Geschichten aus 282 Nächten
ben. Tatsächlich aber reißt die Erzählung mitten in der zweihundertzweiundachtzigsten Nacht ab.
Man kauft zweihundertzweiundachtzig Nächte für den Preis von eintausendundeiner. Das ist Betrug, aber seit dreihundert Jahren wird dieser Betrug hingenommen. Ist das nicht so, als würde man sich ein Sky-Abo leisten, um die Fußball-WM zu sehen – und dann hört die Berichterstattung mitten im Achtelfinale auf? Man würde nie erfahren, wer ins Finale kommt, geschweige denn, wer Weltmeister wird!
Aber es kommt noch schlimmer. Weder Sindbad, der Seefahrer, noch Aladin, noch Ali Baba und nicht mal einer der vierzig Räuber kommt im Originaltext vor. Galland hat sie einfach dazugeschummelt. Weil’s gut ankam. Um noch einmal beim Fußball-WM-Bild zu bleiben: Das wäre so, als wenn Sky im Achtelfinale abbricht und Luxemburg, Grönland oder Österreich mitspielen zu lassen. Eine Verzerrung der Realität wäre das, auch wenn ich weiß, dass die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht nicht unbedingt realitätsabbildend sind, es sei denn, es gibt wirklich Geister und Dschinns. Galland machte sich die orientalische Welt, wie sie ihm gefällt.
Den Rest erledigte Disney. Mit den echten Texten haben die Zeichentrickfiguren nichts gemein. Würde man sich an die Originaltexte halten, kämen die puritanischen, amerikanischen Zensoren gar nicht mehr aus dem Piepsen heraus. Es gibt Orientalisten, die finden, es sei dringend an der Zeit, die Geschichten aus den Kinderzimmern, in die sie mittlerweile verbannt worden sind, zurückzuführen in die Schlafzimmer und auf die Schlachtfelder. Denn es wird gevögelt und gemordet, dass man denkt, es gibt kein Morgen.
Galland aber hat seine Ausgabe nach der damaligen Mode der Franzosen zurechtgestutzt und so macht man es ja auch heute noch. Wenn Herbert Kickl sagt, die Pferdestaffel der Polizei koste 45.000 Euro, man dann aber draufkommt, es werden 900.000 Euro, dann ist das Verhältnis zwischen Realität und Behauptung noch größer als bei TauManche Nacht. Überhaupt habe ich bei Kickl manchmal das Gefühl, er sei eine Zeichentrickfigur aus einem Comic. Er wirkt wie der kleinste der Daltons aus Lucky Luke.
Und war die ganze CETA-Geschichte nicht auch märchenhaft? Vor der Wahl und nach der Wahl? War das noch das gleiche Märchen oder längst ein neues? Egal, immer hat man jedoch das Gefühl, da fehlen Texte. Da sieht man nicht alles. Bei der Geschichte rund um den Verfassungsschutz: Da wurden Ali Baba und die vierzig Räuber irgendwie nachträglich reingeschrieben, dann ist man draufgekommen, und kein Geist kommt aus keiner Wunderlampe, um Licht in die ewige Dunkelheit zu bringen.
Aber Herbert Kickl ist Philosoph, liest man. Wahrscheinlich hält er sich einfach an das philosophische Credo von Andreas Khol: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit.
Und Sindbad war Seefahrer.
Dirk Stermann