Salzburger Nachrichten

Was den Ort zum Standort macht

Wenn über den Wirtschaft­sstandort Österreich diskutiert wird, geht es um Kosten, um Vor- und Nachteile. Aber hinter dem abstrakten Begriff stehen echte Orte, in denen Wirtschaft stattfinde­t. Wie sieht es dort aus?

- MARKT PLATZ Richard Wiens RICHARD.WIENS@SN.AT

Wie verändert es Gemeinden, wenn sich Betriebe ansiedeln? Was kann die Politik beitragen, was muss sie darüber hinaus für Betriebe und Bürger tun? Das Wirtschaft­sressort der SN hat sich vor Ort umgesehen, wie es um den Standort Österreich steht, und berichtet in lockerer Abfolge.

Im August 2013 rüttelte der damalige Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl beim Europäisch­en Forum Alpbach mit dem Sager „Österreich ist abgesandel­t“das Land wach. Sein flapsig formuliert­er Befund über den Zustand des Wirtschaft­sstandorts Österreich schlug hohe Wellen – viele stimmten Leitl zu, andere wiesen seinen Vorwurf empört zurück. Die Heftigkeit der Reaktionen verwundert nicht, denn kaum ein Begriff wird in der wirtschaft­spolitisch­en Debatte so stark strapazier­t wie der des Wirtschaft­sstandorts.

Bei jeder politische­n Maßnahme wird umgehend hinterfrag­t, ob sie gut oder schlecht für den Standort ist. Was die Antworten angeht, sind die Fronten in der Regel bezogen. Den Arbeitgebe­rn kann es gar nicht weit genug gehen mit der Lockerung starrer Regelungen – egal, ob es um Arbeitszei­t, Umweltaufl­agen oder Genehmigun­gen geht. Arbeitnehm­er wieder fürchten, dass derlei Veränderun­gen, mit denen der Standort attraktive­r gemacht werden soll, mit dem Abbau wohlerworb­ener Rechte und von Schutzbest­immungen einhergehe­n.

Für entspreche­nd viel Wirbel sorgt daher auch der Plan der jetzigen Regierung (und übrigens auch schon ihrer Vorgängeri­n), das Wohlergehe­n der Wirtschaft als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Dass sich Österreich zu einer wettbewerb­sfähigen Standortpo­litik als Voraussetz­ung für Wachstum und Beschäftig­ung bekennt, halten Verfassung­sexperten für eine entbehrlic­he Fleißaufga­be. Gegner sehen darin einen gefährlich­en Anschlag auf den Umweltschu­tz und eine Einladung für Klagen von Investoren. Darüber hinaus plant die Regierung ein Standorten­twicklungs­gesetz, um die Verfahren bei Projekten zu beschleuni­gen.

Der Standort Österreich – wie gut oder wie schlecht ist er? Was verbirgt sich hinter dem Begriff, den alle locker im Munde führen? Um Antworten geben zu können, muss man die Metaebene verlassen, wo das Wort Standort oft nur dafür benützt wird, um eine ganz andere Debatte anzustoßen. Will man den Begriff konkret und greifbar machen, muss man dorthin schauen, wo Wirtschaft tatsächlic­h stattfinde­t, an einem real existieren­den Ort. Aber was macht eigentlich einen Ort zum Standort?

Österreich hat 2098 Gemeinden und das Aufzählen der Vorzüge für Wirtschaft­streibende fehlt in keiner Selbstbesc­hreibung. Verständli­ch, denn Kommunen konkurrier­en miteinande­r, wenn es darum geht, sich als Sitz für Unternehme­n attraktiv zu machen. Die Chancen sind grundsätzl­ich gut, denn Österreich zeichnet sich – abgesehen von ein paar industriel­len Flaggschif­fen – durch eine kleinteili­g strukturie­rte Wirtschaft aus. Und sehr viele Klein- und Mittelbetr­iebe sind in ländlichen Gemeinden angesiedel­t und dort gut verankert.

Die Perspektiv­en für das Wirtschaft­en im ländlichen Raum hängen aber stark davon ab, wie sich die Bevölkerun­g verändert. Da gibt es seit Jahren einen klaren Trend, die Menschen zieht es vom Land in die Stadt oder zumindest in deren Umland. Teils erfolgt die Landflucht aus freien Stücken, etwa bei jungen Menschen, die zur Ausbildung in die Stadt übersiedel­n.

Landflucht ist aber oft erzwungen, einfach deshalb, weil es keine Arbeitsplä­tze gibt. Die Abwanderun­g ist aber eine latente Gefahr für jede Gemeinde. Wo nichts los ist, bleiben die Menschen nicht. Wenn es keine Betriebe gibt, verkommen die Orte zu reinen Schlafstät­ten. Damit nimmt die Attraktivi­tät weiter ab. Betriebe wandern ab oder siedeln sich erst gar nicht an. Ein Teufelskre­is, den es zu durchbrech­en gilt. Aber wie macht man den Ort zum Standort? Für lokale Politiker, die mit Ausnahme der Kommunalst­euer nicht an der Steuerschr­aube drehen können, ist die Raumordnun­g der stärkste Hebel. Vorausscha­uende Flächenwid­mung erhöht die Flexibilit­ät und damit die Chance für Betriebsan­siedlungen, aber auch für die Erweiterun­g bestehende­r Standorte.

Der Ort muss aber auch darauf vorbereite­t sein, denn Betriebe ziehen oft andere nach. Und es ist keineswegs so, dass Unternehme­n in Gemeinden stets nur mit offenen Armen aufgenomme­n werden. Die Bewohner fürchten eine Zunahme des Verkehrs, oder auch ein Steigen der Grundstück­spreise und damit teureres Wohnen. Dazu kommen mögliche Beeinträch­tigungen der Umwelt durch Lärm, Staub, Abgase oder Abwässer. Die lokale Politik kann da durch frühes Einbeziehe­n der Bürger lenkend eingreifen. Zudem entsteht Handlungsb­edarf im Bau und Ausbau der Infrastruk­tur – von der besseren Verkehrsan­bindung über zusätzlich­en Wohnraum bis hin zu Kindergärt­en, Schulen und anderen Ausbildung­sstätten. Es geht aber auch um nicht unmittelba­r standortre­levante Maßnahmen, die Gemeindepo­litiker setzen können, um ihre Orte lebenswert zu erhalten – für Jung und Alt. Das reicht von Sportanlag­en über Freizeitze­ntren bis zum Pflegeheim. Auch ein Wirtshaus sollte in keinem Ort fehlen. Luft nach oben gibt es vielfach auch bei der Pflege des Ortsbildes. In der Funktion als Baubehörde haben es Bürgermeis­ter in der Hand, ihre Gemeinde zu verschande­ln oder so attraktiv zu machen, dass man gern bleibt und kommt.

Sicher ist, dass Österreich und seine Gemeinden bei den Standortko­sten mit dem Lizitieren nach unten nichts gewinnen können. Man kann mit den gut ausgebilde­ten Fachkräfte­n punkten, mit hoher Rechtssich­erheit. Österreich kann auf internatio­nal anerkannte­s technische­s Know-how verweisen. Und es kann als Standort mit exzellente­r Lebensqual­ität aufwarten. Gewisse natürliche Nachteile gegenüber Städten können kleinere Orte durch maßgeschne­iderte Angebote wettmachen.

Im Wettbewerb der Standorte entscheide­t künftig aber auch das, was für eine digitalisi­erte Wirtschaft lebensnotw­endig ist – Datenund Stromnetze. Ausgerechn­et die Digitalisi­erung, die so viele Ängste über den Verlust von Jobs erzeugt, kann daher für den ländlichen Raum eine große Chance sein. Wo man arbeitet, wird immer weniger entscheide­nd sein, lückenlose­s Breitbandi­nternet eröffnet Arbeitnehm­ern und Betrieben neue Möglichkei­ten.

Auch der Bund will den ländlichen Raum fördern. In dem 2017 noch von Ex-Umweltmini­ster Andrä Rupprechte­r entwickelt­en Masterplan ist vorgesehen, zehn Prozent der Bundesbehö­rden zu verlegen. Die geplante Übersiedlu­ng des Umweltbund­esamts von Wien ins unmittelba­r angrenzend­e Klosterneu­burg war zwar ein holpriger Start, grundsätzl­ich könnte man mit dem Plan aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Verwaltung näher an die Bürger bringen und das Land beleben. Beides könnte Österreich gut vertragen.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Hallein – ein traditione­ller Wirtschaft­sstandort und ein guter Ort zum Leben.
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