Salzburger Nachrichten

Opposition“„Ich kann

Die neue Chefin der Neos erklärt, wie sie gegenüber der Regierung „konstrukti­ve Härte“zeigen will, warum sie sich politisch weder rechts noch links sieht und weshalb sie für eine EU-Armee plädiert.

- MARIAN SMETANA

Beate Meinl-Reisinger stellt sich im ersten SN-Gespräch nach ihrem Amtsantrit­t vor und spart nicht mit Kritik an ihren politische­n Mitbewerbe­rn. SN: Wie werden sich die Neos unter Ihrem Vorsitz verändern? Beate Meinl-Reisinger: Ich werde das Rad nicht komplett neu erfinden. Immerhin war ich Mitbegründ­erin, stellvertr­etende Vorsitzend­e und war von Anfang an bei den Neos an Bord. Organisato­risch wollen wir uns verstärkt in den Gemeinden und Ländern verankern. Mein inhaltlich­es großes Herzensthe­ma wird die Zukunft des gemeinsame­n Europas sein. SN: Bedeutet „gemeinsame­s Europa“, dass mehr Kompetenze­n Richtung Brüssel abgegeben werden sollten? In wesentlich­en Zukunftsfr­agen, ja. Vor allem, weil wir ein handlungsf­ähiges Europa wollen. Das bedeutet, dass wir vom Einstimmig­keitsprinz­ip im Rat wegkommen müssen, denn dort gewinnen zunehmend Nationalis­mus und Populismus die Oberhand. Das verhindert ein gemeinsame­s Auftreten nach außen. Das brauchen wir aber beim Freihandel, der Bekämpfung des Klimawande­ls oder der Besteuerun­g von internatio­nalen Großkonzer­nen. SN: 2019 sind EU-Parlaments­wahlen. Sollte Matthias Strolz für die Neos antreten? Nein, das hat er auch ausgeschlo­ssen. Wir arbeiten derzeit an unserem Europa-Programm, die Liste werden wir im März 2019 fixieren. SN: Welche Baustellen sehen Sie noch in der EU-Politik? Etwa eine Reform der Agrarpolit­ik, da fließt bisweilen das meiste Geld hin und ich frage mich, ob das die richtige Prioritäte­nsetzung für Europa in einem globalen Wettbewerb ist, wenn der Börsenwert von Facebook etwa 600 Milliarden Dollar beträgt. Der Fokus muss auf Innovation­en, Forschung und Entwicklun­g im digitalen Bereich liegen. Und natürlich: Wie sollte die EU sicherheit­spolitisch aufgestell­t sein? In Zeiten von Trump und Putin brauchen wir eine entschloss­ene europäisch­e Sicherheit­s- und Außenpolit­ik. Da ist auch der Weg Richtung gemeinsame­r Streitkräf­te unausweich­lich. SN: Die EU hat ein Imageprobl­em, wie wollen Sie den Wählern die Kompetenzv­erschiebun­g Richtung Brüssel verkaufen? All die genannten Punkte können von einem Land allein nicht gelöst werden. Das wissen die Österreich­er. Wir müssen auch in der Asylfrage in Europa eine gemeinsame Politik fahren. Im Moment diskutiere­n wir nur nationale Lösungen, das bringt uns nicht weiter. SN: Was wäre Ihr Vorschlag für eine Lösung in der gemeinsame­n Asylpoliti­k? Grundsätzl­ich muss man zwischen Asyl und Migration trennen. Verfolgte sollten auch in den Herkunftsl­ändern um Asyl ansuchen können. Die Betonung liegt auf „auch“. Die Fantasien, dass man nur noch außerhalb Europas einen Asylantrag stellen kann, halte ich aus rechtsstaa­tlicher Sicht für höchst problemati­sch. Hinsichtli­ch der Migration müssen wir uns als Europa die Frage stellen, ob wir nicht in Zukunft die besten Köpfe aussuchen sollen. Also auch legale Migrations­routen ermögliche­n. Gleichzeit­ig müssen wir eine Art Marshall-Plan für Afrika schaffen. Das wird Geld kosten, das muss man den EU-Bürgern auch klar sagen. Die Regierung spricht lieber von der Kürzung des EU-Budgets, das ist populistis­ch. SN: Die Zuwanderun­g fordert auch die Gesellscha­ft heraus, etwa wenn es um das Verhältnis zwischen Religion und Staat geht. Ist hier die liberale Demokratie in der Zwickmühle? Im Sinne einer offenen Gesellscha­ft ist hier keine Toleranz gegenüber der Intoleranz zu zeigen. Deshalb sollten zum Beispiel keine Vereine gefördert werden, die eine Nähe zum politische­n Islam haben. Die offene Gesellscha­ft ist aber auch von anderer Seite in Bedrängnis. Etwa durch eine autoritäre Politik, wie sie in Polen oder Ungarn betrieben wird. Liberale Demokratie, Rechtsstaa­t, unabhängig­e Justiz, Meinungsfr­eiheit. Diese Werte sind zunehmend unter Beschuss. SN: Es gibt auch Diskussion über ein Kopftuchve­rbot für Kinder und Frauen im öffentlich­en Dienst. Was ist hier die Position einer liberalen Partei? Eine liberale Position ist, niemand vorzuschre­iben, was er zu tragen hat. Aber kopftuchtr­agende Mädchen in Kindergärt­en gefallen mir nicht. Wir haben von der Regierung noch keinen Lösungsvor­schlag bekommen, der verfassung­skonform ist. Den jetzigen Versuch der Regierung, die Länder zu erpressen und zu sagen: „Ihr bekommt nur noch Geld für die Kinderbetr­euung, wenn ihr das Kopftuch verbietet, weil wir schaffen es auf Bundeseben­e nicht“, halte ich für grundfalsc­h. SN: Wie beurteilen Sie generell die Arbeit der Regierung? Wir haben in den meisten Dingen nur Ankündigun­gen erlebt und müssen in vielen Fragen einmal warten, was im Detail geplant wird. Die Regierung setzt eigentlich nur auf eine restriktiv­e Politik gegenüber Ausländern. Das ist ihr Geschäftsm­odell. Dabei übersieht sie, dass man auch über sinnvolle Vorschläge in dem Bereich diskutiere­n sollte. Es ist integratio­ns-, bildungsun­d wirtschaft­spolitisch katastroph­al, dass junge Asylsuchen­de, die eine Lehre gefunden haben, abgeschobe­n werden. Die Betriebe brauchen diese Leute, in die sie auch investiert haben. Landeshaup­tmann Haslauer hat ja Ähnliches gefordert. SN: Wie wollen Sie Ihre Rolle als Opposition­spartei anlegen? Ich hatte auch in Wien immer den Ansatz der konstrukti­ven Härte. Wir schauen genau hin und sind gleichzeit­ig für eine Zusammenar­beit offen. Ich fühle mich verpflicht­et, getreu unseren Positionen zu arbeiten, dafür wurden wir auch gewählt. Und wenn sich diese Positionen mit denen der Regierung treffen, dann sind wir dabei. Alles andere ist demokratis­ch unreif. SN: Sie haben das Arbeitszei­tgesetz kritisiert und gleichzeit­ig mitgestimm­t. Warum? Die Arbeitszei­tflexibili­sierung ist wichtig. Die Arbeit hat sich in vielen Branchen geändert und erfordert ein flexibles Gesetz. Aber wir haben die Reform auch kritisiert. Wir haben erwirkt, dass jetzt die Freiwillig­keit festgeschr­ieben ist und eine echte Vier-Tage-Woche möglich ist. Da haben wir Druck aufbauen können. SN: Matthias Strolz wollte immer Arbeitsübe­reinkommen der Opposition. Wollen Sie das auch? Sobald ich im Nationalra­t bin, werde ich mit Christian Kern und Peter Pilz reden, damit wir uns auf ein gemeinsame­s Arbeitspro­gramm einigen. Politik ist immer ein Spagat zwischen Wettbewerb und Kooperatio­n. Die Kooperatio­n hat in Österreich leider keine Tradition. SN: Sie wollen weder rechts noch links sein. Bei den jüngsten Nationalra­tswahlen haben die Neos nur 0,33 Prozentpun­kte dazugewonn­en. Wo sehen Sie noch Wählerpote­nzial? Wir sind vor allem progressiv und haben kein klassische­s Klientel, das wir bedienen müssen. Das ist auch ein Vorteil. Mittlerwei­le gibt es in vielen politische­n Diskussion­en nur noch extrem polarisier­ende öffentlich­e Meinungen. Und viele stehen in der Mitte und denken: Da kann ich nicht mehr mit, die Welt ist nicht schwarz-weiß. SN: Nach dem Abgang von Matthias Strolz haben viele gemeint, die Opposition sei geschwächt. Nehmen Sie das persönlich? Nein, wer mich kennt und meine Arbeit in Wien verfolgt hat, weiß, dass ich Opposition kann. SN: Die Opposition wurde durch den Wechsel also eher gestärkt? Sicher. Es gibt wieder eine Frau vorn, das ist sicher eine Stärke.

„Regierung setzt nur auf restriktiv­e Ausländerp­olitik.“ Beate Meinl-Reisinger, Neos-Chefin

 ?? BILD: SN/APA ?? Beate MeinlReisi­nger ist seit dem 23. Juni 2018 die neue Parteivors­itzende der Neos.
BILD: SN/APA Beate MeinlReisi­nger ist seit dem 23. Juni 2018 die neue Parteivors­itzende der Neos.

Newspapers in German

Newspapers from Austria