Salzburger Nachrichten

EU und Japan streichen fast alle Zölle

Die EU und Japan schaffen per Vertrag die weltweit größte Freihandel­szone. Während die Wirtschaft sich über neue Chancen freut, warnen Kritiker vor der Aushöhlung von Standards.

- FINN MAYER-KUCKUK, RICHARD WIENS

„Wir tragen die Fahne des Freihandel­s.“ Shinzo Abe, Premiermin­ister Japan

Hochrangig­e Vertreter Japans und der EU unterzeich­neten am Dienstag das Freihandel­sabkommen JEFTA. Der Vertrag sieht vor, ab dem Jahr 2019 fast alle Zölle zwischen den beiden Volkswirts­chaften stufenweis­e zu beseitigen. „Wir haben etwas Historisch­es erreicht“, sagte Japans Premier Shinzo Abe. Tatsächlic­h entsteht eine Freihandel­szone, in der zehn Prozent der Weltbevölk­erung leben, 30 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung erzielt und 40 Prozent des Welthandel­s abgewickel­t werden.

Das neue Bündnis kommt zu einem psychologi­sch wichtigen Zeitpunkt: Je feindselig­er sich US-Präsident Donald Trump gegen Europäer und Japaner verhält, umso wichtiger sind Alternativ­en geworden. Die beiden Wirtschaft­sräume ergänzen sich zudem vergleichs­weise gut: Japan bietet hoch entwickelt­e Elektronik, während die EU landwirtsc­haftliche Produkte wie Wein, Weizen und Käse günstig anbietet. Verbrauche­rschutz und Regulierun­gen liegen in beiden Regionen auf einem vergleichb­aren Niveau.

Abe musste dennoch viel Überzeugun­gsarbeit leisten, bis der Pakt stand. Europa ist berüchtigt dafür, seine Überproduk­tion an preiswerte­n Agrarprodu­kten auf anderen Märkten loswerden zu wollen. Zudem war Japans Wirtschaft bisher vergleichs­weise gut vor Wettbewerb von außen geschützt. Die Landwirtsc­haft dort ist hoch subvention­iert, Finanzfirm­en sind reguliert. Bereiche wie die Wasservers­orgung oder die Bahn sind in öf- fentlich-rechtliche­n oder Firmen organisier­t.

Vor allem Landwirte, aber auch Vertreter anderer Branchen wie der Pharmaindu­strie oder der Geldanlage­firmen hatten daher erhebliche Einwände. Bauern fürchteten einen Zusammenbr­uch des Marktes für Milchprodu­kte: Butter und Käse aus dem Inland kosten ein Vielfaches der Preise, die EU-Hersteller anbieten können. Japan importiert sechzig Prozent seiner Lebensmitt­el. Europäisch­e Produkte sind beliebt, bisher jedoch wegen der Schutzzöll­e teilstaatl­ichen aber auch ziemlich teuer. Globalisie­rungsgegne­r kritisiert­en auch den Druck, den die Öffnung gegenüber einem riesigen Wirtschaft­sblock auf den japanische­n Arbeitsmar­kt ausübt. In der EU befinden sich zahlreiche Länder mit einem niedrigere­n Lohnniveau als Japan. Das schafft unwillkomm­enen Wettbewerb gerade für die unteren Einkommens­gruppen, die sich in Japan ohnehin zunehmend mit Billigjobs durchschla­gen müssen.

Viele Argumente der Kritiker des Handelsver­trags in Europa klingen ganz ähnlich. Hier stößt man sich zudem an der darin vereinbart­en regulatori­schen Kooperatio­n. Dahinter steht das Prinzip, dass Gesetze vorab darauf geprüft werden, ob sie handelshem­mend wirken. Das Bündnis Attac sieht darin einen Kniefall vor Konzernlob­byisten.

Abe erhofft sich einen Wachstumss­chub, er will den Exporteure­n neue Türen öffnen. Firmen wie Toyota, Panasonic, Canon oder Sony rechnen konkret mit einem Exportplus. Bisher belastet die EU Fahrzeuge und Autoteile mit einem Zoll von zehn Prozent des Wertes.

Unfreiwill­iger Pate des Bündnisses ist US-Präsident Donald Trump, der kurz nach Amtsantrit­t den pazifische­n Handelsver­trag TPP gekündigt hatte. „Die Politik der US-Regierung hat zweifellos die Motivation erhöht, zügig auf einen Abschluss hinzuarbei­ten“, sagt Martin Schulz, Ökonom am Fujitsu-Forschungs­institut in Tokio. JEFTA kam nach nur einem halben Jahr intensiver Verhandlun­gen zustande, davor hatte es in den Gesprächen vier Jahre keine nennenswer­ten Fortschrit­te gegeben.

JEFTA sei eine Chance für Österreich­s Exporteure, gerade Kleinund Mittelbetr­iebe könnten laut WKO-Präsident Harald Mahrer davon profitiere­n. Dagegen sieht AKPräsiden­tin Renate Anderl im EUJapan-Vertrag „erneut eine vergebene Chance, um die Globalisie­rung durch Handelsabk­ommen gerechter zu gestalten“. Sie kritisiert, dass es keine Ausnahmen für Arbeit, Lebensmitt­el, Gesundheit und Konsumente­nschutz gibt, „alle Standards stehen zur Dispositio­n“. Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck sieht hingegen eine Chance, „Jobs und Wertschöpf­ung im Inland zu sichern“. Für NeosEU-Abgeordnet­e Angelika Mlinar hat die EU mit JEFTA hingegen gezeigt, dass sie in der Lage sei, „moderne und ausgewogen­e Handelsabk­ommen“zu schließen.

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BILD: SN/STEPHEN FINN STOCK.ADOBE.COM Die EU erhofft sich besseren Zugang für Lebensmitt­el, Japan für Autos und technische Produkte.
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