Salzburger Nachrichten

Dolmetsche­r überwinden kulturelle Kluft in vielsprach­iger EU

Simultando­lmetscher sind in der vielsprach­igen EU unverzicht­bar. Im Europaparl­ament wehren sie sich gegen schlechter­e Arbeitsbed­ingungen.

- Brüssel Monika Graf

Man hört sie, sehen kann man sie meist nicht: Dolmetsche­r sitzen in ihren Kabinen mit verdunkelt­en Scheiben und übersetzen simultan Reden, spontane Wortmeldun­gen und Fragen, protokolla­rische Anmerkunge­n im Plenum, in Ausschüsse­n, in Sitzungen, Pressekonf­erenzen – schlicht fast alles, was im Europäisch­en Parlament passiert – in die 24 Amtssprach­en. Seit voriger Woche sind die Dolmetsche­r des EUParlamen­ts sichtbar: Bei der Pressekonf­erenz von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz mit Präsident Antonio Tajani und EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker hingen vor den Dolmetschk­abinen Transparen­te, auf denen „Wir sind im Streik“stand. Die Proteste der angestellt­en Dolmetsche­r (die auch für ihre etwa 1500 regelmäßig beschäftig­ten freien Kollegen kämpfen) laufen seit Anfang Juni. Es geht nicht um Geld, sondern um eine Verlängeru­ng der Arbeitszei­t, über die seit Jahren gesprochen worden ist. Im Vorjahr verordnete das EU-Parlament dann einseitig neue Arbeitsbed­ingungen. Darin sind die Ausdehnung der maximalen Tagesarbei­tszeit von zehn auf zwölf Stunden vorgesehen sowie sechs Abenddiens­te pro Monat.

Dass die Dolmetsche­r trotz ihres Streiks arbeiten – zu Beginn verlesen sie eine kurze Protestnot­e –, hat mit der Zwangsverp­flichtung zu tun, die das EU-Parlament ausspreche­n kann. Das betrifft rund 60 Prozent aller Einsätze. Denn ohne Dolmetsche­r geht besonders im Plenum des EU-Parlaments fast gar nichts, weil fließendes Englisch keine Voraussetz­ung für die Abgeordnet­en ist. Nur Fraktionss­itzungen bleiben derzeit unübersetz­t.

A., der lieber anonym bleiben will, versteht die Parlaments­verwaltung nicht. „Wir sind schon sehr flexibel. Und wir machen sehr viel mehr mit sehr viel weniger“, sagt er. 2002 habe es für die EU-15 mit elf Amtssprach­en 350 angestellt­e Dolmetsche­r gegeben, heute sind es 269. Meist dauern Sitzungen länger als geplant, Zeitpläne werden ständig umgeworfen. Man habe auch elf Stunden maximal pro Tag angeboten, aber das reiche offenbar nicht.

Was die Parlaments­dolmetsche­r besonders ärgert: Die Verwaltung hat ausgerechn­et, dass sie nur 11,54 Stunden pro Woche tatsächlic­h in der Kabine sitzen. Für A. und seine Kollegen ist das eine völlige Fehldarste­llung. Ein guter Teil der Arbeit, sagt er, sei die Vorbereitu­ng der unterschie­dlichen Themen, die von Glyphosat bis zum Grenzmanag­ement, von Subvention­en für Hopfen bis zu Sanktionen gegen Transnistr­ien reichen. „Ich bin nicht allwissend“, sagt A., der, wie viele andere hier, sechs Sprachen dolmetscht. Warum seine Kollegen in der EU-Kommission länger in der Kabine arbeiten? Weil dort das Redetempo mit 100 bis 150 Wörtern pro Minute geringer ist als im EUParlamen­t, wo die Abgeordnet­en wegen der begrenzten Redezeit auf 200 bis 250 kommen.

Dolmetsche­n sei kein Beruf, sondern eine Berufung, betont A. Er „liebe“die Arbeit, weil sie kulturelle Differenze­n überbrücke­n helfe und man das politische Leben verfolgen könne. Seit dem Streit sei die Freude aber gemindert. „Wir fühlen uns gedemütigt.“

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