Hauptsache, das Hendl ist billig
Das Grillhendl ist der Renner in jedem Bierzelt. Wer über das Leben der Masthühner nachdenkt, kann aber schnell den Appetit verlieren.
SSommerzeit ist Bierzeltzeit. In den nächsten Wochen werden in ganz Österreich wieder Hunderttausende Grillhendl auf den Biertischen landen.
Das Hendl, schön braun gebraten, mit knuspriger Haut, dazu Pommes und Ketchup – für die meisten Besucher gehört das dazu wie Jodlerkönigin auf der Bühne und die dunstig-verrauchte „Wiesn“-Atmosphäre.
Aber kann man so ein Brathendl auch guten Gewissens essen?
Wer eine Antwort darauf sucht, kann sich im Internet Videos vom Alltag in österreichischen Ställen anschauen, wo Zehntausende Hühner im Schein künstlichen Lichts hin und her wuseln.
Oder man kann mit einer Zahl beginnen: 17 Cent. Das ist der Roh-Deckungsbeitrag – also grob jener Betrag, der einem Bauern von dem Entgelt von 70 Cent pro (halbem) Bierzelthuhn bleibt. Bei den fünf bis acht Euro, die der Bierzeltbesucher bezahlt, kassieren im Normalfall noch der Schlachthof mit, der GastroGroßhändler und der Verein, der ein Bierzelt veranstaltet, oder ein eigens dafür engagierter Caterer.
17 Cent also bleiben dem Bauern: Die logische Folge ist, dass bei der Aufzucht gespart wird. Auf den Betrieben der heimischen Bauern tummeln sich zwischen 10.000 und 40.000 Hühner. Bis zu 18 Hühner müssen sich einen Quadratmeter teilen – das entspricht einer gesetzlich erlaubten Besatzdichte von 30 Kilogramm pro Quadratmeter. Im Ausland nimmt man es mit dem Tierschutz noch weniger genau: Die EU erlaubt eine Besatzdichte von 42 Kilogramm pro Quadratmeter.
Kritiker beklagen seit Langem die Lebensbedingungen der Tiere und den Einsatz von „Turbo-Hühnern“. 100 Tage brauchte ein Huhn in den 1950erJahren, um sein Schlachtgewicht von rund 1,8 Kilogramm zu erreichen. Heute kommen die auf das Leistungsmerkmal „schnelle Gewichtszunahme“gezüchteten Hühner in rund 30 Tagen auf dieses Gewicht. Laut Tierschützern sind Bauchwassersucht und Herztod eine direkte Folge. Das schnelle Wachstum führe zu Beinschwäche und Lahmheiten. Oft litten die Tiere an Brustblasen und Fußballenerkrankungen. „Das große Problem ist, dass die Hühner extrem hochgezüchtet sind“, sagt Hanna Zedlacher, Nutztierexpertin bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. „Die Krankheiten sind eine Folge der extrem schnell wachsenden Rassen. Das Skelett kommt mit dem rasanten Fleischwachstum nicht mit. Deshalb können die Tiere oft nicht mehr laufen.“Aus Tierschutzsicht müssten langsamer wachsende Rassen eingesetzt und die Besatzdichten reduziert werden. Die Hühner bräuchten Tageslicht, Frischluft und tiergerechte Ställe.
Christophorus Huber ist Amtstierarzt und Amtsleiter des Markt- und Veterinäramts der Stadt Salzburg. „Das durchschnittliche Bierzelt-Hendl ist 27 Tage alt, stammt aus der Intensivmast und hat zwei Drittel seines Lebens Medizinalfutter bekommen. Es geht gar nicht anders“, sagt Huber. Der Produzent arbeite mit einer Gewinnspanne im Prozentbereich. „Da reden wir von ein paar Cent pro Stück. Von reich werden kann beim Bauern keine Rede sein. Schauen Sie ins Geschäft: Das Billigste, das sie mitunter bekommen können, ist Hendl. Und immer wenn Produkte so billig werden, dann stimmt was nicht.“Das gelte für Shrimps und Lachs genauso, meint Huber. So ein Bierzelt-Hendl sei dann eben Geschmackssache. Ob er selbst gelegentlich eines esse? „Gelegentlich. Aber ich bin einfach kein Geflügelfan.“Wobei: Die Putenhaltung hält der Amtstierarzt für wesentlich problematischer als die Hendlhaltung.
An der Lust der Konsumenten auf Hühnerfleisch haben die fragwürdigen Haltungsbedingungen bislang nichts geändert. Der durchschnittliche Österreicher verzehrt im Jahr rund 21 Kilogramm Geflügelfleisch (Puten inbegriffen) – Tendenz leicht steigend.
84 Millionen Stück Brat-, Back- und Suppenhühner werden österreichweit pro Jahr geschlachtet. Der Selbstversorgungsgrad liegt bei 79 Prozent. Der Rest wird aus dem Ausland importiert, wo die Haltungsbedingungen meist schlechter sind. Regionalität spiele bei der Herkunft tierischer Produkte in österreichischen Gastronomie-Betrieben kaum eine Rolle, heißt es bei Vier Pfoten. Die Tierschutzorganisation hat 28 große Gastro-Ketten angeschrieben. Sieben von zehn Betrieben, die bereit waren, Angaben zu machen, bezogen demnach das Hühnerfleisch zumindest teilweise auch aus dem Ausland.
Beim Gastro-Großhändler Transgourmet (früher: C+C Pfeiffer) heißt es, in den vergangenen zwölf Monaten seien 474.000 Grillhühner verkauft worden. Der Netto-Abholpreis liege aktuell zwischen 3,99 und 4,19 Euro pro Kilogramm. Stolz sei man darauf, dass die Grillhühner zu 99 Prozent mit dem AMA-Gütesiegel aus Österreich verkauft würden.
Der Preisdruck in der Branche ist groß, der Markt ist heiß umkämpft. Möbelhäuser bieten ihren Kunden immer wieder zu Spott- und Lockpreisen Hühnchen-Gerichte an. Auch der Lebensmittel-Einzelhandel wirbt mit Schnäppchen-Angeboten – das Stück Brathendl um nur 1,75 Euro!
Mit den Preisen muss der Großhandel mithalten können. Das weiß man auch beim Gastronomie- und Lebensmittelgroßhändler Kröswang. Österreichisches Geflügel koste das Doppelte. Die ganzen Hühner – für Bierzelte etwa – beziehe Kröswang „zu 90 Prozent“von einer Kärntner Geflügelfirma. Teile wie Hühnerfilets würden aber auch aus Ungarn bezogen, weil es eben billiger sei.
Die ausländische Billigkonkurrenz setzt den heimischen Betrieben stark zu. Aktuell sorgen etwa Geflügelimporte aus der Ukraine für Ärger: Über ein Assoziierungsabkommen mit der EU können ukrainische Betriebe Hühnerfleisch zum Teil zollfrei exportieren und in der EU zu Filet verarbeiten lassen. Dieses sei um 40 Prozent billiger als in der EU produziertes Filet, kritisiert die Zentrale Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Geflügelwirtschaft (ZAG). Die Herkunft des Fleischs wird im Regelfall verschleiert, weil es keine Kennzeichnungspflicht gibt, wenn die Filets in der Gastronomie oder in der Verarbeitung landen. Nötig sei deshalb eine bessere Kennzeichnung, sagt ZAG-Geschäftsführer Michael Wurzer. „Wir wünschen uns, dass auch bei Zeltfesten bzw. Festen von Vereinen die Herkunft ausgelobt wird. Das wäre auch ein Mehrwert und ein Imagegewinn für den Verein. Schließlich hat sich eine überwältigende Mehrheit 2004 im Parlament für die strengen Tierhaltungsbestimmungen bei Mastgeflügel entschieden, die wir jetzt haben.“
Aber warum kredenzt man im Bierzelt nicht gleich Biohendl, denen vor der Schlachtung ein vergleichsweise schöneres Leben vergönnt war? Immerhin wird Biomastgeflügel in traditioneller Auslaufhaltung gehalten. Bei Bio Austria etwa gilt, dass maximal zehn Tiere pro Quadratmeter Stallgrundfläche gehalten werden dürfen. Außerdem werden in der Biogeflügelmast langsam wachsende Rassen verwendet.
Im Einkauf würde das Biohendl dem Bierzelt-Veranstalter allerdings etwa das Doppelte kosten. Der Veranstalter müsste also pro Hühnerhälfte rund zwei Euro draufschlagen. Amtstierarzt Huber lobt Biohendl. „Ich bevorzuge Biohendl, die Hendl werden größer, die Haltung ist besser.“Nur: „Das Portionshendl schaffen Sie damit nicht. Biohendl werden Sie im Bierzelt nicht bekommen. Das gibt’s nicht für sechs Euro.“