Der Bussikönig winkt fürs Salzburg-Schatzi Sympathisch überfällt uns Maßlosigkeit
Das Gesetz im Land der Bussibären lautet: Amore! Sympathisch wachen Wanda über dieses Gesetz. Dieses Mal live in Salzburg.
Beatles gehen immer, wenn es um die Umarmung von Generationen geht. Wenn die Beatles laufen, ahnt man: Hier ist Daheim. Also laufen die Beatles schon fast eine Stunde, während ein paar Tausend auf Wanda warten auf dem Salzburger Messegelände. Beatles, Wanda – musikalisch ergibt das absolute Lebensbejahung durch totale Bekanntheit. Aufs erste Hinhören gilt das jedenfalls.
Aber es gibt auch manchen Hinterhalt. „Life is very short, and there’s no time for fussing and fighting, my friend“, singen die Beatles jetzt. Sie kommen aber zum Schluss: „We can work it out.“Ein „Wir schaffen das“aus den 1960ern. Vorübergehender Ausweg aus der Einsicht, dass das Leben kurz ist, kann das Erkennen der Liebe sein. Oder die „Amore“, wie Wanda es hitzig, schön an Süden-Sehnsucht und Urlaubsflirt erinnernd, nennen. „Amore“. Das steht auf dem T-Shirt des Kindes, das auf den Schultern seines Vaters besten Blick auf die Bühne hat. „Amore“– das ist auf die T-Shirts gedruckt, mit denen Frauen mittleren Alters sich in den sonnigen Abend stürzen. Als sie die neuen T-Shirts überstreifen, läuft grad „Yesterday“. „Amore“– das steht in riesigen Buchstaben auch auf dem Vorhang, der vor der Bühne hängt. „Amore“ist Codewort, Befehl und Lebenshaltung zugleich.
Und nichts als Amore wird versprüht, wenn der Vorhang fällt und Wanda loslegen. Sommerabend auf dem Messegelände, wo in trostloser Park- und Hallenlandschaft üblicherweise wenig von Amore zu erleben ist. Dann aber hatte der Veranstalter Show Factory die hervorragende Idee, gegenüber der sonst für Popkonzerte im Soundbrei berühmten Salzburgarena ein OpenAir zu organisieren. Ein paar Tausend sind da. Der Besuch eines Wanda-Konzerts gehört immer zu den guten Ideen.
Freilich folgt alles einer Livekonzert-Routine, der immer gleichen Setlist, und alles passiert zwischen üblichen Gesten und Ich-hab-euchlieb-Phrasen. Wanda sagen, dass sie „nur zufällig da“seien. Trotzdem wollten sie „zum Himmel fahren, so schnell und bequem, wie es geht“. Und so legen Wanda den Abend auch an. Kräftig. Sie spielen nach vier Jahren, die sie quasi ununterbrochen auf Bühne stehen, als wäre dies der letzte Tag. Sie genießen, was sie tun. Das fällt auch leicht, wenn man schon auf dem Weg zur Bühne frenetisch gefeiert wird. Kreisch! Amore! Macht mir ein Kind, für das ich schon jetzt ein „Amore“-Leiberl kaufe! „Salzburg, Schatzi!“, schreit also Sänger Marco Michael Wanda hinaus. Mit dem ersten Akkord rollte die Flutwelle der Emotionen und Überhits: „Bologna“, „Luzia“, „Schickt mir die Post“, „Auseinandergehen ist schwer“.
Andere müssen sich, was Wanda in Vier-Minuten-Popsongs schon in der ersten Viertelstunde über den Parkplatz jagen, für die Ekstase bei den Zugaben aufheben. Wanda müssen das nicht.
Gefühlt haben Wanda, seit sie vor knapp vier Jahren nicht nur in der Hitparade, sondern gleich auch im kollektiven Sprachschatz aufgeschlagen sind, ja nur Hits produziert. Sie dichten Refrain um Refrain. Jeder setzt sich schnell fest. Alchemisten der Eingängigkeit mit doppeltem Boden sind sie. Wirst du in der Wanda-Zeit gefragt, wohin du gehst, weißt du: Nicht irgendwohin, sondern nach Bologna. Und wenn jemand fragt, wofür du stehst? „Sag für Amore.“Das ist in Bezug auf österreichische Popmusik fast schon so sprichwörtlich wie der Name der Leich’ im Rinnsal, oder dass ein Herz – warum auch immer – wia a Bergwerk sein kann.
Wanda schaffen die Umarmung aller, weil ihnen die Taktik der Zurückhaltung fremd ist (oder wahrscheinlich selbst auf die Nerven geht). Nur selten verlassen sie bei den Konzerten den Originalsound der Alben. Sie tun es vor allem dort, wo sich Blues als Ausdrucksform anbietet. „Schickt mir die Post“beginnen sie als schweres Krächzen, womit das Endzeitige dieses Todessongs eingefangen wird. Wanda aber spielen nur mit dem Tod und der Einsamkeit, wie das auch die Urahnen der heimischen Dialektpoesie (um nicht Austropop sagen zu müssen) taten. Also wird der Blues mit ein paar Harmoniewechseln flott wieder zum Mitschunkler.
Wanda zelebrieren zwei Stunden jene sympathische Maßlosigkeit, mit der eine überlegene Fußballmannschaft ihre Gegner überrollt. „1,2,3,4 – es ist so schön bei dir“. Darum geht es. Dass der Song mit dem Satz „Ich bin ein trauriger, europäischer Geist“beginnt, ist schnell vergessen. Die Musik ist Überwältigung. Es wird mit breiten Gitarren zwischen Pop und Rock auf Sieg gespielt. Das heißt hier nichts anderes als die Überwindung der Melancholie, das Töten des Todes, die Beschwörung trauriger Sehnsucht und gleichzeitig ihr Untergehen in hemmungsloser Hingabe. Euphorie und Katharsis befinden sich oft nur zwei Akkorde und eine Textzeile voneinander entfernt.
Wanda tun immer alles mit Vorwärtsdrang und dem Hang zum Hymnischen, der jener Überzeugung gleicht, dass man in totaler Offensive immer ein Tor mehr schießen würde als die gegnerische Mannschaft. In den Texten hingegen tauchen jene Feinheiten auf, mit denen dieses offensichtliche Spiel aufregend wird.
Wanda haben ein Gefühl dafür, wie sich mit einer Zeile, oft einem Wortspiel nur – umgelegt auf den Fußball einem kurzen, genialen Pass – das Spiel aufreißen lässt, sich eine Welt öffnet. Dann können wir wahlweise in absolutes Glück oder einen tiefen Abgrund blicken. So verstecken sie für das so liebesbedürftige und Amore zurückgebende Publikum die Traurigkeit von Abschied und Verlassenheit oder sanfte Gesellschaftskritik raffiniert, wie sich Andrés Iniesta versteckt, bevor er den öffnenden Pass spielt.
Das verdichtet exemplarisch die neue, am Freitag erschienene Single „Weiter, weiter“. Da wird beim Konzert auch mehr zugehört als gefeiert. Da singen Wanda von einem Weitergehen, das seinen Grund auch im Davonrennen haben kann. „Vielleicht dauert’s nimma lang, vielleicht fangt’s von vorne an“, singen sie. Da lässt sich bei all der ungehemmten Spielfreude einer großartig abgestimmten Band auch eine Art nachdenklicher Selbstbeschau konstatieren. Ein trügerisches Glück ist es, Abend für Abend die Leichtigkeit zu zelebrieren. Denn: „Immer leichter wird es schwer. Und alles wirft mich aus der Bahn.“
Da wird bei aller Lust auf Amore und Ausgelassenheit im Sonnenuntergang leicht die Melancholie überhört, die sich live doch schnell in Euphorie auflöst. Wanda schaffen locker einen Spagat aus Friedhof, Friede und Freudentaumel.