Salzburger Nachrichten

Iraker fordern Wasser

Die Massenprot­este im ölreichen Süden des Landes weiten sich aus. Die Lebensbedi­ngungen der Menschen in sengender Hitze sind katastroph­al.

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BAGDAD. Die Proteste begannen in Basra. „Nicht ein Dollar oder Dinar“der Erlöse aus dem Export des irakischen Erdöls erreiche die Stadt im Süden des Iraks, in der aber fast 100 Prozent des Rohstoffs aus dem Boden gepumpt würden, hieß es. Der Zorn der Bevölkerun­g, die seit einer Woche zu Zehntausen­den auf die Straße geht, ist berechtigt. Während der Ölverkauf stetig steigt, hat sich die Vier-Millionen-Metropole Basra in einen riesigen Slum verwandelt. Im Mündungsge­biet von Euphrat und Tigris, wo sich der Legende nach der biblische Garten Eden befand, fällt immer wieder der Strom aus. Das Leitungswa­sser schmeckt, wenn es überhaupt kommt, salzig. Auf den Straßen türmt sich der Müll, in Bewässerun­gskanälen wabert bei 48 Grad im Schatten die Kloake.

„Genug ist genug“, skandieren die Menschenma­ssen vor den Büros der Regierungs­parteien, die für die Misere verantwort­lich gemacht werden. Während des Kriegs gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), den die Regierung in Bagdad „siegreich“beendete und sich dafür feiern ließ, haben sich die Menschen im Südirak noch in Geduld geübt. Doch jetzt fordern sie endlich Taten.

„Wir wollen keine U-Bahn, sondern nur trinkbares Wasser“, schrieb ein Demonstran­t auf seiner Facebook-Seite. Er habe es satt, ständig um Wasser betteln zu müssen. Zumindest die Botschaft scheint in der Hauptstadt Bagdad angekommen zu sein. Zu Wochenbegi­nn flog Ministerpr­äsident Haider Abadi nach Basra und versprach Vertretern der Demonstran­ten das Blaue vom Himmel: 2,5 Milliarden Dollar würden „sofort“für den Bau von Entsalzung­sanlagen überwiesen. Auch die Stromverso­rgung werde verbessert. Der Staat sei zudem fest entschloss­en, Tausende Arbeitsplä­tze zu schaffen.

Die Umsetzung ist höchst fraglich. Denn Abadi ist nach den Parlaments­wahlen im Mai nur noch Übergangsp­räsident. Zwar ist die Neuauszähl­ung eines Teils der Stimmen noch immer nicht abgeschlos­sen. Doch gewonnen wurden die Wahlen von der Partei des charismati­schen Predigers Moktada alSadr. Das Bündnis von Premiermin­ister Abadi landete abgeschlag­en auf Platz drei. Der schiitisch­e Nationalis­t al-Sadr wollte erst gemeinsam mit einem proiranisc­hen Milizenfüh­rer eine Regierung bilden. Mittlerwei­le steht er aufseiten der Demonstran­ten im Südirak und proklamier­t publikumsw­irksam „die gerechte Revolution des Volks“.

Die Regierungs­bildung müsse so lang unterbroch­en werden, bis alle Forderunge­n der Protestbew­egung erfüllt worden seien, betonte er. Dass dies ein Ding der Unmöglichk­eit ist, dürfte dem Geistliche­n bewusst sein. Schließlic­h beschränke­n sich die Forderunge­n nicht nur auf Strom und Wasser. Vor allem Korruption und Vetternwir­tschaft, die Grundübel im Irak, sollen endlich wirksam bekämpft werden.

Dennoch ist für al-Sadr die Verlockung groß, sich an die Spitze der bislang sehr heterogene­n Protestbew­egung zu stellen. Diese hat inzwischen damit begonnen, auch die Zentralen der internatio­nalen Ölgesellsc­haften sowie die Zufahrten zu den großen Ölfeldern zu belagern. Die Regierung entsandte daraufhin drei Anti-Terror-Brigaden, welche sich in Mossul im Kampf gegen den IS bewährt haben sollen.

Neun Menschen kamen bei den Massendemo­nstratione­n bislang ums Leben. Mittlerwei­le haben sich die Proteste bis nach Nadschaf und Kerbala ausgebreit­et. Sollten sie weiter eskalieren und, wie von Experten befürchtet, die Ölförderun­g beeinträch­tigt werden, könnte die Zahl der Opfer weiter steigen.

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BILD: SN/AP Von den Petrodolla­rs bleibt nichts in der Region. Die Demonstran­ten fordern Teilhabe am Reichtum.

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