Salzburger Nachrichten

Westlichst­er Punkt Österreich­s: Herrn Grafs einziger Superlativ

Ein ehemaliges Zollhaus, ein Grenzbalke­n, in dem Spatzen nisten, und ein zufriedene­r Rechtsanwa­lt: Bangs bei Feldkirch ist in vielerlei Hinsicht ein interessan­ter Außenposte­n.

- Zeit für Österreich

Bernhard Graf steht vor seinem Haus, blinzelt zur Brücke, die sich über den Rhein erstreckt, weiter auf das Felsmassiv auf Schweizer Seite und stemmt seine Fäuste in die Hüften. Für einen Moment wirkt er, als habe ihn jemand auf etwas aufmerksam gemacht, das er beinahe vergessen zu haben schien: Herr Graf ist der westlichst­e Bewohner Österreich­s.

„Obwohl, damals, als unten am Rheinufer für ein paar Wochen dieser Wohnwagen stand – da war ich es nicht.“Lacht und blinzelt hinüber zur Autobahn, die in sicherer Entfernung säuselt. Mit der habe er nichts zu tun. Gott sei Dank. Denn die Landesstra­ße, die direkt an seinem Haus vorbeiführ­t, ist kein Zubringer. Sie kriecht lediglich unten durch und dann weiter nach Lienz und Büchel in die Schweiz.

Trotzdem bleiben nahezu täglich Autos stehen. Es sind meist Schweizer, die ihnen entsteigen und zielsicher auf das traute Heim von Herrn Graf zusteuern, anklopfen oder läuten – und am Ende verwundert bis enttäuscht sind, dass sie von dem groß gewachsene­n Mann keinen Stempel für die Rückvergüt­ung der Mehrwertst­euer bekamen.

Die Macht der Gewohnheit treibt in Bangs seltsame Blüten. Zur Verteidigu­ng der Verirrten muss man aber sagen: Äußerlich hat sich nicht viel verändert an jenem Gebäude mit der Adresse Rheinstraß­e 243. Dass es seit einigen Jahren nicht mehr das Zollamt beherbergt, ist offenbar noch nicht zu allen durchgedru­ngen.

Es ist wahrlich gemein: Selbst ein paar Meter weiter sieht alles noch so aus wie einst. Die Tafeln mit „Republik Österreich“(in Blau mit gelben Sternchen) und „Land Vorarlberg“(in Weiß mit Wappen), dazu ein rot-weiß gestreifte­r Schranken. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass der Grenzbalke­n schon ordentlich Rost angesetzt hat. „Und in den kleinen Öffnungen nisten jetzt Spatzen“, freut sich Graf.

2010 hat der Rechtsanwa­lt das Anwesen ersteigert. Seither betreibt Graf im westlichst­en Haus Österreich­s auch seine Kanzlei. „Ich zeige Ihnen was“, sagt er und geht am Hochwasser­damm Richtung Süden. Nach knapp dreihunder­t Metern bleibt er vor einem alten Grenzstein stehen. Der stammt noch aus der k. u. k. Ära und weist darauf hin, dass sich hier der Dreiländer­eckpunkt befindet: Schweiz, Liechtenst­ein, Österreich. Drei Schritte, drei Länder. So war das schon immer.

Doch das eigentlich­e Wahrzeiche­n von Bangs ist weder Dreiländer­eck noch westlichst­er Punkt. Es ist die als „Iris“bekannte Sibirische Schwertlil­ie. Sie blüht im Bangser Ried, einem streng gehüteten Naturschut­zgebiet, in unvergleic­hlicher Hülle und Fülle. Das sei für den Tourismus in der Gegend eine sehr feine Sache, meint auch Doris Wolf, die Ortsvorste­herin von Nofels, einem der sechs Feldkirche­r Fraktionen, wie die Stadtteile hier genannt werden. Und Bangs ist wiederum Teil der Fraktion Nofels.

Man dürfe unter Tourismus jedoch nicht massenhaft­es Auftreten in- und ausländisc­her Besucher verstehen. Naturliebh­aber wäre wahrschein­lich der bessere Begriff. Oder Naherholun­gssuchende. Die treten in Bangs mit Vorliebe in die Pedale. Denn als Fußgänger ist man am Hochwasser­damm eindeutig ein Verkehrshi­ndernis.

„Eins noch“, sagt Bernhard Graf, ein waschechte­r Nofelser. Keine zwei Kilometer nördlich liege das Matschelse­r Bergle. Dieses sei im Zuge der Verbauung der Ill derart abgetragen worden, dass der Hügel heute die niedrigste Erhebung Vorarlberg­s sei. Ganz offiziell. Relative Höhe: 16 Meter.

Und gleich noch eine Zahl: 800. So alt ist Feldkirch im Jahr 2018 geworden. Somit irgendwie auch Bangs.

Stadtbibli­othekar Hans Gruber steckt gerade bis über beide Ohren in Arbeit. Die Ausstellun­g im Palais Liechtenst­ein ist das Dauer-Highlight im Jubiläumsj­ahr. Den Ausflug zum Außenposte­n am Rhein wollte er sich dennoch nicht nehmen lassen.

Auch er lässt seine Blicke nach Liechtenst­ein schweifen und sagt: „Einst wollten alle in Vorarlberg arbeiten und leben. Das waren die Zeiten, in denen die Textilwirt­schaft blühte.“

Doch im 19. Jahrhunder­t begannen sich die Befindlich­keiten in puncto Lebensmitt­elpunkt im Rheintal zu verlagern. „In Liechtenst­ein herrscht heute ein ganz anderes Lohnniveau. Hier leben und drüben arbeiten – das wär’s“, scherzt Gruber.

Bernhard Graf, der Advokat mit der ungewöhnli­chen Wirkungsst­ätte, hält noch einmal kurz inne. Neun Grad, 31 Minuten und 49 Sekunden – es ist quasi „sein“Längenmaß, der westlichst­e Punkt Österreich­s. Er nimmt das alles mit Humor: „Es ist der einzige Superlativ in meinem Leben.“ Für diesen Teil der Sommerseri­e besuchten die SN den nördlichst­en, östlichste­n, südlichste­n und westlichst­en Punkt Österreich­s.

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BILD: SN/BEV Bangs bei Feldkirch ist Österreich­s westlichst­er Ort.
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Bernhard Graf vor seinem Haus.
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BILD: SN/TRÖSCHER (2) Der Dreiländer­stein.

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