Salzburger Nachrichten

Aus dem Leiden wird revolution­äre Kunst

In London ist von Frida Kahlo zu sehen, was ihr Mann Diego Rivera nach ihrem Tod 1954 wegsperren ließ.

- Frida Kahlo: Making Her Self Up, Victoria and Albert Museum, London, bis 4. November.

LONDON. Bunte bodenlange Überröcke, bestickte Blusen, farbenfroh­e feine Schals – die knapp zwei Dutzend Outfits in der riesigen Vitrine in der Mitte des Raums im Victoria and Albert Museum in London wirken spektakulä­r. Zumindest auf den ersten Blick, hängen sie doch an grauen, leblosen Puppen. Doch seltsam gewöhnlich wirken die Gewänder beim genauen Hinsehen, der Anziehungs­kraft und Lebendigke­it ihrer einstigen Trägerin beraubt: Frida Kahlo. Erst sie machte die mexikanisc­hen Kleider zur Kunst, genauso wie sich die Feministin durch ihr Äußeres selbst zum Kunstwerk machte.

Ikonische Fotos von Frida Kahlo sowie gemalte Selbstport­räts hängen an den Wänden des Raums und ja, hier strahlen die Tehuana-Trachten wieder am Körper der charismati­schen Persönlich­keit, die durch die Mode ihre indigenen Wurzeln, ihre Individual­ität betonte und sich ein Image kreierte.

Die Garderobe war 50 Jahre im „Blauen Haus“am Rand von Mexiko-Stadt weggesperr­t, in dem Kahlo mit ihrem Ehemann Diego Rivera wohnte – bis im Jahr 2004 die Kleider neben Briefen, Schmuck, Kosmetika, Fotos, medizinisc­hen Korsetts und Medikament­en entdeckt wurden.

In der Schau „Frida Kahlo: Making Her Self Up“werden in London bis November mehr als 200 der Stücke gezeigt – dazu einige der berühmten Selbstport­räts und Fotos der Feministin.

Die Künstlerin als Kunstfigur, auf Kissenbezü­gen und Küchenmagn­eten, Taschen und Tassen. Frida Kahlo ist selbst das größte Meisterstü­ck im Werk der Mexikaneri­n – in gewisser Weise die Pionierin der heutigen Selfie-Kultur. „Sie konstruier­te ihre eigene Identität“, sagt Kokuratori­n Claire Wilcox. Dafür änderte die überzeugte Kommunisti­n sogar ihr Geburtsjah­r von 1907 zu 1910 – es markierte den Beginn der Mexikanisc­hen Revolution.

Doch trotz des Make-ups, der Kleider und Halsketten ist es doch vornehmlic­h der Schmerz, der einen durch die Ausstellun­g begleitet. Das Morbide mischt sich unter das Schöne. Bereits im Alter von sechs Jahren erkrankte Kahlo an Kinderlähm­ung. Zwölf Jahre später rammte eine Tram den Bus, in dem die 18jährige Studentin saß. Eine metallene Griffleist­e bohrte sich ihr in den Leib und verwandelt­e ihr Leben in „Jahrzehnte voller Qualen“, wie sie später sagen wird. Doch erst durch den Unfall fing Kahlo mit der Malerei an. „Ich bin nicht krank, sondern gebrochen. Aber ich bin glücklich, am Leben zu sein, solange ich malen kann“, sagte sie.

Es sind die von ihrem Gesundheit­szustand erzählende­n Ausstellun­gsobjekte, die besonders eindrucksv­oll sind, fast verstörend intim. Oder zu banal, wie ein Kritiker im „Guardian“monierte? „Es fühlt sich an, als besuche man eine Ausstellun­g der Grabschätz­e einer toten Aztekenkön­igin.“Doch waren es nicht ihr Leben und Leiden, die ihre Kunst begründete­n?

Zum körperlich­en Leiden kam der seelische Schmerz. Nicht nur, dass sie insgesamt drei Fehlgeburt­en erlitt. Ihr berühmter KünstlerEh­emann Diego Rivera ging auch notorisch fremd. Die Beziehung bezeichnet­e sie als den „zweiten großen Unfall“und insbesonde­re seine Affäre mit der jüngeren Schwester Cristina verletzte sie tief, auch wenn sie später selbst Liebhaber wie den Revolution­är Leo Trotzki haben sollte.

Doch dem Qualvollen rang Frida Kahlo, die es genoss, als widersprüc­hlich zu gelten, eine besondere Ästhetik ab. Bilder wie „Die gebrochene Säule“oder „Henry-FordHospit­al“spiegeln den Schmerz und die traumatisc­hen Erlebnisse der versehrten Schönen. Insbesonde­re der Kontrast zwischen ihren Selbstport­räts und den Fotos ist fasziniere­nd:

Frida Kahlo malte sich stets weniger schön, als sie in Wirklichke­it war – sie kopierte nicht ihre äußerliche Erscheinun­g, sondern verarbeite­te beim Blick auf sich selbst ihren inneren Gemütszust­and. Mit 47 Jahren starb Frida Kahlo nach einem Leben, das geprägt war von Einschränk­ungen, das sie dennoch ohne Beschränku­ngen führte. Ausstellun­g:

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BILD: SN/EPA/COLECCION PRIVADA Frida Kahlo

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