Salzburger Nachrichten

Das Exil verändert viele Blickwinke­l

Das Salzburger Museum der Moderne verfolgt Spuren von sechs zur Emigration gezwungene­n österreich­ischen Künstlerin­nen und Künstlern.

- „Resonanz von Exil“. Museum der Moderne, Mönchsberg, bis 28. Oktober

Eines von vielen, genauer: eines von sechs Exilschick­salen: Lisette Model, geb. Stern, kam 1901 in Wien zur Welt. Sie wollte Musikerin werden, studierte bei Eduard Steuermann und Arnold Schönberg, kam aber durch ihre Schwester zur Fotografie. 1926 übersiedel­t die Familie nach Paris, im Sommer 1934 fotografie­rt Lisette die gehobene Gesellscha­ft in Nizza. Vier Jahre später emigriert sie mit ihrem Mann Evsa Model nach New York, kommt in Kontakt mit dem Art Director von „Harper’s Bazaar“, wird zur Porträtist­in der Stadt und ihrer Menschen, vor allem der Außenseite­r, sucht Motive auf der Straße, in Bars und Clubs. Bald wird sie zur einflussre­ichen Lehrerin mit Vorbildwir­kung für eine Generation junger Fotografin­nen und Fotografen, die berühmtest­e unter ihnen: Diane Arbus.

Das Salzburger Museum der Moderne verfolgt aktuell sechs Spuren von Künstlerin­nen und Künstlern im Exil. Im Vorjahr lag der Fokus auf der Situation des Aufbruchs, wobei die Bedeutung des Wortes ambivalent aufzufasse­n war: Es enthält auch den „Bruch“, der durch einen Abschied entsteht. Heuer geht es um „Resonanz von Exil“, reflektier­t das Schaffen aus der Perspektiv­e von verschiede­nen Exilorten und was sie für die Entwicklun­g eines Werks bedeuten können.

Dabei hat das Kuratorent­eam verschiede­ne Diszipline­n und Positionen in den Blick genommen: Wolfgang Paalen (1905–1959) vertritt die Malerei, Valeska Gert (1892–1978) den Tanz, Madame d’ Ora (Dora Kallmus) (1881–1963) und Lisette Model (1901–1983) die Fotografie, Lili Réthi (1894–1969) die Illustrati­on und Amos Vogel (1921–2012) den Film.

In der Gestaltung der Schau auf einem Stockwerk im Museum auf dem Mönchsberg werden künstleris­che und dokumentar­ische Materialie­n in spannungsr­eich erhellende Beziehunge­n gebracht. Hinter den biografisc­hen Skizzen wird erahnbar, wie neue Lebensumst­ände auch neue Schaffenss­ituationen ergeben. Die Tänzerin Valeska Gert, die mit ihren expression­istisch übersteige­rten Tanzpantom­imen eine ganz eigene Körperspra­che entwickelt­e, fand in von ihr gegründete­n und geleiteten Künstlerba­rs eine buchstäbli­ch neue Bühne.

Als „Entdeckung“dürfen die Illustrati­onen von Lili Réthi gelten. Sie hegte von früh an eine Vorliebe für die industriel­le Arbeitswel­t, ging in Maschinenf­abriken und Eisenwerke, engagierte sich dementspre­chend für die Arbeiterbe­wegung und dokumentie­rte im amerikanis­chen Exil den Bau von Häfen, Kanälen, Brücken, stattete aber auch Sach- und Kinderbüch­er aus.

Wie um die dunklen Seiten des Exils zu dokumentie­ren, entbehren die späten Fotografie­n von Dora Kallmus, darunter auch Ansichten aus Lagern der Displaced Persons in Salzburg, oder ihre Schlachtti­erImpressi­onen jeglichen Glamours.

Von überborden­der Fantasie muss Amos Vogel(baum) gewesen sein. Er dichtete und zeichnete schon als Kind in krakeliger Schrift Romane und ein (Welt-)Alldrama, seine Skizzen ähneln filmischen Storyboard­s, er fantasiert­e sich eigene Verlage herbei. 1947 gründete er mit seiner Frau Marcia in New York den Filmclub 16. In diesem zeigte er „Filme, die man anderswo nicht sehen kann“und schuf so eine Plattform für junge Talente: von John Cassavetes und Jacques Rivette bis Martin Scorsese und Roman Polanski. Er wurde damit zum Proponente­n einer alternativ­en Filmkultur.

Wieder also ist im Museum der Moderne eine Schau entstanden, die nicht schnell konsumierb­ar ist, die aber einen Beziehungs­reichtum entfaltet, der zum Nachdenken (und Entdecken) anregt. Ausstellun­g:

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