Sherpas könnten Personalnöte jenseits von 2000 Metern Seehöhe lösen
Die Suche nach geeignetem Personal wird für Hüttenwirte zusehends zur Herkulesaufgabe. Eine Lösung könnte ein Tiroler Sherpa-Projekt von Everest-Legende Wolfgang Nairz bieten. Wenn da nicht die Bürokratie wäre.
Der Tiroler Dialekt verstärkt sich, wenn Bergsteigerlegende Wolfgang Nairz richtig in Fahrt kommt. „Des isch sehr schwer. Auch wenn’s eine Win-win-Situation für alle wäre“, sagt jener Mann, der Expeditionsleiter der ersten Everest-Besteigung ohne Sauerstoff war. Doch um die geht es heute ausnahmsweise nicht.
Im Mittelpunkt stehen die Personalnot heimischer Hüttenwirte, 25 Sherpas aus Nepal und ein Entwicklungshilfeprojekt, das 15 Jahre nach seiner Gründung zum Rettungsanker werden könnte.
Doch der Reihe nach: Vor besagten 15 Jahren rief Nairz das SherpaProjekt der NepalHilfe Tirol ins Leben. Dabei werden Sherpas aus Nepal im Zuge eines Austauschprogramms auf Tiroler Hütten zu Hüttenwirten ausgebildet. Das Ziel dabei: Hilfe zur Selbsthilfe. Denn alle teilnehmenden Sherpas, es sind aktuell 25 pro Jahr, arbeiten in ihrer Heimat selbst in einer Lodge oder im Trekkinggeschäft. Das in Österreich erlernte Wissen über Hygiene, Tourismus oder den Schutz der Umwelt verwandelt sich nach ihrer Rückkehr in gelebtes Wissen am Fuße der höchsten Berge der Welt. Das ist die eine Seite der Win-win-Situation.
Die andere könnte sich aus folgender veränderter Ausgangslage in der Alpenrepublik ergeben: Österreichs Hüttenwirte haben zusehends mit Personalnot zu kämpfen. Mit jedem Höhenmeter steigt die Schwierigkeit, Kellner, Köche, Abwäscher etc. zu finden. „Viele wollen ihre Work-Life-Balance auch am Berg bewahren. Das ist kaum möglich. Ein Hüttenjob bedeutet in gewissen Monaten und bei gutem Wetter enorm viel Arbeit“, erklärt Peter Kapelari, Leiter der Abteilung Hütten und Wege beim Österreichischen Alpenverein. Hüttenwirte berichten etwa davon, dass sie nicht einmal mehr Ferialpraktikanten bekämen, da selbst diesen die Arbeit jenseits von 2000 Metern Seehöhe für kurze Zeit zu anstrengend sei. „Man hat auf der Hütte kaum Privatsphäre, kommt nur alle zwei bis drei Wochen ins Tal, das sind schon harte Bedingungen“, erzählt Toni Riepler, der im Jahr 2017 die legendäre Erzherzog-Johann-Hütte am Großglockner als Hüttenwirt übernommen hat.
Aus diesen veränderten Voraussetzungen könnte sich die andere Seite der Win-win-Situation herauskristallisieren: Österreichs Hüttenwirte könnten bei der Personal- suche künftig verstärkt auf Sherpas aus Nepal zurückgreifen, die gern in die Alpenrepublik kommen und das Leben und die Entbehrungen auf den Bergen gewohnt sind. Passendes Personal gefunden. Problem gelöst.
Doch so einfach ist das nicht. Denn bevor die nepalesischen Hüttenwirte in spe einreisen dürfen, müssen jedes Jahr unzählige Behördengänge erledigt werden. „Die Sherpas kommen aus einem Drittland und brauchen daher eine Genehmigung vom AMS, um als Saisonniers in Österreich arbeiten zu können“, erklärt Bergsteiger Nairz. 25 Kontingentsplätze gibt es jährlich für die Sherpas in Tirol. Bei 160 Hütten im Heiligen Land zu wenig Kontingente – und da sind Hütten in anderen Bundesländern noch gar nicht berücksichtigt. Österreichweit wären dies mehr als 500 Alpenvereinshütten, die von den Sherpas als Mitarbeiter profitieren könnten.
Die Lösung: das Kontingent der Arbeitsbewilligungen für die Sherpas zu erhöhen. Theoretisch. Die Realität beim AMS Tirol sehe anders aus, sagt Landesgeschäftsführer Anton Kern im SN-Gespräch. „Wir vergeben die Bewilligungen im Rahmen des Saisonnierkontingents für das ganze Land Tirol. Dieses umfasst heuer insgesamt 193 Bewilligungen, die wir innerhalb des Tourismusbereichs für alle Interessenten aus Drittländern vergeben.“ Wäre das Kontingent höher, könnte man auch mehr Bewilligungen an Sherpas vergeben, fügt Kern hinzu. An eines sei aber nicht zu denken: ein Sonderkontingent für Hüttenpersonal einzuführen. „Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Da lösen wir am Ende einen Interessenskonflikt mit den anderen Partnern aus“, sagt Kern. Wobei der Landesgeschäftsführer den Hüttenwirten in einem Punkt recht gibt: Ja, es wäre ein Vorteil, Sherpas zu holen, die das Leben auf den Bergen und die Entbehrungen gewohnt sind.
Toni Riepler, der Wirt der Erzherzog-Johann-Hütte kann dies bestätigen. „Wir haben heuer zum zweiten Mal einen Sherpa bei uns, Dawa Tenzing Sherpa“, erzählt er. Irrsinnig fleißig, freundlich und rasch beim Lernen sei Tenzing. „Ich kann so eine Hilfe jedem Hüttenwirt nur empfehlen. Nicht nur als soziales Projekt, sondern aus wirtschaftlicher Sicht. Denn die Suche nach geeignetem Personal wird die kommenden Jahre nicht besser werden“, ist Riepler überzeugt. Sieben Leute sorgen mit ihm dafür, dass sich Bergsteiger auf Österreichs höchstgelegener Schutzhütte auf 3454 Höhenmetern wohlfühlen.
Dass „sein“Sherpa nur vier Mal in Österreich arbeiten darf – auch das ist eine Bestimmung, damit möglichst viele Sherpas eine Chance erhalten –, findet der Hüttenchef schade. „Tenzing ist für das ganze Team zum Freund geworden. Es ist generell schade, dass es diese Kontingente gibt. Es ist unverständlich, dass der Ermessensspielraum nicht ausgeweitet wird. Weil wenn keiner mehr auf der Hütte für die Gäste da ist, dann schau ich mir das an“, sagt Riepler, bevor er sich wieder an die Arbeit macht. Im Schatten des höchsten Berges Österreichs und mit seinem Sherpa.
Für diesen Teil der Sommerserie verbrachten die SN eine Woche in den Hohen Tauern. Geschichten von Bergen, Bergmenschen, Bergträumen und Albträumen.