Fuß runtergehen. SN: Die Möglichkeiten des E-Bikes dürften also doch einige Nutzer überfordern? Wir haben hier einen demografischen Effekt. Bei den jüngeren Nutzern sehen Sie in der Unfallstatistik fast gar nichts. Dagegen gibt es eine Zunahme bei den Senioren. Die sind aber früher in der Statistik gar nicht vorgekommen, weil sie gar nicht gefahren sind. Je älter man aber wird, desto länger braucht man in Gefahrensituationen, zu reagieren. Dazu stürzt man im Alter leichter und verletzt sich schwerer. SN: Das Problem ist also bekannt. Was tun Sie als Hersteller? Wir machen schon seit drei Jahren Fahrtechniktrainings und bilden Guides in Alpinvereinen und Tourismusverbänden aus. Da geht es viel um Fahrtechnik und Sicherheit. SN: Was ist technisch möglich? Wir haben für E-City- und Touringräder, die gerade von Älteren stark genutzt werden, ein ABS-System entwickelt. Das verhindert, dass durch falsches Bremsen das Vorderrad wegrutscht oder bei zu starkem Bremsen in Schrecksituationen das Hinterrad abhebt. Unsere Statistik sagt aber auch, dass ältere Menschen gar nicht so schnell fahren wollen. Je älter, desto mehr nutzen sie die geringe Eco-Unterstützung und weniger den starken Turbo. Ich weiß nicht, woher die Hysterie der rasenden Rentner herkommt. Statistisch ist das widerlegbar. SN: Es gibt aktuell eine von der EU-Kommission angestoßene Diskussion um eine erhöhte Versicherungspflicht für E-Biker. Was sagen Sie dazu? Natürlich sehen die Versicherer die Unfallzahlen, die muss man aber der Fahrleistung gegenüberstellen. E-Bike-Fahrer sind öfter und länger unterwegs als andere Radfahrer. Der Hintergrund der aktuellen Diskussion ist, dass nicht alle EU-Bürger und damit auch Radfahrer eine Haftpflichtversicherung haben. Da geht es vor allem um den Versicherungsschutz, um den Unfallgegner zu schützen. Es wäre einfacher zu sagen, wer Pedelec fährt, sollte bitte darauf achten, haftpflichtversichert zu sein. In den Fahrradverbänden gehen wir davon aus, dass es für das 25-km/h-Pedelec weiterhin eine Befreiung geben wird. SN: So wie beim Auto wird aber auch beim E-Bike immer öfter getunt ... ... und das ist eine Straftat, die auch geahndet wird. Im deutschen Zweirad-Industrieverband haben wir eine Selbstverpflichtung gegen Tuning formuliert. Alle Fahrradhersteller, E-Bike-Systemhersteller und Händler im Verband haben erklärt, wir werden alles tun, was gegen Tuning möglich ist. SN: Und was ist das so weit? In der Novellierung der europäischen Norm für Pedelecs EN15194 ist definiert, dass Systeme ab Mai 2019 eine Tuningselbsterkennung haben müssen. Alle Hersteller haben die Aufgabe, in ihrer Elektronik Erkennungsmechanismen und Reaktionen darauf zu installieren. Und die werden wir jedes Jahr verschärfen. Wir wollen damit vor allem eines bewirken – dass wir nicht den Status des E-Bikes als Fahrrad verlieren. Fällt der weg, würde das hohe Auflagen und Einschränkungen für die Fahrradfahrer bedeuten. Das wollen wir nicht. SN: Zum Unternehmen Bosch eBike Systems. Sie produzieren ihre Antriebe in Ungarn, warum? Weil es dort schon ein ähnliches Bosch-Werk gab, in dem elektrische Lenkungen, Fensterhebermotoren und Motorkühlungsgebläse hergestellt werden. Und seit 2012 eben auch E-Bike-Systeme. Wir haben dort qualifizierte Mitarbeiter. SN: Wohin geht die Reise bei der Steuerung von E-Bikes? Mit dem Nyon hat Bosch den ersten vollintegrierten E-Bike-Computer auf den Markt gebracht – mit Steuerung, Navigation, Fitnessfunktion, einem Nutzerdaten-Portal. Wir sahen den Computer mit Konnektivität als Lösung. Es gibt aber ein steigendes Interesse, das Smartphone am Lenker als Cockpit zu verwenden. Deshalb hat Bosch im Vorjahr das Start-up Cobi.bike übernommen, das das entwickelt hat. Natürlich gibt es auch noch einfache Systeme. Aber wenn Sie ein Techie sind, haben wir eine Lösung dazu. SN: Welche Erfahrungswerte gibt es bei der Haltbarkeit der Akkus und dem Recycling? Die Akkus sind ausgelegt auf die Lebensdauer eines Fahrrads, grob berechnet acht Jahre oder 20.000 Kilometer. Bosch hat den Anspruch, dass ein Akku nach 500 Vollladezyklen noch 70 Prozent der Restkapazität hat. Für das Recycling zahlen wir in ein Rücknahmesystem eine Gebühr ein, der defekte Akku wird beim Händler abgeholt und bei professionellen Anbietern zerlegt. Diesen Kreislauf gibt es schon lang. SN: Bosch eBike Systems hat mittlerweile Niederlassungen in den USA und China? Wo sehen Sie das größte Wachstum? Das E-Bike ist zuerst einmal ein mitteleuropäisches Phänomen, weil es hier eine Fahrradkultur gibt. Und Europa wird sich hier sicher noch weiterentwickeln. Der amerikanische Markt ist fünf bis acht Jahre hinter Europa, beim Absatz, aber auch beim Verständnis für das Produkt. Der Begriff E-Bike ist in den USA mit dem Gasgriff belegt, das ist also ein Moped. Für einen Amerikaner ist es schwer zu verstehen, dass es ein E-Bike mit einer Pedalsteuerung gibt, das dem Fahrrad ähnlich ist. Da müssen wir noch viel kommunizieren. Dasselbe gilt für China, das derzeit eher ein Markt für EScooter ist. Fahrradfahren gilt dort nicht mehr als schick, das E-Bike ist da noch nicht akzeptiert, man will am liebsten Autofahren. Da haben wir in Europa 100 Jahre Vorsprung. Claus Fleischer