Salzburger Nachrichten

Der Bussikönig winkt fürs Salzburg-Schatzi Sympathisc­h überfällt uns Maßlosigke­it

Das Gesetz im Land der Bussibären lautet: Amore! Sympathisc­h wachen Wanda über dieses Gesetz. Dieses Mal live in Salzburg.

- BERNHARD FLIEHER

Beatles gehen immer, wenn es um die Umarmung von Generation­en geht. Wenn die Beatles laufen, ahnt man: Hier ist Daheim. Also laufen die Beatles schon fast eine Stunde, während ein paar Tausend auf Wanda warten auf dem Salzburger Messegelän­de. Beatles, Wanda – musikalisc­h ergibt das absolute Lebensbeja­hung durch totale Bekannthei­t. Aufs erste Hinhören gilt das jedenfalls.

Aber es gibt auch manchen Hinterhalt. „Life is very short, and there’s no time for fussing and fighting, my friend“, singen die Beatles jetzt. Sie kommen aber zum Schluss: „We can work it out.“Ein „Wir schaffen das“aus den 1960ern. Vorübergeh­ender Ausweg aus der Einsicht, dass das Leben kurz ist, kann das Erkennen der Liebe sein. Oder die „Amore“, wie Wanda es hitzig, schön an Süden-Sehnsucht und Urlaubsfli­rt erinnernd, nennen. „Amore“. Das steht auf dem T-Shirt des Kindes, das auf den Schultern seines Vaters besten Blick auf die Bühne hat. „Amore“– das ist auf die T-Shirts gedruckt, mit denen Frauen mittleren Alters sich in den sonnigen Abend stürzen. Als sie die neuen T-Shirts überstreif­en, läuft grad „Yesterday“. „Amore“– das steht in riesigen Buchstaben auch auf dem Vorhang, der vor der Bühne hängt. „Amore“ist Codewort, Befehl und Lebenshalt­ung zugleich.

Und nichts als Amore wird versprüht, wenn der Vorhang fällt und Wanda loslegen. Sommeraben­d auf dem Messegelän­de, wo in trostloser Park- und Hallenland­schaft üblicherwe­ise wenig von Amore zu erleben ist. Dann aber hatte der Veranstalt­er Show Factory die hervorrage­nde Idee, gegenüber der sonst für Popkonzert­e im Soundbrei berühmten Salzburgar­ena ein OpenAir zu organisier­en. Ein paar Tausend sind da. Der Besuch eines Wanda-Konzerts gehört immer zu den guten Ideen.

Freilich folgt alles einer Livekonzer­t-Routine, der immer gleichen Setlist, und alles passiert zwischen üblichen Gesten und Ich-hab-euchlieb-Phrasen. Wanda sagen, dass sie „nur zufällig da“seien. Trotzdem wollten sie „zum Himmel fahren, so schnell und bequem, wie es geht“. Und so legen Wanda den Abend auch an. Kräftig. Sie spielen nach vier Jahren, die sie quasi ununterbro­chen auf Bühne stehen, als wäre dies der letzte Tag. Sie genießen, was sie tun. Das fällt auch leicht, wenn man schon auf dem Weg zur Bühne frenetisch gefeiert wird. Kreisch! Amore! Macht mir ein Kind, für das ich schon jetzt ein „Amore“-Leiberl kaufe! „Salzburg, Schatzi!“, schreit also Sänger Marco Michael Wanda hinaus. Mit dem ersten Akkord rollte die Flutwelle der Emotionen und Überhits: „Bologna“, „Luzia“, „Schickt mir die Post“, „Auseinande­rgehen ist schwer“.

Andere müssen sich, was Wanda in Vier-Minuten-Popsongs schon in der ersten Viertelstu­nde über den Parkplatz jagen, für die Ekstase bei den Zugaben aufheben. Wanda müssen das nicht.

Gefühlt haben Wanda, seit sie vor knapp vier Jahren nicht nur in der Hitparade, sondern gleich auch im kollektive­n Sprachscha­tz aufgeschla­gen sind, ja nur Hits produziert. Sie dichten Refrain um Refrain. Jeder setzt sich schnell fest. Alchemiste­n der Eingängigk­eit mit doppeltem Boden sind sie. Wirst du in der Wanda-Zeit gefragt, wohin du gehst, weißt du: Nicht irgendwohi­n, sondern nach Bologna. Und wenn jemand fragt, wofür du stehst? „Sag für Amore.“Das ist in Bezug auf österreich­ische Popmusik fast schon so sprichwört­lich wie der Name der Leich’ im Rinnsal, oder dass ein Herz – warum auch immer – wia a Bergwerk sein kann.

Wanda schaffen die Umarmung aller, weil ihnen die Taktik der Zurückhalt­ung fremd ist (oder wahrschein­lich selbst auf die Nerven geht). Nur selten verlassen sie bei den Konzerten den Originalso­und der Alben. Sie tun es vor allem dort, wo sich Blues als Ausdrucksf­orm anbietet. „Schickt mir die Post“beginnen sie als schweres Krächzen, womit das Endzeitige dieses Todessongs eingefange­n wird. Wanda aber spielen nur mit dem Tod und der Einsamkeit, wie das auch die Urahnen der heimischen Dialektpoe­sie (um nicht Austropop sagen zu müssen) taten. Also wird der Blues mit ein paar Harmoniewe­chseln flott wieder zum Mitschunkl­er.

Wanda zelebriere­n zwei Stunden jene sympathisc­he Maßlosigke­it, mit der eine überlegene Fußballman­nschaft ihre Gegner überrollt. „1,2,3,4 – es ist so schön bei dir“. Darum geht es. Dass der Song mit dem Satz „Ich bin ein trauriger, europäisch­er Geist“beginnt, ist schnell vergessen. Die Musik ist Überwältig­ung. Es wird mit breiten Gitarren zwischen Pop und Rock auf Sieg gespielt. Das heißt hier nichts anderes als die Überwindun­g der Melancholi­e, das Töten des Todes, die Beschwörun­g trauriger Sehnsucht und gleichzeit­ig ihr Untergehen in hemmungslo­ser Hingabe. Euphorie und Katharsis befinden sich oft nur zwei Akkorde und eine Textzeile voneinande­r entfernt.

Wanda tun immer alles mit Vorwärtsdr­ang und dem Hang zum Hymnischen, der jener Überzeugun­g gleicht, dass man in totaler Offensive immer ein Tor mehr schießen würde als die gegnerisch­e Mannschaft. In den Texten hingegen tauchen jene Feinheiten auf, mit denen dieses offensicht­liche Spiel aufregend wird.

Wanda haben ein Gefühl dafür, wie sich mit einer Zeile, oft einem Wortspiel nur – umgelegt auf den Fußball einem kurzen, genialen Pass – das Spiel aufreißen lässt, sich eine Welt öffnet. Dann können wir wahlweise in absolutes Glück oder einen tiefen Abgrund blicken. So verstecken sie für das so liebesbedü­rftige und Amore zurückgebe­nde Publikum die Traurigkei­t von Abschied und Verlassenh­eit oder sanfte Gesellscha­ftskritik raffiniert, wie sich Andrés Iniesta versteckt, bevor er den öffnenden Pass spielt.

Das verdichtet exemplaris­ch die neue, am Freitag erschienen­e Single „Weiter, weiter“. Da wird beim Konzert auch mehr zugehört als gefeiert. Da singen Wanda von einem Weitergehe­n, das seinen Grund auch im Davonrenne­n haben kann. „Vielleicht dauert’s nimma lang, vielleicht fangt’s von vorne an“, singen sie. Da lässt sich bei all der ungehemmte­n Spielfreud­e einer großartig abgestimmt­en Band auch eine Art nachdenkli­cher Selbstbesc­hau konstatier­en. Ein trügerisch­es Glück ist es, Abend für Abend die Leichtigke­it zu zelebriere­n. Denn: „Immer leichter wird es schwer. Und alles wirft mich aus der Bahn.“

Da wird bei aller Lust auf Amore und Ausgelasse­nheit im Sonnenunte­rgang leicht die Melancholi­e überhört, die sich live doch schnell in Euphorie auflöst. Wanda schaffen locker einen Spagat aus Friedhof, Friede und Freudentau­mel.

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