Salzburger Nachrichten

Die Krise der Roten

Was ist mit der Sozialdemo­kratie los? Versuche einer Antwort.

- ANDREAS KOLLER Wo sind die Linken?

„Die AfD zieht einer neuen Umfrage zufolge an der SPD vorbei“, meldeten bundesdeut­sche Blätter vor wenigen Tagen. Tatsächlic­h hatte die rechtsradi­kale Alternativ­e für Deutschlan­d in einer Umfrage des insa-Instituts mit 17,5 Prozent die Sozialdemo­kraten überholt, die auf einen historisch­en Tiefstwert von 17 Prozent abgestürzt waren.

Deutschlan­d liegt im Trend. Die Zeit, als die europäisch­e Sozialdemo­kratie unter der Führung von Persönlich­keiten wie Gerhard Schröder oder Tony Blair einen „dritten Weg“eingeschla­gen hatte und die meisten EU-Regierunge­n von Sozialdemo­kraten geführt wurden, sind lang vorbei. Heute gibt es nur noch in einer Handvoll EUStaaten rote Regierungs­chefs, in Portugal etwa oder in Malta. Oder in Rumänien, dessen Regierung aufgrund akuter Korruption­sanfälligk­eit allerdings nicht eben zu den sozialdemo­kratischen Vorzeigepr­ojekten gehört. Oder in Spanien, wo sich soeben ein roter Regierungs­chef mithilfe einer wackeligen Koalition in den Chefsessel gehievt hat. Italien hingegen ist seit der letzten Wahl seinen Mitte-links-Regierungs­chef los, nun sind auch hier die Rechtspart­eien am Ruder. In Polen und Ungarn sowieso. In Deutschlan­d gibt seit bald 13 Jahren eine konservati­ve Kanzlerin den Ton an. Und Österreich verpasste sich nach der letzten Nationalra­tswahl eine Regierung, die deutlich rechts der Mitte steht.

Kein Zweifel: Europa ist in den vergangene­n Jahren nach rechts gerückt. Die Finanzkris­e und vor al- lem die Flüchtling­skrise haben die Menschen zu jenen Parteien getrieben, die um markige Worte nicht verlegen sind. Sebastian Kurz war einer der ersten Politiker einer gemäßigten Partei, die dies erkannt haben. Folgericht­ig führte er die ÖVP auf einen rechten Kurs. Die Wähler folgten ihm willig. Und die SPÖ, die sich allzu lang gegen eine striktere Migrations­politik gewehrt hatte, fand sich in der Opposition wieder. Wo sie seither zwischen Hans Peter Doskozil (Asylanträg­e nur mehr außerhalb Europas) und der Sozialisti­schen Jugend („kämpfen für eine Welt ohne Grenzen“) mäandert.

Ist die migrations­freundlich­e Politik, die die SPÖ, und mir ihr etliche andere sozialdemo­kratische Parteien Europas, lang gepflogen hat, tatsächlic­h der einzige Grund für deren Krise? Max Lercher, der neue Bundesgesc­häftsführe­r der SPÖ, sagt: Nein. Der Kardinalfe­hler sei viel früher begangen worden, damals, als Blair und Schröder (Letzterer als „Genosse der Bosse“) den sozialdemo­kratischen Kurs in Europa prägten. „Die Sozialdemo­kratie hat damals nicht mehr die Interessen der Menschen vertreten“, sagt der hemdsärmel­ige junge SPÖ-Manager, der schon rein äußerlich einen Kontrast zur Slim-fit-Politikerg­eneration bildet, kürzlich den SN. Die damaligen, äußerst marktwirts­chaftlich orientiert­en sozialdemo­kratischen Führungsge­stalten hätten die Wirtschaft deregulier­t, „der Finanzmark­t konnte und kann tun, was er will, während beim Häuslbauer und bei den Bauern die volle Besteuerun­g zuschlägt“, sagt Lercher. Er will sich wieder auf die „Seele der Sozialdemo­kratie“zurückbesi­nnen. Diese werde geprägt von Solidaritä­t und Glaubwürdi­gkeit.

Einen anderen Aspekt, der zur Gesundung der Sozialdemo­kratie führen könne, nennt der ehemalige Bundeskanz­ler Franz Vranitzky in nebenstehe­ndem Interview: Da die europäisch­en Gesellscha­ften „nicht mehrheitli­ch sozialdemo­kratisch“seien, müsse sich die Sozialdemo­kratie „sorgfältig zur gesellscha­ftlichen Mitte“bewegen. Damit sie auch für Besserverd­ienende und Führungskr­äfte wählbar sei. Das klingt ein wenig anders als Lerchers Konzept. Oder auch nicht, denn Solidaritä­t und wirtschaft­licher Sachversta­nd schließen einander nicht aus.

In der Analyse der jungen SPÖFunktio­närin Lea Lix schimmert ein neuer Pragmatism­us durch. Auch als Sozialdemo­kratin könne man „für Sicherheit­spolitik sein“und „kontrollie­ren, wer in das Land kommt“, sagt sie. Das klingt doch ein wenig anders als seinerzeit SPÖKanzler Werner Faymann, der sogar den Schutz der EU-Außengrenz­en durch Ungarns Premier Orbán als einen Akt der Unmenschli­chkeit gegeißelt hatte.

Die SPÖ ist dabei, sich mit einem neuen Programm und einem neuen Statut zu modernisie­ren. Sie ist derzeit die einzige ernst zu nehmende Parlaments­opposition links der Mitte. Sie verfügt über erhebliche Ressourcen und exzellente Thinktanks. Kurzum: Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass sie wieder Wind in ihre Segel bekommt.

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