Das Exil verändert viele Blickwinkel
Das Salzburger Museum der Moderne verfolgt Spuren von sechs zur Emigration gezwungenen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern.
Eines von vielen, genauer: eines von sechs Exilschicksalen: Lisette Model, geb. Stern, kam 1901 in Wien zur Welt. Sie wollte Musikerin werden, studierte bei Eduard Steuermann und Arnold Schönberg, kam aber durch ihre Schwester zur Fotografie. 1926 übersiedelt die Familie nach Paris, im Sommer 1934 fotografiert Lisette die gehobene Gesellschaft in Nizza. Vier Jahre später emigriert sie mit ihrem Mann Evsa Model nach New York, kommt in Kontakt mit dem Art Director von „Harper’s Bazaar“, wird zur Porträtistin der Stadt und ihrer Menschen, vor allem der Außenseiter, sucht Motive auf der Straße, in Bars und Clubs. Bald wird sie zur einflussreichen Lehrerin mit Vorbildwirkung für eine Generation junger Fotografinnen und Fotografen, die berühmteste unter ihnen: Diane Arbus.
Das Salzburger Museum der Moderne verfolgt aktuell sechs Spuren von Künstlerinnen und Künstlern im Exil. Im Vorjahr lag der Fokus auf der Situation des Aufbruchs, wobei die Bedeutung des Wortes ambivalent aufzufassen war: Es enthält auch den „Bruch“, der durch einen Abschied entsteht. Heuer geht es um „Resonanz von Exil“, reflektiert das Schaffen aus der Perspektive von verschiedenen Exilorten und was sie für die Entwicklung eines Werks bedeuten können.
Dabei hat das Kuratorenteam verschiedene Disziplinen und Positionen in den Blick genommen: Wolfgang Paalen (1905–1959) vertritt die Malerei, Valeska Gert (1892–1978) den Tanz, Madame d’ Ora (Dora Kallmus) (1881–1963) und Lisette Model (1901–1983) die Fotografie, Lili Réthi (1894–1969) die Illustration und Amos Vogel (1921–2012) den Film.
In der Gestaltung der Schau auf einem Stockwerk im Museum auf dem Mönchsberg werden künstlerische und dokumentarische Materialien in spannungsreich erhellende Beziehungen gebracht. Hinter den biografischen Skizzen wird erahnbar, wie neue Lebensumstände auch neue Schaffenssituationen ergeben. Die Tänzerin Valeska Gert, die mit ihren expressionistisch übersteigerten Tanzpantomimen eine ganz eigene Körpersprache entwickelte, fand in von ihr gegründeten und geleiteten Künstlerbars eine buchstäblich neue Bühne.
Als „Entdeckung“dürfen die Illustrationen von Lili Réthi gelten. Sie hegte von früh an eine Vorliebe für die industrielle Arbeitswelt, ging in Maschinenfabriken und Eisenwerke, engagierte sich dementsprechend für die Arbeiterbewegung und dokumentierte im amerikanischen Exil den Bau von Häfen, Kanälen, Brücken, stattete aber auch Sach- und Kinderbücher aus.
Wie um die dunklen Seiten des Exils zu dokumentieren, entbehren die späten Fotografien von Dora Kallmus, darunter auch Ansichten aus Lagern der Displaced Persons in Salzburg, oder ihre SchlachttierImpressionen jeglichen Glamours.
Von überbordender Fantasie muss Amos Vogel(baum) gewesen sein. Er dichtete und zeichnete schon als Kind in krakeliger Schrift Romane und ein (Welt-)Alldrama, seine Skizzen ähneln filmischen Storyboards, er fantasierte sich eigene Verlage herbei. 1947 gründete er mit seiner Frau Marcia in New York den Filmclub 16. In diesem zeigte er „Filme, die man anderswo nicht sehen kann“und schuf so eine Plattform für junge Talente: von John Cassavetes und Jacques Rivette bis Martin Scorsese und Roman Polanski. Er wurde damit zum Proponenten einer alternativen Filmkultur.
Wieder also ist im Museum der Moderne eine Schau entstanden, die nicht schnell konsumierbar ist, die aber einen Beziehungsreichtum entfaltet, der zum Nachdenken (und Entdecken) anregt. Ausstellung: