Salzburger Nachrichten

Die Mörder würden sich wohlfühlen

Beate Zschäpe wurde für zehnfachen Mord verurteilt. Was derzeit außerhalb der Gefängnism­auern passiert, dürfte ihr gefallen.

- Gudrun Doringer GUDRUN.DORINGER@SN.AT

Die Döner-Morde. So nannte man die Mordserie in Deutschlan­d anfangs, als vom NSU, dem rechtsextr­emen Nationalso­zialistisc­hen Untergrund, noch niemand etwas ahnte. Acht von zehn Opfern waren türkischer Abstammung. So kam die unsägliche Bezeichnun­g wohl zustande. Können Sie sich vorstellen, dass man eine Serie von Morden an Deutschen Bratwurst-Morde nennt? Allein das Unwort der „Döner-Morde“steht für den Umgang der Bevölkerun­g und der Behörden mit den Verbrechen: Man verharmlos­te. Man schlampte. Und man signalisie­rte vor allem: Was geht uns das als Gesellscha­ft eigentlich an? Es betrifft ja die. Nicht uns.

Was für ein Irrtum. Der NSU zielte auf die Mitte der Gesellscha­ft. Auf alle Menschen, die anders aussehen, die keine deutschen Namen tragen und trotzdem Deutsche sind. Auf etwa ein Viertel der Bevölkerun­g, das aus Einwandere­rfamilien stammt. Er zielte auf Blumenläde­n, Schneidere­ien, Gemüsegesc­häfte, Imbissbude­n. Mehr Mitte geht nicht.

Am Mittwoch nun wurde Beate Zschäpe als einzige Überlebend­e des mörderisch­en Tätertrios nach 430 Verhandlun­gstagen zu lebenslang­er Haft verurteilt. Ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot. Sie haben sich mutmaßlich das Leben genommen, als die Gruppe nach elf Jahren im Jahr 2011 aufflog. Ist die Ordnung nun wiederherg­estellt? Mitnichten. Der NSU bestand nicht nur aus drei Personen. Es wurden zwar zentrale Akteure der Mordserie verurteilt, das Netzwerk aber, weitere Helfer und Helfeshelf­er bleiben unbelangt. Zudem gibt es eine Menge offener Fragen: Mit Nazi-Runen tätowierte Mitangekla­gte, die sich an nichts erinnern. Ein Verfassung­sschützer, der an einem Tatort war, ohne den Mord zu bemerken. Beamte, die versehentl­ich wichtiges Beweismate­rial geschredde­rt haben. Seltsame Zufälle.

Die Angehörige­n der Opfer – und nicht nur sie – wollen daran nicht glauben. Sie fordern, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz zur Verantwort­ung gezogen wird. „Wenn der Verfassung­sschutz von Beginn an ernsthaft gearbeitet hätte, wären die drei frühzeitig festgenomm­en worden. Dann würde mein Vater noch leben“, sagt Abdulkerim Şimşek. Sein Vater war das erste Opfer des NSU.

Der Fall gehört auch deswegen nicht zu den Akten, weil gewaltbere­iter Fremdenhas­s seither ja nicht aus den Köpfen verschwund­en ist. Zwischen 2015 und 2017 zählte das deutsche Bundeskrim­inalamt 2300 Übergriffe gegen Asylunterk­ünfte. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe würden sich wohlfühlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria