Was den Ort zum Standort macht
Wenn über den Wirtschaftsstandort Österreich diskutiert wird, geht es um Kosten, um Vor- und Nachteile. Aber hinter dem abstrakten Begriff stehen echte Orte, in denen Wirtschaft stattfindet. Wie sieht es dort aus?
Wie verändert es Gemeinden, wenn sich Betriebe ansiedeln? Was kann die Politik beitragen, was muss sie darüber hinaus für Betriebe und Bürger tun? Das Wirtschaftsressort der SN hat sich vor Ort umgesehen, wie es um den Standort Österreich steht, und berichtet in lockerer Abfolge.
Im August 2013 rüttelte der damalige Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl beim Europäischen Forum Alpbach mit dem Sager „Österreich ist abgesandelt“das Land wach. Sein flapsig formulierter Befund über den Zustand des Wirtschaftsstandorts Österreich schlug hohe Wellen – viele stimmten Leitl zu, andere wiesen seinen Vorwurf empört zurück. Die Heftigkeit der Reaktionen verwundert nicht, denn kaum ein Begriff wird in der wirtschaftspolitischen Debatte so stark strapaziert wie der des Wirtschaftsstandorts.
Bei jeder politischen Maßnahme wird umgehend hinterfragt, ob sie gut oder schlecht für den Standort ist. Was die Antworten angeht, sind die Fronten in der Regel bezogen. Den Arbeitgebern kann es gar nicht weit genug gehen mit der Lockerung starrer Regelungen – egal, ob es um Arbeitszeit, Umweltauflagen oder Genehmigungen geht. Arbeitnehmer wieder fürchten, dass derlei Veränderungen, mit denen der Standort attraktiver gemacht werden soll, mit dem Abbau wohlerworbener Rechte und von Schutzbestimmungen einhergehen.
Für entsprechend viel Wirbel sorgt daher auch der Plan der jetzigen Regierung (und übrigens auch schon ihrer Vorgängerin), das Wohlergehen der Wirtschaft als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Dass sich Österreich zu einer wettbewerbsfähigen Standortpolitik als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung bekennt, halten Verfassungsexperten für eine entbehrliche Fleißaufgabe. Gegner sehen darin einen gefährlichen Anschlag auf den Umweltschutz und eine Einladung für Klagen von Investoren. Darüber hinaus plant die Regierung ein Standortentwicklungsgesetz, um die Verfahren bei Projekten zu beschleunigen.
Der Standort Österreich – wie gut oder wie schlecht ist er? Was verbirgt sich hinter dem Begriff, den alle locker im Munde führen? Um Antworten geben zu können, muss man die Metaebene verlassen, wo das Wort Standort oft nur dafür benützt wird, um eine ganz andere Debatte anzustoßen. Will man den Begriff konkret und greifbar machen, muss man dorthin schauen, wo Wirtschaft tatsächlich stattfindet, an einem real existierenden Ort. Aber was macht eigentlich einen Ort zum Standort?
Österreich hat 2098 Gemeinden und das Aufzählen der Vorzüge für Wirtschaftstreibende fehlt in keiner Selbstbeschreibung. Verständlich, denn Kommunen konkurrieren miteinander, wenn es darum geht, sich als Sitz für Unternehmen attraktiv zu machen. Die Chancen sind grundsätzlich gut, denn Österreich zeichnet sich – abgesehen von ein paar industriellen Flaggschiffen – durch eine kleinteilig strukturierte Wirtschaft aus. Und sehr viele Klein- und Mittelbetriebe sind in ländlichen Gemeinden angesiedelt und dort gut verankert.
Die Perspektiven für das Wirtschaften im ländlichen Raum hängen aber stark davon ab, wie sich die Bevölkerung verändert. Da gibt es seit Jahren einen klaren Trend, die Menschen zieht es vom Land in die Stadt oder zumindest in deren Umland. Teils erfolgt die Landflucht aus freien Stücken, etwa bei jungen Menschen, die zur Ausbildung in die Stadt übersiedeln.
Landflucht ist aber oft erzwungen, einfach deshalb, weil es keine Arbeitsplätze gibt. Die Abwanderung ist aber eine latente Gefahr für jede Gemeinde. Wo nichts los ist, bleiben die Menschen nicht. Wenn es keine Betriebe gibt, verkommen die Orte zu reinen Schlafstätten. Damit nimmt die Attraktivität weiter ab. Betriebe wandern ab oder siedeln sich erst gar nicht an. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Aber wie macht man den Ort zum Standort? Für lokale Politiker, die mit Ausnahme der Kommunalsteuer nicht an der Steuerschraube drehen können, ist die Raumordnung der stärkste Hebel. Vorausschauende Flächenwidmung erhöht die Flexibilität und damit die Chance für Betriebsansiedlungen, aber auch für die Erweiterung bestehender Standorte.
Der Ort muss aber auch darauf vorbereitet sein, denn Betriebe ziehen oft andere nach. Und es ist keineswegs so, dass Unternehmen in Gemeinden stets nur mit offenen Armen aufgenommen werden. Die Bewohner fürchten eine Zunahme des Verkehrs, oder auch ein Steigen der Grundstückspreise und damit teureres Wohnen. Dazu kommen mögliche Beeinträchtigungen der Umwelt durch Lärm, Staub, Abgase oder Abwässer. Die lokale Politik kann da durch frühes Einbeziehen der Bürger lenkend eingreifen. Zudem entsteht Handlungsbedarf im Bau und Ausbau der Infrastruktur – von der besseren Verkehrsanbindung über zusätzlichen Wohnraum bis hin zu Kindergärten, Schulen und anderen Ausbildungsstätten. Es geht aber auch um nicht unmittelbar standortrelevante Maßnahmen, die Gemeindepolitiker setzen können, um ihre Orte lebenswert zu erhalten – für Jung und Alt. Das reicht von Sportanlagen über Freizeitzentren bis zum Pflegeheim. Auch ein Wirtshaus sollte in keinem Ort fehlen. Luft nach oben gibt es vielfach auch bei der Pflege des Ortsbildes. In der Funktion als Baubehörde haben es Bürgermeister in der Hand, ihre Gemeinde zu verschandeln oder so attraktiv zu machen, dass man gern bleibt und kommt.
Sicher ist, dass Österreich und seine Gemeinden bei den Standortkosten mit dem Lizitieren nach unten nichts gewinnen können. Man kann mit den gut ausgebildeten Fachkräften punkten, mit hoher Rechtssicherheit. Österreich kann auf international anerkanntes technisches Know-how verweisen. Und es kann als Standort mit exzellenter Lebensqualität aufwarten. Gewisse natürliche Nachteile gegenüber Städten können kleinere Orte durch maßgeschneiderte Angebote wettmachen.
Im Wettbewerb der Standorte entscheidet künftig aber auch das, was für eine digitalisierte Wirtschaft lebensnotwendig ist – Datenund Stromnetze. Ausgerechnet die Digitalisierung, die so viele Ängste über den Verlust von Jobs erzeugt, kann daher für den ländlichen Raum eine große Chance sein. Wo man arbeitet, wird immer weniger entscheidend sein, lückenloses Breitbandinternet eröffnet Arbeitnehmern und Betrieben neue Möglichkeiten.
Auch der Bund will den ländlichen Raum fördern. In dem 2017 noch von Ex-Umweltminister Andrä Rupprechter entwickelten Masterplan ist vorgesehen, zehn Prozent der Bundesbehörden zu verlegen. Die geplante Übersiedlung des Umweltbundesamts von Wien ins unmittelbar angrenzende Klosterneuburg war zwar ein holpriger Start, grundsätzlich könnte man mit dem Plan aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Verwaltung näher an die Bürger bringen und das Land beleben. Beides könnte Österreich gut vertragen.