Salzburger Nachrichten

Das Aus für den Pflegeregr­ess wirft immer neue Fragen auf

Seit 1. Jänner wird nicht mehr auf das Vermögen von Heimbewohn­ern zugegriffe­n. So weit herrscht Klarheit. Zum großen Teil noch unklar ist, wie mit davor entstanden­en Forderunge­n umzugehen ist.

- INGE BALDINGER Der Regress im Pflegeheim war flugs abgeschaff­t. Die Klärung der Rechtsfrag­en wird dauern.

Flugs war die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses vor der Nationalra­tswahl beschlosse­n. Vermutlich Jahre wird die Klärung der offenen Rechtsfrag­en dauern. Eine ist unterdesse­n per Urteil des Obersten Gerichtsho­fs in Wien entschiede­n. Es besagt im Wesentlich­en, dass in der Vergangenh­eit entstanden­e Regressfor­derungen von Erben nicht zu bezahlen sind, wenn die Verfahren am 1. Jänner 2018 – als das Aus des Pflegeregr­esses in Kraft trat – noch im Laufen und nicht rechtskräf­tig entschiede­n waren. Das schafft Klarheit in einer Reihe von Fällen, aber lang nicht in allen.

Vor allem beschäftig­te sich der OGH mit etwas für Pflegeregr­essfälle Typischem überhaupt nicht. Dass Regressfor­derungen der Länder bereits im Grundbuch stehen, die Kinder von Pflegeheim­bewohnern das Erbe aber trotzdem annehmen und die Schuld in Raten abtragen.

Hier kommt die auch unter Juristen umstritten­e Antwort auf die Frage ins Spiel, was unter einem „laufenden Verfahren“zu verstehen ist. Die einen sagen: alles, was noch nicht rechtskräf­tig ist. Die anderen sehen schon in einer Ratenzahlu­ng per se ein „laufendes Verfahren“, unabhängig davon, ob es dazu eine rechtskräf­tige Vereinbaru­ng gibt.

Die Bundesländ­er reagierten auf die ungeklärte­n Rechtsfrag­en bisher recht unterschie­dlich. Letztlich wird wohl der Verfassung­sgerichtsh­of für Klarheit sorgen müssen.

WIEN. Die Abschaffun­g des Regresses im Pflegeheim wird die Gerichte noch lange beschäftig­en. Zwar hat jüngst ein OGH-Urteil für manche Erben Klarheit geschaffen. Wichtige Fragen, die auch zukünftige Erben betreffen werden, sind aber offen. Und spalten die Juristen.

Bis hinauf zum Verfassung­sgerichtsh­of sind Verfahren anhängig: Unter dem Hinweis, dass der Regress mit 1. Jänner 2018 abgeschaff­t wurde, wollen Erben nicht mehr zahlen, was sie mit der Verlassens­chaft als Pflegeregr­essforderu­ng annahmen. Es geht hier oft um vereinbart­e Ratenzahlu­ngen und vor allem darum, was in all den Fällen geschieht, in denen die Länder mit ihren Regressfor­derungen gegenüber Pflegeheim­bewohnern bereits vor dem 1. Jänner 2018 im Grundbuch standen.

Bei dem OGH-Urteil ging es weder um Ratenzahlu­ngen noch um grundbüche­rlich festgeschr­iebene Forderunge­n. Sondern um die Barforderu­ng an den Sohn einer Frau, die 2013 nach einem Krankenhau­saufenthal­t zur Kurzzeitpf­lege in einer Einrichtun­g des Fonds Soziales Wien (FSW) war. Als die Frau später starb, versuchte der FSW bei ihrem Sohn die damals entstanden­en Kosten in der Höhe von 22.000 Euro zurückzuho­len. Der Sohn ging durch die Instanzen. Als am 1. Jänner des heurigen Jahres das Aus des Pflegeregr­esses in Kraft trat, war das Verfahren noch nicht rechtskräf­tig abgeschlos­sen. Sondern erst ein paar Monate später. Und da urteilte der OGH: Für Regressfäl­le, die zwar vor dem Aus des Pflegeregr­esses entstanden sind, aber mit dem Aus des Regresses noch nicht rechtskräf­tig waren, gilt, dass nicht gezahlt werden muss.

In Salzburg, Niederöste­rreich und der Steiermark hatte man offenbar mit so einem Urteil gerechnet, zumal es schon im Gesetz, mit dem der Bund die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses verfügte, heißt, dass „laufende Verfahren“einzustell­en sind. Die drei Länder taten das zwischen Jänner und März per Landesregi­erungsbesc­hlüssen, in denen sie diese Verfahren einmal „bis zur endgültige­n Klärung der offenen Rechtsfrag­en“aussetzten.

Tirol kündigte nach dem im April gefallenen OGH-Urteil an, die rund 60 anhängigen Gerichtsve­rfahren zurückzuzi­ehen. Die Stadt Wien erklärte 19 ähnlich gelagerte Fälle für beendet. Kärnten teilte erst dieser Tage mit, nun alle 460 laufenden Verfahren aus früheren Jahren einzustell­en (und den Forderungs­ausfall dem Bund in Rechnung zu stellen). Oberösterr­eich wartet auf den Rat des Verfassung­sdienstes, wie mit „Altfällen“umzugehen ist.

Was ein „laufendes Verfahren“ist, darüber gehen die juristisch­en Meinungen allerdings auseinande­r. Einige Länder – darunter Wien und die Steiermark – stehen auf diesem juristisch­en Standpunkt: Als laufend gilt ein Verfahren, solange es nicht rechtskräf­tig beschieden ist. Deshalb wird an Regressfor­derungen gegenüber Erben festgehalt­en, deren Verlassens­chaftsverf­ahren vor dem Jahreswech­sel rechtskräf­tig entschiede­n, aber noch nicht beglichen wurden. Oft geht es hier um Ratenzahlu­ngen. Typischer Fall: Ein Pflegeheim­bewohner hinterläss­t eine Wohnung; das Kind nimmt das Erbe an, obwohl das Grundbuch bereits mit der Regressfor­derung belastet ist, und zahlt die „Schuld“nach und nach ab. Aus Sicht Wiens und der Steiermark muss in derartigen Fällen auch weitergeza­hlt werden.

Nicht sicher sind sich da andere Länder, darunter Niederöste­rreich und Tirol, die einmal auf Forderunge­n verzichten, für die Ratenzahlu­ngen vereinbart wurden. Denn es gibt auch diesen juristisch­en Standpunkt: Eine Ratenzahlu­ng an sich ist ein „laufendes Verfahren“, egal ob es dazu eine rechtskräf­tige Vereinbaru­ng gibt oder nicht. Man darf sehr gespannt sein, welcher Meinung sich der Verfassung­sgerichtsh­of anschließt, bei dem die Frage wohl letztlich landen wird.

Was ist mit „laufendem Verfahren“gemeint?

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BILD: SN/DPA

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