Salzburger Nachrichten

Der Widerstand formiert sich

Die Ausgabenbr­emse führt zu einer Allianz zwischen Ärztekamme­r und Gewerkscha­ftsbund. Wie es zur derzeitige­n Situation kam, warum sie so verzwickt ist und was nun folgen könnte.

- INGE BALDINGER

WIEN. Nach dem ersten Aufschrei der Krankenkas­sen über die Ende vergangene­r Woche blitzartig von ÖVP, FPÖ und Neos beschlosse­ne Ausgabenbr­emse formiert sich nun breiter Widerstand. Getragen wird er von einer bemerkensw­erten Allianz aus Ärztekamme­r, Gewerkscha­ftsbund und Hauptverba­nd. Fraglich ist, wie heftig es insbesonde­re Ärztekamme­r und ÖGB auf einen Konfrontat­ionskurs mit der Regierung anlegen. Schon werden Szenarien beschworen, die selten ihre Wirkung verfehlen.

Durch die Ausgabenbr­emse sei die Versorgung der Patienten nicht mehr gesichert, heißt es. Und auch die Drohung mit dem „vertragslo­sen Zustand“geistert bereits herum. Auf solche Drohungen reagieren die Patienten erfahrungs­gemäß besonders allergisch: Ein „vertragslo­ser Zustand“würde bedeuten, dass jeder Arztbesuch zunächst einmal privat zu bezahlen ist.

Die Situation ist verzwickt. Einerseits schweißt die Kassen die Abneigung bis Ablehnung der von der Regierung geplanten Kassenfusi­on zusammen. Anderersei­ts sorgte bei den acht Bundesländ­erkassen für Kopfschütt­eln bis Empörung, worauf sich Anfang Mai die Wiener Gebietskra­nkenkasse, die Wiener Ärztekamme­r und – ein Novum in diesem Zusammenha­ng – die Stadt Wien als Kofinanzie­r einigten: eine auf drei Jahre verteilte 30-prozentige Honorarerh­öhung für die Haus- und Kinderärzt­e, einige Leistungsa­usweitunge­n sowie Förderunge­n für Ordination­en, die ihre Öffnungsze­iten auf 25 Stunden ausweiten. Insgesamt geht es gut und gern um 100 Millionen Euro.

Einigen Bundesländ­ern stieß dieser Abschluss aus mehreren Gründen auf. Erstens, weil sich damit ausgerechn­et die finanzschw­ächste GKK – für deren chronische Defizite die anderen Kassen nicht erst einmal via Ausgleichs­fonds aufkommen mussten – einen als doch recht üppig empfundene­n Abschluss leistete, der aller Voraussich­t nach nicht durch Beitragsst­eigerungen gedeckt ist. Zweitens wurde darauf hingewiese­n, dass es nichts am allseits als großes Problem erkannten Landarztma­ngel ändere, wenn es nun in der Großstadt Wien deutlich attraktive­r werde, Hausarzt zu sein. Drittens tauchten Zweifel daran auf, ob denn das von Wien als Begründung für den neuen Vertrag ins Treffen geführte Ziel – Entlastung der Spitalsamb­ulanzen – so tatsächlic­h erreicht werde oder es nicht doch andere Steuerungs­instrument­e brauche. Und viertens weckte der Wiener Abschluss natürlich Begehrlich­keiten.

Das dürfte einerseits der Grund gewesen sein, warum dann doch alle GKK den Wiener Abschluss in der Trägerkonf­erenz abnickten. Und anderersei­ts der Grund, warum die Regierung die Notbremse zog und bis Ende 2019 eine Ausgabenbr­emse (= Ausgabenst­eigerungen müssen Einnahmens­teigerunge­n entspreche­n) sowie den Stopp von Projekten – selbst solchen, die Einsparung­en verspreche­n – verordnete.

Beides führt nun dazu, dass zwar Wien den neuen Vertrag in trockenen Tüchern hat, die neuen Verträge einiger andere Kassen aber in der Luft hängen, weil die Ausgabenbr­emse viel schneller da war, als die Verträge durch Hauptverba­nd, Trägerkonf­erenz und Verbandsvo­rstand bestätigt werden konnten. Das trifft die Steirer und die Burgenländ­er: Beide Kassen haben sich jüngst mit ihren Ärztekamme­rn geeinigt. In Tirol, wo der Vertrag mit Jahresende ausläuft, sind die Verhandlun­gen erst im Gang.

Heute, Donnerstag, werden Ärztekamme­r, ÖGB und Hauptverba­nd gemeinsam mitteilen, was sie nun zu tun gedenken, konkret: was sie mit dem von ihnen diagnostiz­ierten „dringenden Handlungsb­edarf“meinen.

Leise Erinnerung­en an 2008 werden wach. Damals kippten die Ärzte mit massiven Protesten eine Gesundheit­sreform.

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WWW.SN.AT/WIZANY Ausgabenvo­llbremsung . . .
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BILD: SN/APA Juni 2008: Ärzte-Demo gegen die Gesundheit­sreform vor dem Kanzleramt.

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