Salzburger Nachrichten

Von Eierzentre­n und einem Kraut namens Unfuß

Politiker und Kleingärtn­er haben eines gemeinsam: Sie sind sprachlich flexibel.

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Biegen, beugen und krümmen ist das Gebot der Stunde. Im Lateinisch­en werden diese drei Tätigkeite­n durch das Wort „flectere“ausgedrück­t, was die Wurzel des momentan stark im Polit-Schwange befindlich­en Fachausdru­cks Flexibilis­ierung ist. Folglich ist es nur logisch, dass so viel von einer Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t gesprochen wird. Denn Arbeit ist ja etwas, das uns biegt, beugt und krümmt. Sagt zumindest die Gewerkscha­ft.

Nicht nur die Arbeitszei­t, auch die Asylpoliti­k wird immer flexibler. Was man vor einiger Zeit schlicht Anhaltelag­er genannt hätte, wird heute als Transitzen­trum bezeichnet. Und weil Transitzen­tren mittlerwei­le auf Widerstand stoßen, hat man sie jetzt in Transferze­ntren umbenannt. Hauptsache, ein T vorn.

Wobei das T nicht unbedingt sein muss. Man hat auch schon von „Freiwillig­en Flüchtling­szentren“gehört. Ob dies das flexibilis­ierte Gleiche ist wie die ebenfalls in Diskussion stehenden „Anlandepla­ttformen“, „Hotspots“und „Ankerzentr­en“, ist nicht bekannt.

Bekannt ist nur, dass der Anker in den Ankerzentr­en nicht das Schiffszub­ehör meint, sondern die Abkürzung für „Ankunft – Entscheidu­ng – Rückführun­g“ist. Womit klar ist, warum man statt Ankunft keinesfall­s Eintreffen sagen darf: Sonst würde es ja Eierzentre­n heißen. Genauer: Pilot-Eierzentre­n.

Denn die Ankerzentr­en sollen in Deutschlan­d demnächst in Form von Pilot-Ankerzentr­en erprobt werden. Was Pilot jetzt wieder für eine Abkürzung ist? Keine Ahnung. Vielleicht für „Politik in lingualer Not“? Man sieht jedenfalls, wie sie sich biegt, beugt und krümmt (sprich: flexibel zeigt), um möglichst harmlose Worte für ihr Tun zu finden.

Das ist übrigens etwas, das die Politik mit der Kleingärtn­erei verbindet. In einem Kurs für Hobbygärtn­er war kürzlich zu hören, dass das Wort Unkraut heute ein Unwort ist und kor- rekterweis­e durch den Ausdruck Beikraut zu ersetzen ist. Denn jedes Kraut hat das Recht auf eine wertschätz­ende Behandlung. Auch der Beifuß, früher Unfuß genannt.

Dass Worte, die mit Un- beginnen, unmöglich (also beimöglich) sind, sollte sich auch die Politik hinter die Ohren schreiben. Die eingangs erwähnte Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t wurde von SPÖ-Chef Christian Kern vergangene Woche im Parlament wörtlich als „ungerecht, unausgegor­en und unvernünft­ig“bezeichnet. Ist das nicht beiglaubli­ch?

Wenn Kern sich unter die neue Kleingärtn­er-Sprachrege­lung biegen, beugen und krümmen würde, könnte er endlich flexibel von beigerecht, beiausgego­ren usw. sprechen. Alles andere wäre völlig beivernünf­tig.

So, damit für heute aber genug der Ermahnunge­n. Man ist ja kein Beimensch. WWW.SN.AT/PURGER

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Alexander Purger

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