Salzburger Nachrichten

„Wir sollten Migration nicht bekämpfen“

Europa will sich gegen Migranten und Asylsuchen­de zunehmend abschotten. Ein Experte plädiert für das Gegenteil.

-

MARIAN SMETANA Jordanien, Kenia, Uganda, Südsudan, Kosovo, Somalia, Sri Lanka und Pakistan. Wo humanitäre Krisen und Fluchtbewe­gungen sind, da ist auch Kilian Kleinschmi­dt. Im SN-Gespräch analysiert der Migrations­experte mit Praxiserfa­hrung die aktuelle EU-Flüchtling­sdebatte.

SN: Sie haben während der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 die österreich­ische Regierung in Bezug auf Erstaufnah­mezentren beraten. Was würden Sie im EU-Asylstreit raten?

Kilian Kleinschmi­dt: Sachlich zu werden. Im Moment geht es nicht um Zahlen, weil die Ankünfte von Asylsuchen­den stark zurückgega­ngen sind, sondern um Emotionen. Im Moment wird die Flüchtling­ssituation übertriebe­n dargestell­t, um vor allem Kontrollsy­steme aufzubauen. Dabei sollte man in ruhigeren Zeiten auch überlegen, wie man mit Migration prinzipiel­l anders umgehen kann. SN: Wie sollte das aussehen? Wir sollten Migration nicht bekämpfen, sondern managen – also in geordnete Bahnen bringen. Wir müssen die globale Mobilität fördern. Migration heißt ja nicht nur in eine Richtung zu gehen, sondern auch weiterzuge­hen oder zurückzuke­hren. 2003 etwa bekamen rund eine Million illegal in Griechenla­nd lebende Albaner eine Aufenthalt­serlaubnis. Die Grenzüberg­änge waren blockiert, aber nicht Richtung Griechenla­nd, sondern Richtung Albanien, weil die Albaner reisen durften. Mir ist klar, dass das dem derzeitige­n Diskurs widerspric­ht. Im Moment überlegen europäisch­e Politiker nur, wie die Menschen dort bleiben, wo sie sind. SN: Was könnte die EU für einen Nutzen von der Migration haben? Es ist vor allem eine wirtschaft­liche und soziale Überlegung. In einer globalisie­rten Wirtschaft müssen die Arbeitnehm­er flexibel und mobil sein. Gemeint sind aber nicht nur Niedrigloh­nberufe. Wir werden in Zukunft mehr gut ausgebilde­te Menschen benötigen. Demografis­ch holen wir diesen Bedarf nicht mehr auf. Es kommen ja im Jahr zwei Millionen Menschen ganz legal hierher nach Europa. Das muss man sich auch einmal klarmachen. Der Bedarf ist aber höher. Nach einer restriktiv­en Einwanderu­ngspolitik werden wir in einigen Jahren sehr wahrschein­lich noch aktiver im Ausland Arbeitskrä­fte suchen.

SN: Viele würden wohl flapsig dagegen argumentie­ren, dass sich damit halb Afrika auf den Weg machen wird. Das ist sowieso falsch. Denn es geht um eine Kombinatio­n aus besseren Ausbildung­sprogramme­n, einer positiven Wirtschaft­sentwicklu­ng, die es bereits in vielen afrikanisc­hen Ländern gibt, und einer vernünftig­en Arbeitsmig­ration. Global gesehen ist die Migration innerhalb Afrikas das entscheide­nde Thema, auch aus der Sicht Europas. Denn in vielen afrikanisc­hen Staaten findet eine sehr schnelle Urbanisier­ung statt. Und eine schlecht organisier­te Urbanisier­ung birgt viele Gefahren in sich, die dann zu Konflikten und Flucht führen können. Hier sollten sich die europäisch­en Politiker fragen: Was kann Europa mit Knowhow beitragen, damit Städte wie Lagos in Nigeria besser wachsen? SN: Bei der Migrations­debatte geht es aber nicht nur um wirtschaft­liche Überlegung­en, sondern auch um kulturelle und religiöse Unterschie­de. Das ist eine Herausford­erung. Aber auch die Städte in Europa werden bunter. In einer globalisie­rten Welt ist das nicht mehr rückgängig zu machen und es funktionie­rt, wenn auf Gemeindeeb­ene die Integratio­nsarbeit gut gemacht wird. SN: Sie kommen aus der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Kann die berühmte Hilfe vor Ort Migration bremsen? Die Entwicklun­gsgelder sind im Vergleich zu wirtschaft­lichen Geldflüsse­n sehr gering. Viele Politiker glauben ja, dass man einfach irgendwo einen Brunnen graben muss und dann bleiben die Menschen in ihren Herkunftsl­ändern. Aber diejenigen, die etwa über das Mittelmeer zu uns kommen, sind nicht die Ärmsten der Armen. Für die Überfahrt braucht man Geld. Es geht also nicht nur um Wasser und Brot, sondern die Menschen wollen Teil einer modernen Welt sein und deren Vorteile nutzen. Gleichzeit­ig werden durch die europäisch­e Handelspol­itik in afrikanisc­hen Ländern ganze Wirtschaft­szweige ruiniert, wie zum Beispiel die Bekleidung­sindustrie oder die Landwirtsc­haft, ganz zu schweigen von der Ausbeutung von Bodenschät­zen. SN: Migranten und Asylsuchen­de sollen laut EU-Plänen in großen Lagern untergebra­cht werden. Sie haben in großen Flüchtling­slagern gearbeitet, wie kann so etwas menschenwü­rdig funktionie­ren? Das sind geschlosse­ne Lager, in denen Menschen sortiert werden. Das kann nur mit repressive­n Maßnahmen durchgefüh­rt werden und der Grenzschut­z plus Zentren wird Milliarden kosten. Die Forderung, dass Flüchtling­e in den Herkunftsr­egionen bleiben sollten, ist vielleicht richtig, aber die internatio­nale Politik tut wenig dafür. Nach Jordanien kamen zum Beispiel Hunderttau­sende Syrer. Zwei große Lager wurden aufgebaut, die von der Versorgung ok sind, weil sie internatio­nal unterstütz­t werden. Doch dort leben nur 20 Prozent der Flüchtling­e. Die wirkliche Last tragen nicht diese Lager, sondern die Städte, in denen die meisten Flüchtling­e leben. Müllentsor­gung, Wasservers­orgung, Bildungspr­ogramme sind Themen für die Gemeinden. Das Geld dafür kommt aus Jordanien und nicht aus der internatio­nalen Unterstütz­ung.

 ?? BILD: SN/PICTUREDES­K ?? Afrikanisc­he Migranten überqueren den Grenzzaun zwischen der spanischen Enklave Melilla und Marokko.
BILD: SN/PICTUREDES­K Afrikanisc­he Migranten überqueren den Grenzzaun zwischen der spanischen Enklave Melilla und Marokko.
 ??  ?? Kilian Kleinschmi­dt: Der Deutsche arbeitete für UNHCR und ist aktuell als Berater vor allem in Griechenla­nd und Nordafrika tätig.
Kilian Kleinschmi­dt: Der Deutsche arbeitete für UNHCR und ist aktuell als Berater vor allem in Griechenla­nd und Nordafrika tätig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria