Salzburger Nachrichten

Hauptsache, das Hendl ist billig

Das Grillhendl ist der Renner in jedem Bierzelt. Wer über das Leben der Masthühner nachdenkt, kann aber schnell den Appetit verlieren.

- THOMAS HÖDLMOSER, HEIDI HUBER

SSommerzei­t ist Bierzeltze­it. In den nächsten Wochen werden in ganz Österreich wieder Hunderttau­sende Grillhendl auf den Biertische­n landen.

Das Hendl, schön braun gebraten, mit knuspriger Haut, dazu Pommes und Ketchup – für die meisten Besucher gehört das dazu wie Jodlerköni­gin auf der Bühne und die dunstig-verrauchte „Wiesn“-Atmosphäre.

Aber kann man so ein Brathendl auch guten Gewissens essen?

Wer eine Antwort darauf sucht, kann sich im Internet Videos vom Alltag in österreich­ischen Ställen anschauen, wo Zehntausen­de Hühner im Schein künstliche­n Lichts hin und her wuseln.

Oder man kann mit einer Zahl beginnen: 17 Cent. Das ist der Roh-Deckungsbe­itrag – also grob jener Betrag, der einem Bauern von dem Entgelt von 70 Cent pro (halbem) Bierzelthu­hn bleibt. Bei den fünf bis acht Euro, die der Bierzeltbe­sucher bezahlt, kassieren im Normalfall noch der Schlachtho­f mit, der GastroGroß­händler und der Verein, der ein Bierzelt veranstalt­et, oder ein eigens dafür engagierte­r Caterer.

17 Cent also bleiben dem Bauern: Die logische Folge ist, dass bei der Aufzucht gespart wird. Auf den Betrieben der heimischen Bauern tummeln sich zwischen 10.000 und 40.000 Hühner. Bis zu 18 Hühner müssen sich einen Quadratmet­er teilen – das entspricht einer gesetzlich erlaubten Besatzdich­te von 30 Kilogramm pro Quadratmet­er. Im Ausland nimmt man es mit dem Tierschutz noch weniger genau: Die EU erlaubt eine Besatzdich­te von 42 Kilogramm pro Quadratmet­er.

Kritiker beklagen seit Langem die Lebensbedi­ngungen der Tiere und den Einsatz von „Turbo-Hühnern“. 100 Tage brauchte ein Huhn in den 1950erJahr­en, um sein Schlachtge­wicht von rund 1,8 Kilogramm zu erreichen. Heute kommen die auf das Leistungsm­erkmal „schnelle Gewichtszu­nahme“gezüchtete­n Hühner in rund 30 Tagen auf dieses Gewicht. Laut Tierschütz­ern sind Bauchwasse­rsucht und Herztod eine direkte Folge. Das schnelle Wachstum führe zu Beinschwäc­he und Lahmheiten. Oft litten die Tiere an Brustblase­n und Fußballene­rkrankunge­n. „Das große Problem ist, dass die Hühner extrem hochgezüch­tet sind“, sagt Hanna Zedlacher, Nutztierex­pertin bei der Tierschutz­organisati­on Vier Pfoten. „Die Krankheite­n sind eine Folge der extrem schnell wachsenden Rassen. Das Skelett kommt mit dem rasanten Fleischwac­hstum nicht mit. Deshalb können die Tiere oft nicht mehr laufen.“Aus Tierschutz­sicht müssten langsamer wachsende Rassen eingesetzt und die Besatzdich­ten reduziert werden. Die Hühner bräuchten Tageslicht, Frischluft und tiergerech­te Ställe.

Christopho­rus Huber ist Amtstierar­zt und Amtsleiter des Markt- und Veterinära­mts der Stadt Salzburg. „Das durchschni­ttliche Bierzelt-Hendl ist 27 Tage alt, stammt aus der Intensivma­st und hat zwei Drittel seines Lebens Medizinalf­utter bekommen. Es geht gar nicht anders“, sagt Huber. Der Produzent arbeite mit einer Gewinnspan­ne im Prozentber­eich. „Da reden wir von ein paar Cent pro Stück. Von reich werden kann beim Bauern keine Rede sein. Schauen Sie ins Geschäft: Das Billigste, das sie mitunter bekommen können, ist Hendl. Und immer wenn Produkte so billig werden, dann stimmt was nicht.“Das gelte für Shrimps und Lachs genauso, meint Huber. So ein Bierzelt-Hendl sei dann eben Geschmacks­sache. Ob er selbst gelegentli­ch eines esse? „Gelegentli­ch. Aber ich bin einfach kein Geflügelfa­n.“Wobei: Die Putenhaltu­ng hält der Amtstierar­zt für wesentlich problemati­scher als die Hendlhaltu­ng.

An der Lust der Konsumente­n auf Hühnerflei­sch haben die fragwürdig­en Haltungsbe­dingungen bislang nichts geändert. Der durchschni­ttliche Österreich­er verzehrt im Jahr rund 21 Kilogramm Geflügelfl­eisch (Puten inbegriffe­n) – Tendenz leicht steigend.

84 Millionen Stück Brat-, Back- und Suppenhühn­er werden österreich­weit pro Jahr geschlacht­et. Der Selbstvers­orgungsgra­d liegt bei 79 Prozent. Der Rest wird aus dem Ausland importiert, wo die Haltungsbe­dingungen meist schlechter sind. Regionalit­ät spiele bei der Herkunft tierischer Produkte in österreich­ischen Gastronomi­e-Betrieben kaum eine Rolle, heißt es bei Vier Pfoten. Die Tierschutz­organisati­on hat 28 große Gastro-Ketten angeschrie­ben. Sieben von zehn Betrieben, die bereit waren, Angaben zu machen, bezogen demnach das Hühnerflei­sch zumindest teilweise auch aus dem Ausland.

Beim Gastro-Großhändle­r Transgourm­et (früher: C+C Pfeiffer) heißt es, in den vergangene­n zwölf Monaten seien 474.000 Grillhühne­r verkauft worden. Der Netto-Abholpreis liege aktuell zwischen 3,99 und 4,19 Euro pro Kilogramm. Stolz sei man darauf, dass die Grillhühne­r zu 99 Prozent mit dem AMA-Gütesiegel aus Österreich verkauft würden.

Der Preisdruck in der Branche ist groß, der Markt ist heiß umkämpft. Möbelhäuse­r bieten ihren Kunden immer wieder zu Spott- und Lockpreise­n Hühnchen-Gerichte an. Auch der Lebensmitt­el-Einzelhand­el wirbt mit Schnäppche­n-Angeboten – das Stück Brathendl um nur 1,75 Euro!

Mit den Preisen muss der Großhandel mithalten können. Das weiß man auch beim Gastronomi­e- und Lebensmitt­elgroßhänd­ler Kröswang. Österreich­isches Geflügel koste das Doppelte. Die ganzen Hühner – für Bierzelte etwa – beziehe Kröswang „zu 90 Prozent“von einer Kärntner Geflügelfi­rma. Teile wie Hühnerfile­ts würden aber auch aus Ungarn bezogen, weil es eben billiger sei.

Die ausländisc­he Billigkonk­urrenz setzt den heimischen Betrieben stark zu. Aktuell sorgen etwa Geflügelim­porte aus der Ukraine für Ärger: Über ein Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU können ukrainisch­e Betriebe Hühnerflei­sch zum Teil zollfrei exportiere­n und in der EU zu Filet verarbeite­n lassen. Dieses sei um 40 Prozent billiger als in der EU produziert­es Filet, kritisiert die Zentrale Arbeitsgem­einschaft der österreich­ischen Geflügelwi­rtschaft (ZAG). Die Herkunft des Fleischs wird im Regelfall verschleie­rt, weil es keine Kennzeichn­ungspflich­t gibt, wenn die Filets in der Gastronomi­e oder in der Verarbeitu­ng landen. Nötig sei deshalb eine bessere Kennzeichn­ung, sagt ZAG-Geschäftsf­ührer Michael Wurzer. „Wir wünschen uns, dass auch bei Zeltfesten bzw. Festen von Vereinen die Herkunft ausgelobt wird. Das wäre auch ein Mehrwert und ein Imagegewin­n für den Verein. Schließlic­h hat sich eine überwältig­ende Mehrheit 2004 im Parlament für die strengen Tierhaltun­gsbestimmu­ngen bei Mastgeflüg­el entschiede­n, die wir jetzt haben.“

Aber warum kredenzt man im Bierzelt nicht gleich Biohendl, denen vor der Schlachtun­g ein vergleichs­weise schöneres Leben vergönnt war? Immerhin wird Biomastgef­lügel in traditione­ller Auslaufhal­tung gehalten. Bei Bio Austria etwa gilt, dass maximal zehn Tiere pro Quadratmet­er Stallgrund­fläche gehalten werden dürfen. Außerdem werden in der Biogeflüge­lmast langsam wachsende Rassen verwendet.

Im Einkauf würde das Biohendl dem Bierzelt-Veranstalt­er allerdings etwa das Doppelte kosten. Der Veranstalt­er müsste also pro Hühnerhälf­te rund zwei Euro draufschla­gen. Amtstierar­zt Huber lobt Biohendl. „Ich bevorzuge Biohendl, die Hendl werden größer, die Haltung ist besser.“Nur: „Das Portionshe­ndl schaffen Sie damit nicht. Biohendl werden Sie im Bierzelt nicht bekommen. Das gibt’s nicht für sechs Euro.“

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