Ministerium verlässt Projekt gegen Gewalt an Frauen
In einer Zeit, in der die Zahl der Morde den höchsten Stand der vergangenen fünf Jahre erreicht hat, stellt das Innenministerium ein Vernetzungsprojekt ein. Ein Erklärungsversuch.
Was schützt am besten, um Gewalt zu verhindern? Die Empfehlung von Experten ist seit Jahren gleichbleibend: Vernetzung.
Bei Gewalt gegen Kinder gilt: Umso dichter Schule, Jugendamt und soziales Umfeld des Kindes vernetzt sind, umso eher fällt ein Missbrauch des Kindes auf. Dasselbe gilt für Gewalt gegen Frauen. Wird eine Frau etwa von ihrem Lebensgefährten bedroht, sollten Polizei, Justiz und Interventionsstellen engmaschig kooperieren. Derselbe Wissensstand über aktuelle Entwicklungen kann im Ernstfall das Leben einer Bedrohten retten.
Doch die Praxis sieht anders aus, wie am Dienstag deutlich wurde. Das Innenministerium ist aus dem „Marac“-Projekt, bei dem Gewaltfälle gegen Frauen von Polizei, Justiz und Interventionsstellen evaluiert wurden, ausgestiegen. Wie das ORFÖ1-„Morgenjournal“berichtete, wurden bei diesen Konferenzen Hochrisikofälle besprochen. Da ein Mehrwert laut Innenministerium im Vergleich zu anderen Projekten nicht erkennbar war, wurde das Projekt eingestellt.
Bei den Treffen wurde besprochen, wie man jene Frauen schützen kann, die bedroht werden, bereits Gewalt erfahren haben oder die Trennung von einem eifersüchtigen Partner nicht schaffen. Maßnahmen wie verstärkte Polizeistreifen, Antigewalttrainings für Gefährder oder dass die Justiz über Gefährlichkeitsfaktoren informiert wird, wurden dann gesetzt.
„Verglichen mit dem Personalaufwand war der Output zu gering. Es war nicht sinnvoll, Fälle im Nachhinein zu besprechen“, sagte die Leiterin der Pressestelle der Wiener Polizei, Daniela Tunst, den SN zu den Gründen des Projektausstiegs. Man dürfe „nicht beleidigt sein“, wenn man nach sieben Jahren frischen Wind hineinbringen wolle. Es werde auch künftig Meetings geben, so Tunst – allerdings seltener und in anderer Zusammensetzung.
„Es geht um Kapitalverbrechen, nicht um Parksünder“, zeigt sich Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, entsetzt über den Ausstieg der Polizei. Dieser komme völlig überraschend, die Zusammenarbeit sei aus ihrer Sicht aktiv und fruchtbar gewesen. Das Projekt werde jedenfalls weiter bestehen. Logar: „Vielleicht gibt es ja einen Weg, dass die Polizei dabeibleibt.“
Losgelöst von der emotionalen Diskussion, sprechen die Fakten eine eindeutige Sprache: Auch wenn die Gewaltkriminalität in Österreich im Jahr 2017 laut Kriminalstatistik gesunken ist (minus 2,4 Prozent), zeigt sich bei den vollendeten Tötungsdelikten ein anderes Bild. In diesem Kriminalitätsbereich, zu dem die in den Konferenzen besprochenen Hochrisikofälle im schlimmsten Fall am Ende zählen, gab es einen massiven Anstieg. Bei den vollendeten Tötungsdelikten im Jahr 2017 um 17,4 Prozent. Wurden im Jahr 2014 noch 38 Mordfälle verzeichnet (2015: 39; 2016: 46), stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 54 Taten. In 24 Fällen wurden dabei Frauen zum Opfer.
Und der Trend scheint sich fortzusetzen: In Österreich wurden heuer bereits 15 Frauen und Mädchen bei Beziehungstaten oder Taten im Umfeld der Familie ermordet. Bei zwei von drei Gewalttaten handelt es sich laut Experten um Beziehungstaten. 62,8 Prozent der Opfer kannten also ihre Täter. Und noch eine andere Zahl spricht für sich: Fast 9000 Männern wurde im Vorjahr durch Betretungsverbote untersagt, sich ihren Ex-Partnerinnen zu nähern.