Dolmetscher überwinden kulturelle Kluft in vielsprachiger EU
Simultandolmetscher sind in der vielsprachigen EU unverzichtbar. Im Europaparlament wehren sie sich gegen schlechtere Arbeitsbedingungen.
Man hört sie, sehen kann man sie meist nicht: Dolmetscher sitzen in ihren Kabinen mit verdunkelten Scheiben und übersetzen simultan Reden, spontane Wortmeldungen und Fragen, protokollarische Anmerkungen im Plenum, in Ausschüssen, in Sitzungen, Pressekonferenzen – schlicht fast alles, was im Europäischen Parlament passiert – in die 24 Amtssprachen. Seit voriger Woche sind die Dolmetscher des EUParlaments sichtbar: Bei der Pressekonferenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz mit Präsident Antonio Tajani und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hingen vor den Dolmetschkabinen Transparente, auf denen „Wir sind im Streik“stand. Die Proteste der angestellten Dolmetscher (die auch für ihre etwa 1500 regelmäßig beschäftigten freien Kollegen kämpfen) laufen seit Anfang Juni. Es geht nicht um Geld, sondern um eine Verlängerung der Arbeitszeit, über die seit Jahren gesprochen worden ist. Im Vorjahr verordnete das EU-Parlament dann einseitig neue Arbeitsbedingungen. Darin sind die Ausdehnung der maximalen Tagesarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden vorgesehen sowie sechs Abenddienste pro Monat.
Dass die Dolmetscher trotz ihres Streiks arbeiten – zu Beginn verlesen sie eine kurze Protestnote –, hat mit der Zwangsverpflichtung zu tun, die das EU-Parlament aussprechen kann. Das betrifft rund 60 Prozent aller Einsätze. Denn ohne Dolmetscher geht besonders im Plenum des EU-Parlaments fast gar nichts, weil fließendes Englisch keine Voraussetzung für die Abgeordneten ist. Nur Fraktionssitzungen bleiben derzeit unübersetzt.
A., der lieber anonym bleiben will, versteht die Parlamentsverwaltung nicht. „Wir sind schon sehr flexibel. Und wir machen sehr viel mehr mit sehr viel weniger“, sagt er. 2002 habe es für die EU-15 mit elf Amtssprachen 350 angestellte Dolmetscher gegeben, heute sind es 269. Meist dauern Sitzungen länger als geplant, Zeitpläne werden ständig umgeworfen. Man habe auch elf Stunden maximal pro Tag angeboten, aber das reiche offenbar nicht.
Was die Parlamentsdolmetscher besonders ärgert: Die Verwaltung hat ausgerechnet, dass sie nur 11,54 Stunden pro Woche tatsächlich in der Kabine sitzen. Für A. und seine Kollegen ist das eine völlige Fehldarstellung. Ein guter Teil der Arbeit, sagt er, sei die Vorbereitung der unterschiedlichen Themen, die von Glyphosat bis zum Grenzmanagement, von Subventionen für Hopfen bis zu Sanktionen gegen Transnistrien reichen. „Ich bin nicht allwissend“, sagt A., der, wie viele andere hier, sechs Sprachen dolmetscht. Warum seine Kollegen in der EU-Kommission länger in der Kabine arbeiten? Weil dort das Redetempo mit 100 bis 150 Wörtern pro Minute geringer ist als im EUParlament, wo die Abgeordneten wegen der begrenzten Redezeit auf 200 bis 250 kommen.
Dolmetschen sei kein Beruf, sondern eine Berufung, betont A. Er „liebe“die Arbeit, weil sie kulturelle Differenzen überbrücken helfe und man das politische Leben verfolgen könne. Seit dem Streit sei die Freude aber gemindert. „Wir fühlen uns gedemütigt.“