Vom bewussten Umgang mit Sexualität Homosexualität ist eine Normvariante von Beziehung
Sexualpädagogik vermittelt klare Werte und Haltungen zu Sexualität, Verhütung und tragfähigen Beziehungen. „Wertfrei“kann Sexualerziehung nur im Sinne von nicht abwertend sein.
Marianne Greil-Soyka Zum Artikel von Barbara Haimerl „Wer klärt unsere Jugend auf?“in den „Salzburger Nachrichten“vom 30. Juni 2018 möchte ich als Präsidentin der Österreichischen Akademie für Sexualmedizin zur Diskussion um die Sexualerziehung an Schulen Stellung nehmen:
Uns Menschen ist ein bewusster Umgang mit Sexualität eigen. Keuschheit leitet sich vom lateinischen „conscius“, „bewusst“, ab. Akzeptanz, Wertschätzung, Beheimatung, Autonomie, Entfaltungsmöglichkeit, Nähe, Wärme und Geborgenheit in verlässlicher Beziehung sind universelle menschliche Grundbedürfnisse. Sie sind Ursehnsüchte in jeder Beziehung, vor allem aber sind sie der zentrale Inhalt partnerschaftlichen Lebens, Kommunizierens und Glückempfindens. Laut Kurt Loewit kann Sexualität über ihre beziehungsorientierte Dimension als nonverbale Körpersprache begriffen werden und sowohl im Austausch von Zärtlichkeit wie auch im Koitus diese Grundbedürfnisse verkörpern und dadurch gleichzeitig verwirklichen.
Zum kommunikativen Aspekt von Sexualität stellen Masters und Johnson fest: „Sexuelle Betätigung, die diese Werte ignoriert, wird zu einem sinnlosen Leerlauf und führt häufig zu einem Nachlassen des sexuellen Interesses oder zu Funktionsstörungen.“Jede sinnlose Handlung reduziert den Sinngehalt des Lebens und sinnloser Sex bildet keine Ausnahme. Sinnvolle Sexualität hat auch eine spirituelle Dimension.
Eine wertorientierte und sexualitätsbejahende Sexualaufklärung trägt dazu bei, Kinder und Jugendliche einen bewussten Umgang mit Sexualität zu lehren, die Entwicklung einer positiven Haltung zur Sexualität sowie ihre sexuelle Gesundheit zu fördern und sie bei der Bewältigung möglicher Probleme zu unterstützen. Sexualpädagogik vermittelt klare Werte und Haltungen in Bezug auf Sexualität, Verhütung und tragfähige Beziehungen. Laut den „Standards für Sexualerziehung in Europa“sind dies: den eigenen Körper zu akzeptieren und wertzuschätzen, ein positives Selbstbild und Selbstwertgefühl aufzubauen, davon überzeugt zu sein, selbst etwas bewirken und selbst handeln zu können, eine positive Geschlechtsidentität und sexuelle Identität auszubilden, die Gleichberechtigung der Geschlechter anzuerkennen, die Gefühle, Grenzen, Bedürfnisse und Meinungen anderer zu akzeptieren, das Recht jedes Menschen auf sexuelle Selbstbestimmung anzuerkennen und anzuerkennen, dass Sexualität konsensual, freiwillig, gleichberechtigt, altersgerecht und kontextadäquat ist, sich über Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten bewusst zu werden, für die Gesundheit und das Wohlbefinden von sich und anderen verantwortlich zu sein, die Vielfalt von Menschen, Beziehungen und Lebensstilen, von unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und Religionen zu respektieren, Verantwortung, Ehrlichkeit, Respekt und Gleichberechtigung als die Grundlage menschlicher Beziehungen und einer humanen Gesellschaft anzuerkennen und Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Diskriminierung entgegenzutreten.
Der im Artikel von Barbara Haimerl zitierte Begriff „wertfrei“im Kontext von Sexualerziehung kann nur im Sinne von „nicht ab- bzw. fehlwertend“oder „vorurteilsfrei“verwendet werden. Allerdings sollte der Begriff in diesem Zusammenhang vermieden werden, weil er missverständlich ist, da er dem Gegenüber das Vorhandensein humanistischer Werte und ethischen Handelns abspricht.
Zum Thema Homosexualität: Eine Sexualerziehung, die Homosexualität zur therapierbaren Krankheit erklärt, ist hochgradig gefährlich und absolut inakzeptabel. Homosexualität ist eine Normvariante menschlicher Beziehungsfähigkeit. Die Frage, ob eine homosexuelle Orientierung krankhaft ist, wurde durch viele Forschungen negativ beantwortet. Abgesehen von anderen Gründen dafür ist der Maßstab für eine krankhafte Störung immer das Leiden an einem regelwidrigen Geistes- oder körperlichen Zustand. Menschen, die homosexuell orientiert sind, leiden nicht an der Ausprägung ihrer sexuellen Orientierung, sondern an der Einstellung und den Normen der Gesellschaft. Führende amerikanische psychotherapeutische Gesellschaften haben sich deutlich gegen Konversionsversuche, die nachweislich nichts nutzen, aber sehr schaden können, ausgesprochen und sie als unethisch gebrandmarkt. Therapeuten müssen Jugendlichen und Erwachsenen dabei helfen, ihre eigene sexuelle Orientierung zu finden, zu akzeptieren und verantwortlich zu leben.
Der Zugang zu einer umfassenden Sexualaufklärung ist ein Menschenrecht. Wir haben in Salzburg das Glück, dass wir mit dem Verein „Selbstbewusst“unter der Leitung der engagierten Sexualpädagogin Gabriele Rothuber und Robert Steiner eine Institution haben, die an Schulen die Sexualaufklärung von Kindern, Eltern und Gemeinschaften u. a. auch in Bezug auf homo- bzw. bisexuelle Orientierung macht. Laut Dozent Martin Plöderl brauchen lesbische, schwule und bisexuelle (LSB) Jugendliche die Unterstützung durch die Eltern als einen wichtigen Faktor für die gesunde Entwicklung, speziell in der Coming-out-Phase. Manche LSB-Jugendliche werden Opfer von Mobbing. Die Unterstützung durch die Eltern sei dann umso wichtiger und nicht zuletzt suizidpräventiv. Ebenfalls leistet der Verein eine hervorragende Arbeit zur Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch und sexualisierter Gewalt an Kindern. So wird die Basis für das spätere Leben und Erleben von erfüllten und glücklichen sexuellen Beziehungen und für das verantwortliche Handeln gegenüber der eigenen Person und gegenüber anderen geschaffen.