Das Vermächtnis ist zu groß
Der 77. Große Preis von Deutschland für Automobile könnte am Sonntag auch der letzte sein. In der Ära Michael Schumacher wurde fleißig ausgebaut, der Generation Vettel fehlt die Strahlkraft.
Das Autoland Deutschland ohne Großen Preis in der Formel 1? Nicht nur für Sebastian Vettel ist das eine traurige Vision. Aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass diese Vorstellung Realität wird. Der Vertrag der Hockenheimring GmbH mit der Formel 1 läuft mit Jahresende aus. Die Kassen der Gesellschaft sind nicht nur leer. Es gibt ein kräftiges Minus und zu allem Überfluss ist von der in der Ära Michael Schumacher erwachten Euphorie Deutschlands für die Königsklasse nicht so viel geblieben.
Ring-Geschäftsführer Georg Seiler versucht, die Wogen zu glätten, und verweist auf Gespräche mit dem Formel-1-Inhaber Liberty Media. Von dort kamen noch keine Signale. Der Hockenheimring muss auf ein Entgegenkommen der USAmerikaner hoffen, denn öffentliche Gelder sind keine mehr zu erwarten. Das treibt Vettel, der nach fünf Mal Antreten auf dem Hockenheimring noch keinen Heimsieg in der Tasche hat, auf die Palme.
„Andere Länder zahlen für ihren Grand Prix. So viele Leute arbeiten hier hart und die Region und Deutschland mit mehreren Herstellern ist nicht bereit, Geld für den Ring auszugeben. Kein Grand Prix mehr – ich wäre traurig und enttäuscht“, sagte der vierfache Weltmeister.
Vor nicht allzu langer Zeit gaben Deutschland und die Region viel Geld hier aus. Michael Schumachers Siegesserie rund um das Millennium formte im Land der Fußballverrückten – und kurzzeitig dank Boris Becker, Michael Stich Othmar Behr berichtet für die SN aus Hockenheim und Steffi Graf Tennisverliebten – eine verschworene Formel-1-Gemeinde. Der private TV-Sender RTL trug mit für damalige Zeiten unkonventionellen Übertragungen viel zum Aufschwung bei.
In Hockenheim fuhren die Bagger auf. Eine verkürzte Strecke ohne lange Waldpassagen und zusätzlich zur Autodrom-Arena mit ihren dichten Sitzreihen architektonisch auffallende Tribünen sollten den Kurs mit einer Investition von über 60 Millionen Euro fit für viele Formel-1-Jahre machen. 2002 wurde die erneuerte Anlage mit der Kapazität für 120.000 Besucher eröffnet. Niemanden störte, dass es auf dem Nürburgring mit dem Großen Preis von Europa ein zweites jährliches Formel-1-Rennen im Land gab.
Auch der Nürburgring baute mit Freizeitanlagen sowie dem Museum groß aus – und überhob sich ebenfalls. Symbolkraft für die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit: Eine sündteure Hochschaubahn mit teilweise paralleler Streckenführung zur Zielgeraden („Erleben Sie einen Geschwindigkeitsrausch wie in der Formel 1“) war nur einen einzigen Tag in Betrieb. Bei der technischen Abnahme, die negativ ausfiel.
Da auch in der Eifel die Altlasten erdrückend sind, kommt ein Großer Preis von Deutschland auf dem Nürburgring ebenfalls nicht mehr infrage. Zudem kühlte das Formel1-Interesse trotz Vettels Titelsammlung und des ebenfalls zum Weltmeister gereiften Nico Rosberg in Deutschland ab. Beide konnten in keiner Phase ihrer Karrieren an die Popularität des Michael Schumacher anknüpfen. Der letzte Lauf auf dem Hockenheimring mit Rosberg in der Form seines Lebens lockte 2016 am Renntag 57.000 Fans an.
Dazu ein Vergleich: Österreichs Volks-Rock-’n’-Roller Andreas Gabalier ließen sich im Vorjahr 80.000 Zahlende nicht entgehen. Heuer hoffen die Veranstalter auf mehr als 60.000 Besucher beim Grand Prix, aber Ring-Chef Seiler winkt ab, dass dies eine Entlastung bringen könnte: „Dann wären wir nur für heuer pari, die Schulden bleiben.“
Was die Formel 1 betrifft, droht dem Hockenheimring das Schicksal eines Nostalgiekurses. Jährlich findet im April das Jim-Clark-Revival im Gedenken an den heuer vor fünfzig Jahren auf dem Hockenheimring tödlich verunglückten besten Rennfahrer seiner Epoche mit 25 Siegen statt. Beim Revival sind viele historische Formel-1-Autos am Start. Clark verlor sein Leben in einem unbedeutenden Formel-2-Lauf, an dem er nur wegen Sponsorverpflichtungen teilnahm. Er war mit seinem Lotus in einem der 2002 aufgelassenen Streckenabschnitte gegen einen Baum geprallt. Heute unvorstellbar: Es gab keinen einzigen Augenzeugen.