Die Suche nach dem neuen EU-Asylkurs
Einen Paradigmenwechsel hat Österreich in der Migrationspolitik gefordert. Beim Innenministertreffen in Innsbruck kommen radikale Ideen auf den Tisch – und wieder weg.
INNSBRUCK. Soldaten an den europäischen Außengrenzen. Asylanträge nur mehr außerhalb Europas. Rettungsschiffe, die italienische Häfen nicht mehr anlaufen können. Transferzentren, in denen Flüchtlinge an den Binnengrenzen 48 Stunden festgehalten werden. Rückkehrzentren auf dem Balkan für abgelehnte Asylbewerber. Vorschläge wie diese, die in der EU bis vor Kurzem noch als Fantasien aus dem rechten Eck galten, werden die Innenminister der 28 EU-Staaten heute, Donnerstag, bei ihrem Treffen in Innsbruck diskutieren.
Entscheidungen können wegen des informellen Charakters der Veranstaltung nicht getroffen werden. Allerdings soll klarer werden, wie es mit der Asylreform, die seit der Flüchtlingswelle 2015 die EU entzweit, bis zum Sondergipfel in Salzburg am 20. September weitergeht. Österreich werde während des Ratsvorsitzes alles tun, um die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom Juni mit Leben zu erfüllen, sagte Innenminister Herbert Kickl am Mittwoch. Ihm geht es vor allem um die Ausschiffungsplattformen in Nordafrika bzw. Sammellager in Südeuropa für aus dem Mittelmeer gerettete Migranten. EU-Vorsitz
Für Details dazu ist es laut Kickl noch zu früh. „Wichtig ist, dass eine Denkänderung in den Köpfen gelungen ist“, sagte er, dann würden die nächsten Schritte folgen. Aus seiner Sicht sollten in den Ausschiffungsplattformen aber keine Asylanträge möglich sein. Sonst gäbe es weiter einen Pull-Faktor, und das Ziel, das Geschäft der „miesen“Schlepper zu zerschlagen, werde verfehlt. Hauptzweck der Lager sollte sein, die Leute zum Zurückkehren zu bewegen.
Kickl ist einer der drei neuen Innenminister, die derzeit mit radikalen und zum Teil unausgegorenen Ideen einen „Paradigmenwechsel“in der EU-Asylpolitik propagieren. Deutschlands Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen CSU hätte wegen des Asylstreits vorige Woche fast die Koalition mit CDU und SPD gesprengt. Und Matteo Salvini, Chef der Rechts-außenPartei Lega und neuer starker Mann in Italien, hat mit der Schließung von Italiens Häfen die aktuelle Debatte erst richtig angeheizt.
Kickl, Salvini und Seehofer hatten Mittwoch früh noch ein Gespräch vereinbart, bevor die Sitzung im großen Kreis im Innsbrucker Congress startete.
Am Mittwoch war Vier-Augen-Gespräch Kickls Kollegen Seehofer und Salvini angesetzt.
Die „Achse der Willigen“, von der Bundeskanzler Sebastian Kurz gesprochen hat, ist allerdings brüchig. Vor allem bei der wichtigsten Frage, wer für Asylbewerber zuständig ist, die es in die EU geschafft haben, und wer wohin verteilt oder zurückgeschickt werden kann, widersprechen sich die Vorstellungen. Seehofer will Schutzsuchende, die schon in einem anderen Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen. Das lehnt Österreich ab, wie Kickl erneut betonte. „Wir werden die nehmen, für die wir verantwortlich sind“, so der Innenminister. Italien, eines der Hauptankunftsländer in der EU, will gar niemanden zurücknehmen. Im Gegenteil, die neue Regierung pocht darauf, dass andere EU-Länder Schutzsuchende Italien übernehmen.
Zugleich revidieren die neuen Asyl-Hardliner ihre Vorschläge so oft, bis niemand mehr weiß, was wirklich geplant ist. Beispiele gefällig? Seehofer hat sehr zum Ärger seiner Regierungskollegen in Berlin am Dienstag doch seinen „Masterplan Migration“vorgestellt, der vieles enthält, was wohl nie kommen wird. Das österreichische Innenministerium wiederum hat ein Papier nach Brüssel geschickt, wonach auf europäischem Boden nur noch Flüchtlinge aus der unmittelbaren Nachbarschaft Asylanträge stellen können sollen. Alle anderen müssten in der Nähe der Krisenregionen um Schutz ansuchen. Eine „fliegende Kommission“sollte in dort bestehenden Lagern die herausfiltern, die am ehesten Schutz benötigen. „Natürlich haben wir diese Vision, aber mittel- bis langfristig“, sagte Kickl nun.
Kickl muss eine moderate Position beziehen, weil Österreich derzeit den Ratsvorsitz führt. Dessen ungeachtet schwenken immer mehr seiner Amtskollegen auf die Abschottungslinie ein. „Wenn wir Schengen weiter behalten wollen, brauchen wir funktionierende Außengrenzen. Sonst werden die Leute sagen, dass wir wieder Binnengrenzen brauchen“, sagte Luxemburgs liberaler Premier Xavier Bettel. Gleichzeitig forderte er mehr Solidarität unter den EU-Staaten und warnte vor einer „politischen Krise, weil verschiedene Leute mit einfachen Lösungen versuchen, uns auseinanderzutreiben“.